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„Der Mensch hat die Pflicht den Schwächeren zu helfen“

Umgeben von schwerer Armut und großer Not, Naturkatastrophen und Kriegen sind sie im Einsatz: ehrenamt­liche Mediziner*innen in Krisengebie­ten. Um anderen Menschen zu helfen, gehen sie bis an ihre Grenzen und da­rüber hinaus.

„Ich habe einem Kind im Kongo eine 6 Kilogramm schwere Milz entfernt“, erinnert sich Dr. Theophylaktos Em­manouilidis. „Am nächsten Tag kam die Mutter des Kindes und bedankte sich bei mir mit einer Avocado. Sie war so dankbar. Da kamen mir die Trä­nen.“

Es sind diese Momente, die Dr. Emma­nouilidis und die vielen anderen eh­renamtlichen medizinischen Helfer* innen die Kraft geben, sich immer wie­der aufs Neue in Krisengebiete zu be­geben, um das Leid anderer Menschen zu lindern.

Dr. Emmanouilidis sieht das ganz praktisch. „Ich bin Arzt. Es ist meine Pflicht, schwächeren und kranken Menschen zu helfen.“ Der Vorsitzende des Hammer Forums ist seit 1993 eh­renamtlich bei der Hilfsorganisation aktiv. Seit er in Rente ist, seit 2004, ar­beitet der inzwischen 80-jährige Chi­rurg noch mehr, als zu seiner Zeit als Chefarzt. „Es ist ein Full-time Job. Wir arbeiten von morgens früh, bis abends spät, um so vielen Kindern wie mög­lich zu helfen.“ Mehr als 200 Einsätze hat der Allgemein- und Kinderchirurg für das Hammer Forum hinter sich.

Das Hammer Forum ist eine Hilfsor­ganisation, die sich seit 1991 um die medizinische Versorgung von Kindern in Krisengebieten kümmert. Die medi­zinischen Teams in den Kliniken der Einsatzländer machen sich nicht nur die Versorgung der Kinder zur Aufga­be, sondern auch die Aus-und Fortbil­dung einheimischer Ärzte und Pfleger*innen. Kinder, die in ihrem Heimatland nicht behandelt werden können, werden nach Deutschland ge­flogen und dort operiert.

Schwierige Arbeitsbedingungen

Als eine Kombination aus dem Wunsch zu helfen und dem Hang zum Aben­teuer beschreibt Klaudia Nussbaumer ihre Motivation, ehrenamtlich in Kri­sengebieten medizinisch tätig zu sein. „Ich komme in Länder, die ich sonst nie gesehen hätte“, sagt die frisch ge­backene Rentnerin. Zuletzt war die gelernte Kinderkranken- und OP-Fach­schwester im Mai für das Hammer Forum im Kongo. Und auch dieser Einsatz im Hôpital Général in Kikwit, einer Stadt etwa 550 Kilometer östlich der Hauptstadt Kinshasa, war alles an­dere als leicht.

 „Als ich das erste Mal in den OP-Trakt kam, schoss mir ein fürchterlicher Ge­stank nach Urin entgegen“, erinnert sich Nussbaumer und beschreibt die Zustände im OP und auf den Stati­onen: „Die Sterilisatoren funktio­nierten nicht immer, es gab wenig bis gar keine Instrumente für Operati­onen, kein Nahtmaterial, nicht mal Verbandsstoffe.“ Die Stationen seien überfüllt gewesen, da Patienten nicht entlassen werden, bevor sie ihre Rech­nung begleichen. Eine Krankenversi­cherung gibt es im Kongo nicht.

„Ich hätte gedacht, das Projekt im Krankenhaus wäre schon weiter“, sagt Nussbaumer. Das Hammer Forum setzt sich seit vielen Jahren für die Re­novierung und Sanierung aller Klinik­bereiche und die Schulung des medi­zinischen Personals vor Ort ein. Nach 5 bis 10 Jahren zieht sich das Hammer Forum in der Regel aus Projekten zu­rück und übergibt die Arbeit vollstän­dig in die Hände des einheimischen Personals. Ständig wechselnde Ge­sundheitsminister und Krankenhaus­leitungen würden die Prozesse im Kongo erschweren. „Oftmals sind die Krankenhauschefs auch keine Ärzte, sondern politisch besetzt“, so Nuss­baumer. Das weiß auch Dr. Emma­nouilidis zu berichten: „Das Personal im Krankenhaus wird immer wieder abgezogen, seit 2007 hat es neun Kran­kenhausdirektoren gegeben, es gibt einfach keine feste Mannschaft.“ Viele würden die medizinische Basis nicht beherrschen. „Das ist für uns sehr be­lastend. Wir können nicht einfach ge­hen, dann würden wir die Kinder im Stich lassen.“

Zu Fuß in die Notaufnahme

Die Schwierigkeit, langfristig eine gute Infrastruktur aufzubauen, ohne zu sehr mit Entwicklungshilfe einzu­greifen, kennt auch Dr. Andreas Het­tel. Der Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin im Asklepios Klini­kum in Schwalmstadt ist beratend für die Hilfsorganisation LandsAid aktiv. Seine ehrenamtliche Arbeit besteht da­rin herauszufinden, wie die Entwick­lungshilfsgelder vor Ort sinnvoll einge­setzt werden können.

LandsAid ist seit 2006 für Menschen in Katastrophen- und Entwicklungsgebie­ten im Einsatz. Ziel der Arbeit ist es, Menschen, die durch Natur- oder Um­weltkatastrophen oder durch bewaff­nete Konflikte oder Unterdrückung in Not geraten sind, schnell notfall-medi­zinisch zu helfen. In den Bereichen Basismedizin und Ernährung führt LandsAid zudem Projektarbeit durch. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Aus­bildung von Einsatzkräften.

Im Jahr 2018 war Dr. Hettel für LandsAid in Haiti. Der Inselstaat wird immer wieder von verheerenden Na­turkatastrophen erschüttert. Im St. Da­mien Pediatric Hospital in Port-au- Prince angekommen, war Dr. Hettel erst mal überrascht. „Die Mediziner*innen waren sehr gut aus­gebildet“, erzählt er, „besonders das Pflegepersonal“. „Das liegt daran, dass sie viel mehr machen müssen und viel mehr Verantwortung tragen, als zum Beispiel Pflegekräfte in Deutschland.“ Auch das Krankenhaus an sich sei ein modernes Gebäude, auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden von einem Krankenhaus in Deutschland. Was aber zwingend fehle, sei eine grö­ßere und besser ausgestattete Notauf­nahme. „Es gibt in Haiti keinen Ret­tungsdienst, der die Erstversorgung der Verletzten macht. Die Menschen kommen zu Fuß oder auf dem Moped direkt in die Notaufnahme – das ist der Hot Spot“, berichtet der Arzt.

Man müsse sich immer auf die Gege­benheiten vor Ort einstellen, nur so könnten Hilfsorganisationen langfri­stig etwas bewirken. „Wir sitzen hier in Deutschland in einem der besten Ge­sundheitssysteme, warum soll das nicht in anderen Ländern auch so sein?“, fragt Dr. Hettel und gibt zu, dass es ihm persönlich großen Spaß mache, Dinge zu verändern. Dafür nehme er sich gerne Urlaub oder Über­stundenfrei, um auch in anderen Län­dern die gesundheitliche Versorgung voranzutreiben.

Durch Menschen gemachte Krisen

„Jeder Tag ist ein Tag, an dem man et­was Gutes tun kann“, sagt auch Nina Gremme. Die gelernte Krankenschwe­ster hat 16 Jahre in der Notfallmedizin gearbeitet und nebenbei Soziale Arbeit und Public Health studiert. Dafür empfinde sie heute große Dankbarkeit, „in einem Land zu leben, in dem es immer etwas zu Essen gibt und ich drei Mal studieren konnte“. Heute ar­beitet sie als Sozialpädagogin im Be­reich der Gerontopsychiatrischen Fachkoordination. Für LandsAid ist sie in ihrer Freizeit beratend im Einsatz und versucht mit Schulungen und Trainings die Infrastruktur in den von ihr besuchten Ländern zu verbessern.

Im Jahr 2018 war die Sozialpädagogin für einen Projektabschluss im Rohin­gya Camp in Bangladesch. Zu dem Zeitpunkt ihres Besuchs war es das größte Flüchtlingscamp der Welt. He­rausfordernd sei es für Gremme gewe­sen, erstmals alleine in einem Einsatz zu sein, ohne ein Team zur Stärkung hinter sich. Doch sind es vor allem die Ursachen, die zu dieser Krise führten, die Gremme verzweifeln lassen. „Die Krisen, die durch Menschen gemacht sind, sind für mich persönlich viel schwieriger zu ertragen“, sagt sie.

Syrien, Jemen oder Kongo, die Länder, in denen ehrenamtliche Helfer*innen im Einsatz sind, gehören zu den unsi­chersten Orten der Welt. In manchen Ländern mussten Einsätze abgebrochen werden, da die Sicherheitslage die Hilfseinsätze nicht mehr zulässt. „Wir müssen aufpassen“, sagt Dr. Emma­nouilidis, „wenn uns etwas passiert, können wir niemandem mehr helfen.“ Das sieht auch Dr. Hettel so: „Man muss immer das Risiko abwägen“. „Im Kongo habe ich Angst gehabt“, erin­nert sich Klaudia Nussbaumer, „denn ich halte das Land für nicht berechen­bar.“ Im Jemen durfte sie zum Schluss

ihres Einsatzes nicht mehr das Kran­kenhausgebäude verlassen, „zu groß war die Gefahr vor Entführungen“, sagt Nussbaumer.

Nur nicht verrückt machen lassen

Auch die Gefahr vor Infektionen und Krankheitsübertragungen sei nicht zu unterschätzen. „Es ist wichtig, alle Impfungen zu haben“, sagt Dr. Hettel. Verrückt machen dürfe man sich aber auch nicht. „Ich arbeite auch mal ohne Handschuhe“, sagt Klaudia Nuss­baumer, „und desinfiziere mir lieber öfter die Hände.“

Dass ihre Einsätze ein großes Risiko mit sich bringen, dem sind sich die eh­renamtlichen Helfer*innen bewusst. Doch einschüchtern lassen sie sich da­von nicht. Es überwiegen der starke Wunsch nach Veränderung und der Drang, Menschen in Not zu helfen. „Ich empfinde große Dankbarkeit da­rüber, wie gut es uns geht“, sagt Dr. Hettel, „das soll in anderen Ländern auch so sein“. „Wir können nicht die ganze Welt retten“, weiß Klaudia Nuss­baumer, „aber für jedes Kind, das über­lebt oder nach einer Operation keine Behinderung mehr hat, lohnt sich der Einsatz.“

Dr. Emmanouilidis fasst seine schöns­ten Momente so zusammen: „Wenn man ein Kind sieht, und man denkt, es hat keine Chance mehr und am näch­sten Tag lächelt es einen an und spielt. Dann denkt man: weiter machen!“ Die Einsätze sind jedes Mal eine Heraus­forderung, aber sie geben auch Kraft – darüber sind sich alle einig. Nina Gremme formuliert es so: „Wenn man Dinge macht, die das Herz berühren, dann kommt die Kraft automatisch.“

Autorin:

Janina Yeung

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de