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Jetzt erst recht: Solidarität mit den Armen und Sozialstaat ausbauen

Auf einmal werden im Schatten der Corona-Krise Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher*innen ausgesetzt. Geht doch! Jetzt muss es darum gehen, dass nach der Corona-Zeit diese plötzlichen Verbesserungen beibehalten werden. Aber das Problem bleibt der neoliberale Grundgedanke im Sozial- und Gesundheitssystem.

Ein Kommentar von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes

Da musste wohl erst die Corona-Krise kommen, um die endlich Forderungen umzusetzen, die auch schon vor einer großen Pandemiewelle richtig und wichtig waren: Menschen, die Hartz IV beziehen, dürfen nicht mehr sanktioniert werden und müssen damit auch keine Kürzungen mehr befürchten.  Auch Vermögensprüfungen werden ausgesetzt und bei Mietrückständen darf nicht mehr gekündigt werden.

„Geht doch!“ mögen diejenigen denken, die das System Hartz IV bereits seit Jahren kritisiert haben. Wir fühlen uns bestätigt, dass der neoliberale Umbau des Sozialstaates der letzten Jahre zulasten derjenigen, die auf ihn angewiesen sind, nicht alternativlos war. Ich glaube, wir stehen jetzt an der Schwelle eines hochinteressanten Feldversuches, welches am Ende zeigen wird: Sozialstaat geht auch ohne Drangsalierung.

Die Freude wird aber nur von kurzer Dauer sein. Mit dem Ende von Corona werden Politiker*innen wieder Business as Usual fahren. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit: Wir müssen dranbleiben und die Diskussionen über unser Sozialsystem und seinen Umgang mit den Menschen führen. Nur im Zweifelsfall haben wir jetzt bessere Argumente.

Aber Corona testet auch die Wohlfahrt. Viele fragen sich: Halten unsere Strukturen dem wachsenden Ansturm stand? Wir sehen, dass viele Einrichtungen jetzt ächzen oder schon geschlossen haben. Die Tafeln sind nur ein prominentes Beispiel.

Man kann ruhig grundsätzlich werden. Die Grenzen des Neoliberalismus sind selten so sichtbar wie in den letzten Wochen. Nur ein Beispiel aus der Gesundheitspolitik. Die Angst vor der Überforderung des Gesundheitssystems ist auch eine Folge der Privatisierungs- und Sparwelle der letzten Jahrzehnte, wo nicht mehr Patient*innen, sondern der Gewinn an erster Stelle stand. Jetzt wird uns die geringe Zahl von Pfleger*innen und die Einsparungen an nicht so gewinnträchtigen Bereichen erst recht auf die Füße fallen. Wir alle können nur hoffen, dass die schrecklichen Bilder aus Italien in Deutschland nicht Realität wird und niemand in Deutschland gezwungen ist, über Leben und Tod zu entscheiden, weil Beatmungsgeräte fehlen.

Den Ernst der Lage hat die Bundesregierung bereits erkannt. Es wird viel Geld in die Infrastruktur der Sozial- und Gesundheitssysteme gepumpt. Geld, was häufig vorher eingespart wurde. In der Krise zeigt sich der Charakter, sagt man. Hoffen wir, dass von ihm nach der Krise etwas übrig bleibt.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de