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Unsichtbare Jugendliche!? Die Ausbildungssituation in Zeiten der Coronakrise

In der Coronakrise fehlt Zehntausenden der Zugang zu einer Ausbildung. Insbesondere Jugendliche mit geringen oder keinen Schulabschlüssen drohen zu „Corona-Verlierer*innen“ zu werden. Birgit Beierling hat sich die Zahlen und die damit verbundenen Probleme genauer angesehen. Sie ist Referentin für Jugendsozialarbeit in der Abteilung Soziale Arbeit des Paritätischen Gesamtverbandes.

Viele Jugendliche sind verunsichert. Sie erleben, dass die letzte Ausbildungsvorbereitung in den Schulabgangsklassen der Corona-Pandemie zum Opfer fiel, Praktika und vorbereitende Gespräche mit Betrieben konnten im letzten halben Jahr kaum noch stattfinden. Vertraute Lehrkräfte standen im Berufswahlprozess und der letzten Bewerbungsphase nicht ausreichend zur Verfügung. Die Bundesagentur für Arbeit war zu persönlichen Gesprächen nicht wie gewohnt erreichbar. Viele Jugendliche waren jetzt, mehr noch als in den Jahren zuvor, auf die ausschließliche Unterstützung ihrer Familien angewiesen. So wundert es erst einmal nicht, dass 43.000 Bewerber*innen weniger den (virtuellen) Weg zur Bundesagentur für Arbeit geschafft haben.

Fest steht: Die Corona-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt. Die wirtschaftlichen Herausforderungen der Unternehmen lassen vermuten, dass die Zahl der zur Verfügung gestellten betrieblichen Ausbildungsplätze in diesem Sommer erheblich sinkt. Von Oktober 2019 bis Juni 2020 wurden der Bundesagentur für Arbeit mit ca. 479.000 betrieblichen Berufsausbildungsstellen insgesamt knapp 47.000 Ausbildungsstellen weniger gemeldet als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (Verlust von neun Prozent). Um dem entgegenzuwirken ist das Programm „Ausbildung sichern“ im Kontext des Konjunkturpaketes vom Bundestag beschlossen worden. Ein guter Schritt, um betriebliche Ausbildungsplatzangebote trotz Corona-Pandemie möglichst zu sichern.

Aber nicht nur die Ausbildungsplatzangebote, sondern auch die Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden geht spürbar zurück. Bei der Bundesagentur für Arbeit waren zwischen Oktober 2019 und Juni 2020 ca. 417.000 Bewerber*innen gemeldet, knapp 43.000 weniger als im Vorjahr (1).

In seiner Vorausschätzung für die Entwicklung des Ausbildungsmarktes 2020 ging das Bundesinstitut für Berufsbildung davon aus, dass die Ausbildungsplatznachfrage im Vergleich zu 2018/2019 um ca. 14.000 Personen zurückgehen werde (2). Diese Zahl basiert auf den Annahmen, dass die Zahl der Schulabsolvent*innen und der Ausbildungsinteressierten in 2020 leicht rückläufig ist. Allerdings weicht ein Rückgang um 43.000 Bewerber*innen für betriebliche Berufsausbildungen erheblich von diesen Prognosen ab und verweist auf eine durch Corona-bedingte Situation nicht unterstützter Schulabgänger*innen hin.

Es ist befürchten, dass insbesondere Jugendliche mit geringem oder keinem Schulabschluss das Nachsehen haben und zu „Corona-Verlierern“ werden. Schon in den vergangenen Jahren waren die Chancen für Jugendliche mit Hauptschulabschluss beim Übergang in Ausbildung deutlich begrenzt. Nur etwa 28 Prozent der betrieblichen Ausbildungsverhältnisse wurden im vergangenen Ausbildungsjahr mit Jugendlichen mit Hauptschulabschluss oder gar ohne Schulabschluss geschlossen. Angesichts von Corona bleibt offen, ob diese Zahl überhaupt wieder erreicht werden kann. Daher stellt sich die Frage, welche Rahmenbedingungen wir den Jugendlichen auch oder gerade in Corona-Pandemie-Zeiten überhaupt bieten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Jugendphase eine Zeit der Verunsicherung, des Ausprobierens und der Orientierung ist. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist in Corona-Zeiten besonders schwierig.

Wenn jetzt auch noch die „Corona-Verlierer“ beinahe wie von Zauberhand aus der Statistik verschwinden, werden sie für uns alle unsichtbar. Die Jugendlichen melden sich nicht als Bewerber*innen bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Unternehmen mit schwierigen betriebswirtschaftlichen Ausgangslagen melden keine oder kaum freie Ausbildungsplätze. Im Ergebnis sind das ca. 40.000 Ausbildungsverträge weniger, aber sicher kein ausgeglichener Ausbildungsmarkt!

In der Konsequenz wird das bedeuten: Noch mehr Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ohne berufliche Perspektive und noch mehr Mangel an Fachkräften! Noch mehr junge Menschen mit erhöhtem Risiko (weiterhin) von Lohnersatzleistungen zu leben. Wir sind alle gefordert diese jungen Menschen wieder sichtbar zu machen und ihnen Unterstützung anzubieten.

Weitere Informationen:

Paritätischer fordert angesichts der Corona-Pandemie bundesweite Sicherung der Ausbildung 

Quellen:

(1) Statistik der Bundesagentur für Arbeit Bewerber und Berufsausbildungsstellen, Nürnberg, Juni 2020

(2) Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020 (Vorabversion 06.05.2020), Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn 2020, S. 61-62

Autorin:
Birgit Beierling

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de