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Digitalisierung in der Pflege - Chance oder Risiko?

Möglichst viele Arbeitsbereiche sollen sich digitalisieren. Viele Menschen haben Angst davor - nicht nur wegen möglicherweise neuen Herausforderungen, sondern auch, weil sie den Verlust von Arbeitsplätzen befürchten.

Im Interview beantwortet Thorsten Kohl, Prokurist der Paritätischen Gesellschaft für Pflege, Gesundheit und Sozialdienste gGmbH, Fragen zur Digitalisierung in der Pflege.

Herr Kohl, wie halten Sie es in Ihren Pflegeeinrichtungen mit der Digitalisierung?

Da möchte ich zunächst den Begriff definieren. In den Medien wird ja nicht scharf getrennt zwischen digitaler Intelligenz und digitaler Datenverarbeitung. Mit digitaler Intelligenz arbeiten wir hier nicht. Wir sind aber ziemlich weit, was Datenverarbeitungsprogramme angeht. Wir nutzen schon seit etwa neun Jahren Software für die Pflegedokumentation und gehören damit zu den Ersten, die das eingeführt haben. Alle Pflegekräfte haben ein Tablet, mit dem sie die Daten vor Ort sofort eingeben können. Und alles was dort erfasst wird, ist direkt allen zugänglich. Außerdem haben wir natürlich EDV-Programme für die Buchhaltung, für die Dienstplangestaltung und die Heimbewohnerverwaltung. Alle Systeme sind über Schnittstellen miteinander und mit der Pflegedokumentationssoftware verknüpft. Das heißt: Wird in der Pflegedokumentation erfasst, dass ein Kunde ins Krankenhaus geht, wird das automatisch in der Leistungsabrechnung berücksichtigt. Ähnlich verhält es sich mit dem Dienstplanprogramm, der Finanzbuchhaltung und der Lohnbuchhaltung. Theoretisch können alle Programme miteinander kommunizieren. Nur aus Sicherheitsgründen wird stichprobenartig analog kontrolliert - es gibt ja immer die Gefahr von Tippfehlern und Zahlendrehern.

Was bedeutet das konkret?

Dadurch, dass alle Arbeitsvorgänge immer digital zugänglich sind, wird viel Zeit gespart. Trotzdem hat unser Digitalisierungsprozess keinen Arbeitsplatz gekostet. Er hat aber erheblich dazu beigetragen, dass Effizienz und Qualität besser werden. Die Qualität ist leichter zu kontrollieren, nötige Maßnahmen sind schneller umzusetzen. Vieles ist effizienter geworden, und die Ergebnisse werden auf jeden Fall besser. Dazu trägt auch bei, dass unser Qualitätshandbuch digital geführt wird. Alle neuen Verfahrensweisen oder Richtlinien werden umgehend dort eingegeben. Direkt im Anschluss werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter automatisch per Mail darüber informiert, die Kenntnisnahme wird elektronisch bestätigt. Niemand muss mehr mit Zetteln herumlaufen und Unterschriften einholen.

Was ließe sich durch mehr Digitalisierung verbessern?

Es wäre gut, wenn die vorhanden Möglichkeiten auch von den anderen Beteiligten genutzt würden. Das medizinische Fachpersonal zum Beispiel wäre besser informiert, wenn es - was möglich ist - auf die Daten aus der Pflegedokumentation zugreifen würde. Auch die Kommunikation mit den Pflegekassen ließe sich durch mehr Digitalisierung verbessern. Dafür müssen wir nämlich immer noch alle Daten ausdrucken und per Hand unterschreiben lassen. Hier könnten weitere Ressourcen gespart werden, wenn die digitalen Zugriffs- und Abrechnungsmöglichkeiten akzeptiert würden. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Visionen. Zum Beispiel wäre sehr entlastend, wenn die Rechnungen, die wir von unseren Dienstleistern erhalten, automatisch eingelesen, bezahlt und entsprechend verbucht werden könnten. Wünschenswert wäre auch, dass wir für Besprechungen und Konferenzen nicht immer verreisen müssten. Da wäre videogestützte Telekommunikationssoftware sehr nützlich. Skypen, was naheliegt, ist wegen mangelnder Absicherung gegen äußere Zugriffe leider nicht sinnvoll.

Gibt es auch Probleme oder Risiken?

Problematisch ist vor allem die Abhängigkeit von Fremdleistungen. Zum einen gibt es ständig neue Softwareupdates. Dabei bestimmt allein der Anbieter, was da jeweils geändert wird - unabhängig davon, ob wir das brauchen. Wir sind gezwungen, diese Updates auszuführen - und zu bezahlen -, weil die Programme sonst instabil werden. Zweites Problem ist die Wartung der Hardware - nicht nur wegen der Kosten, sondern auch wegen der Reaktionszeit. Weil mittlerweile so viele Arbeitsabläufe digital unterstützt werden, können wir - mit bestimmten Ausnahmen - nicht länger als einen Tag auf die EDV verzichten. Und Systemadministratoren, vor allem, solche, die auch kleinere Aufträge annehmen, sind rar. Da sollte sich der Fachkraftmangel möglichst nicht weiter zuspitzen.

Und wie sieht es mit der Offenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus?

Dafür sind eigentlich alle offen. Sicher gab es vor neun Jahren, als wir angefangen haben, auch Kolleginnen und Kollegen mit Unsicherheiten. Aber dem kann man mit der richtigen Vermittlung - also wenig Stress und viel Motivation - immer entgegenwirken. Heute möchte niemand mehr zurück zu den rein analogen Zeiten. Mittlerweile ist der hohe Digitalisierungsstand in unseren Einrichtungen sogar für viele ein Grund, sich bei uns um eine Anstellung zu bewerben. 

Autor:

Christian Köhler Pinzón, Freiwilliger im Sozialen Jahr im Paritätischen Brandenburg

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de