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Neue Auswege aus der Schuldenfalle?: Restschuldbefreiung nach drei Jahren – für Verbraucher*innen nur auf Bewährung

Schulden werden für viele aus unterschiedlichsten Gründen zur Falle, aus der sie nur schwer wieder herausfinden. Jetzt will die Bundesregierung das Insolvenzrecht reformieren. Wolfgang Lippel von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Paritätischen Nienburg und Alexander Elbers, Fachreferent für Schuldner*innenberatung beim Paritätischen Nordrhein-Westfalen, arbeiten seit Jahrzehnten in diesem Bereich. Sie bezweifeln, dass die Gesetzesänderungen den Ausweg aus der Schuldenfalle wirklich erleichtert und fordern Nachbesserungen.

Das Bundesjustizministerium macht jetzt Ernst mit der lang erwarteten Umsetzung der EU-Richtlinie zur Restschuldbefreiung. Zentraler Punkt ist dabei die Verkürzung des Verfahrenszeitraums, nach dem ein*e Schuldner*in in einem Insolvenzverfahren von der Restschuld befreit wird, auf drei Jahre. Im Gesetzentwurf ist das auch für Privatpersonen und nicht nur für Gewerbetreibende vorgesehen. Dies begrüßt der Paritätische vorbehaltlos, äußert aber deutliche Kritik an anderen Inhaltes des Gesetzes. So soll für Verbraucher*innen die Verkürzung der sogenannten Wohlverhaltensperiode von jetzt sechs auf drei Jahre nur für eine Übergangszeit bis zum 30.06.2025 gelten. Eine Entfristung soll von ihrem Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten abhängig gemacht werden.

Damit wird ein Menschenbild von Überschuldeten gezeichnet, das völlig überholt und wissenschaftlich widerlegt ist. Die bereits vor Einführung der Insolvenzordnung vor über 20 Jahren formulierte Sorge vor einem Verfall der Zahlungsmoral, hat sich bis heute als gegenstandslos erwiesen. So ist die Kreditrückzahlungsquote laut SCHUFA mit fast 98 Prozent weiterhin sehr hoch – trotz der schon bestehenden Möglichkeit von Insolvenzverfahren. Gründe für die Überschuldung sind laut dem Hamburger Institut IFF seit vielen Jahren die Wechselfälle des Lebens wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, gescheiterte berufliche Selbstständigkeit und andere. Die Vermutung, dass Menschen mutwillig Schulden eingehen, um sich anschließend durch ein (verkürztes) Insolvenzverfahren davon zu befreien, ist dagegen völlig abwegig und hat mit der Realität nichts zu tun.

Andere Punkte laufen der erklärten Absicht der Justizministerin zuwider, Überschuldeten einen schnellen Neustart zu ermöglichen. So soll die Sperrfrist für ein neues Verfahren, wenn vielleicht ein Neustart auch nicht geklappt hat, auf elf Jahre erhöht werden. Zudem ist auch noch eine Verlängerung der Verfahrenslaufzeit auf fünf Jahre vorgesehen. Außerdem sollen die Auskunftsdateien wie zum Beispiel die SCHUFA weiterhin die Möglichkeit haben, noch drei Jahre nach Verfahrensbeendigung diese Information zu speichern. Das ursprüngliche Vorhaben, diese Eintragung auf ein Jahr zu verkürzen, wurde aufgegeben. Damit wird überschuldeten Menschen ein Neuanfang, z.B. beim Abschluss von Miet- oder Energielieferverträgen deutlich erschwert.

Das alles führt dazu, dass eine wirtschaftliche Eingliederung von ehemals Überschuldeten in die Gesellschaft weit hinausgezögert wird. Das widerspricht der eigentlichen Intention des Gesetzes. Bisher wird ein Insolvenzverfahren von zwei Parteien getragen: Dem oder der Gläubiger*in und dem oder der Schuldner*in. Jetzt wird im Gesetzentwurf allerdings den Insolvenzgerichten die Möglichkeit gegeben, aufgrund "unangemessener Verbindlichkeiten" der Schuldner*innen auch ohne Gläubigerantrag die Schuldbefreiung zu verweigern. Das ist nicht nur ein Bruch mit dem bisherigen System, sondern zeugt auch von einem massiven Misstrauen gegenüber den Überschuldeten.

Angesichts von fast sieben Millionen Überschuldeten in Deutschland, sollte natürlichen Personen, seien sie beruflich selbstständig oder auch nicht, ein möglichst schnelles, einfaches und für alle geltendes Verfahren ermöglicht werden. Dies ist sowohl im staatlichen Interesse als auch im Interesse der Überschuldeten und der Gläubiger*innen. Eine lediglich befristete Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens ist kein sinnvoller Beitrag zu einer schnellen Wiedereingliederung. Gerade hinsichtlich des zu erwartenden Anstiegs der Überschuldungen und Insolvenzen im Zug der Corona-Pandemie ist dies erforderlich – und zwar unbefristet.

Autoren:
Wolfgang Lippel und Alexander Elbers

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de