Zum Hauptinhalt springen

Kinder- und Jugendarbeit während und nach Corona: Krise? Können wir! Wollen wir aber nicht mehr!

In der Kinder- und Jugendarbeit gehört Kreativität im Umgang mit kleinen und großen Herausforderungen zum Alltag. Sie kommt jedoch an ihre Grenzen, falls der Coronakrise nun noch eine kommunale Haushaltskrise folgt. Die Kinder- und Jugendarbeit droht kaputt gespart zu werden. Dabei wird sie gerade jetzt gebraucht: Bei der Bewältigung der gesellschaftlichen und sozialen Folgen der Krise.

Wer in der Kinder- und Jugendarbeit zu Hause ist, kann Krise. Seit Jahrzehnten werden die Angebote für Kinder und Jugendliche vom Jugendzentrum bis zum Mädchenhaus über das Theaterlabor und die schwul-lesbische Jugendarbeit in kommunalen Haushalten klein gehalten. Wenn es darauf ankommt, dann wird auch gern als erstes an diesen sogenannten „freiwilligen Leistungen“ im kommunalen Haushalt gespart (um es klarzustellen: Die Kinder- und Jugendarbeit ist keine freiwillige kommunale Leistung, sondern im Sozialgesetzbuch als Infrastrukturaufgabe fest verankert). Ein ganz klein bisschen hatte sich der Abwärtstrend in den letzten Jahren umgekehrt. Angesichts wachsender demokratiefeindlicher Einstellungen unter Jugendlichen sahen Kommunen, Länder und auch der Bund Handlungsbedarf, die Kinder- und Jugendarbeit als wichtigen Zugang zu Kindern und Jugendlichen sämtlicher sozialer und sonstiger Herkünfte zu stärken. Trotzdem ist die Kinder- und Jugendarbeit schon zu lange prekäre Arbeitsverhältnisse und marode Ausstattungen, ein Hangeln von Projekt zu Projekt, jedes Jahr wieder, mit hohen administrativen Anteilen statt pädagogischer Arbeit gewohnt. Was zeichnet die Kinder- und Jugendarbeit aus? Ihre Kreativität trotzdem immer wieder Wege zu finden, für die Kinder und Jugendlichen vor Ort da zu sein, Angebote zu machen, Angebote an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen anzupassen, sich neues auszudenken.

Schönreden ist an dieser Stelle bestimmt nicht angebracht. Jedoch ist in den letzten Monaten sichtbar geworden, dass die Coronakrise die Kinder- und Jugendarbeit mit diesem Potenzial an Kreativität und Beweglichkeit nicht kleinbekommen hat. Die Voraussetzungen waren Ende März alles andere als rosig. Die Präsenzangebote wurden von einem Tag auf den anderen eingestellt, die Finanzierung stand in vielen Kommunen schnell in Frage. Während sich die Mitarbeiter*innen vor Ort sofort um alternative Angebote gekümmert haben, musste parallel in den Kommunen und auf Landesebene verhandelt werden, die Angebote und Trägerstrukturen so finanziell auszustatten, dass sie trotz physischer Abwesenheit der Kinder und Jugendlichen die Corona-Zeiten wirtschaftlich überstehen. Das wichtigste Argument darin: Wir sind weiter für die Kinder und Jugendlichen da! Wenn nicht physisch, dann auf jeden Fall digital, wie zum Beispiel viele Träger des Paritätischen Jugendwerkes in NRW bewiesen. Sie nutzen nach dem Lockdown die Sozialen Medien, um mit „ihren“ Jugendlichen in Kontakt zu. Beratung, Kontaktangebote („mal eben quatschen, wenn Dir die Decke auf den Kopf fällt“), Unterstützung bei Hausaufgaben, einfach „da sein“ und den Kontakt zu den Jugendlichen halten, diese Angebote hielten und halten viele auch in der Krise aufrecht. Die Einrichtungen haben nach der Schließung kurzfristig Online-Angebote für ihre Jugendlichen entwickelt, bieten ganze Tages- und Wochenpläne. Das Jugendzentrum Sitdown von „Leben im Stadtteil e.V.“ aus Bochum bietet z.B. ein tägliches Programm für Kinder und Jugendliche an. Beim Life House in Stemwede laufen auch Hausaufgabenhilfe und Sprechstunden über verschiedene Plattformen. Andere Träger bieten täglich eine Idee, was man so zu Hause machen könnte, zum Beispiel der Treffpunkt 13drei des Trägers Kreisel e.V. in Emsdetten. Diese Liste an Angeboten und Aktivitäten trotz Corona kann allein für NRW endlos weitergeführt werden. Fakt ist: Die Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendarbeit waren da und haben die Kinder und Jugendlichen in ihren jeweiligen Situationen nicht im Regen stehen lassen. Kinder und Jugendliche wurden vor allem nicht ausschließlich zu Schüler*innen oder Corona-Superspreadern degradiert, sondern mit ihren altersspezifischen Anliegen in solch ungewöhnlicher Zeit wahrgenommen.

 

Nun zeichnet sich aber schon die nächste Herausforderung ab. Die Sommerferien stehen vor der Tür und es bleibt wieder für einen nicht unwesentlichen Zeitraum von sechs Wochen die Frage, welche Angebote der Kinder- und Jugendarbeit wie möglich sind. Sogenannte „Öffnungsstrategien“ werden erarbeitet. Maßnahmen wie kleine Anwesenheitszahlen, Abstandsregelungen, Maskenpflicht, Lüftungszeiten, Händewaschen etc. sind der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen natürlich nicht besonders zuträglich. Aber für viele Mitarbeiter*innen ist trotzdem klar, dass der eigene Sommerurlaub gestrichen wird. Gerade jetzt ist der physische Kontakt nach der langen rein digitalen Kommunikation entscheidend, um das Vertrauen und die Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen aufrechtzuerhalten und die Erlebnisse in der Coronazeit gemeinsam zu bearbeiten. Die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit halten, was sie seit Jahrzehnten versprechen und leben: Wir sind für euch da!

Doch dunkle Wolken ziehen an den kommunalen Horizonten auf. Nach der Coronakrise ist vor der kommunalen Haushaltskrise. Viele Kommunen kündigen jetzt schon Haushaltssperren und Sparmaßnahmen in Folge der Corona-Maßnahmen an. Im Visier u.a. mal wieder die sogenannten „freiwilligen kommunalen Leistungen“, darunter auch die Kinder- und Jugendarbeit. Doch so weit darf es nicht kommen. Gerade jetzt sind Kinder und Jugendliche endlich in den Fokus politischer und haushalterischer Entscheidungen zu rücken. Sie und ihre Rechte waren kein Maßstab im Zuge des Lockdown, umso mehr müssen sie nun Maßstab der Bewältigung der gesellschaftlichen und sozialen Folgen von Corona sein! Die Kinder- und Jugendarbeit ist darin eine gewichtige Partnerin. Nach der Corona-Krise nun direkt in die nächste Finanzierungskrise? Bei aller Krisenerprobtheit: Nein danke! Die Kinder- und Jugendarbeit darf nicht kaputt gespart werden!

Autorin:
Juliane Meinhold, Referentin für Kinder- und Jugendhilfe beim Paritätischen Gesamtverband

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de