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Große Hoffnung, wenig Erwartung: Die Corona-KiTa-Rat-losigkeit

In der kommenden Woche ruft Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey zum ersten Mal den „Corona-KiTa-Rat“ zusammen. Niels Espenhorst, Referent für Kindertageseinrichtungen/Tagespflege beim Paritätischen Gesamtverband, sieht acht Kernprobleme, mit denen die Kindertagesbetreuung in der Corona-Krise konfrontiert sind. Angesichts der langen Liste an Herausforderungen bezweifelt er, dass das neue Gremium substantielle Fortschritte erzielen kann.

Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey gründet einen Arbeitskreis, der sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Kindertagespflege befasst. Man möchte sagen: Endlich! Knapp fünf Monate mussten vergehen, bevor es zu diesem Schritt kam. Ein Schritt, der in den Bundesländern längst vollzogen wurde. Dort gibt es seit dem Frühjahr einen intensiven Austausch zwischen Ministerien, Kommunen, Verbänden, Gewerkschaften und Eltern.

Man hat zwar im Konjunkturpaket die Kindertagesbetreuung mit einer Milliarde Euro bedacht, die auch für Hygienemaßnahmen verwendet werden können, aber dies ist lediglich die Fortsetzung des seit 2008 laufenden Ausbau-Programms des Bundes. Die Mittel aus diesem Fördertopf wären Ende des Jahres ausgelaufen, ohne dass der benötigte Ausbau von Kindertagesbetreuungsplätzen erreicht wäre. Etwas substanziell Neues ist diese Maßnahme nicht.

Jetzt soll es also der Corona-KiTa-Rat richten, der sich am 31. August 2020 zum ersten Mal zusammensetzt. Noch ist unklar, welche Verbesserungen dieser Rat wirklich erzielen kann. Die Liste der Herausforderungen ist jedenfalls sehr lang. Will sich der Rat ernsthaft mit den Konsequenzen der Corona-Pandemie auseinandersetzen, dann gehören folgende Themen unbedingt auf die Agenda:

Einrichtungsspezifische Hygieneplanung durch die öffentlichen Gesundheitsdienste: Alle Kindertageseinrichtungen müssen derzeit ihre Hygienekonzepte überarbeiten und neu aufstellen. Es muss dabei auch das lokale Infektionsgeschehen berücksichtigt werden und die Pläne schnell an ein Ansteigen oder Abflauen der Infektionszahlen angepasst werden, z.B. für gruppenübergreifende Früh- und Spätdienste und offenes Arbeiten. Dabei erhalten die Träger oftmals nicht die nötige Unterstützung durch Jugend- und Gesundheitsämter. Eine schlechte Kooperation macht sich im Ernstfall bei der Schließung von Einrichtungen im Fall einer SARS-CoV-2-Infektion im Kontaktcluster einer Einrichtung bemerkbar. Hierfür braucht es eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Akteuren und eine zielgerichtete Beratung und Unterstützung der Kindertagesbetreuung. Der Bund könnte dies beispielsweise durch ein Sonderprogramm fördern und bei der Entwicklung von guter Praxis mitwirken. Zudem braucht es Orientierungswerte für das Risikomanagement, ab wann Hygienemaßnahmen zu eskalieren sind.

Fast-Lane-Testung von Mitarbeitenden von Bildungsinstitutionen: Gemeinsam mit den Ländern müssen Verfahren implementiert werden, um den Mitarbeitenden von Kindertageseinrichtungen unkompliziert und schnell Zugang zu Testmöglichkeiten zu eröffnen und auch schnell die Testergebnisse zu erhalten. Die derzeitigen Testmöglichkeiten sind teilweise zeitaufwendig und kompliziert und nicht auf die Pool-Testung ganzer Einrichtungen ausgelegt. Betroffene Fachkräfte fallen dadurch wesentlich länger aus, weil sie mehrere Tage auf die Testergebnisse warten müssen. Dieses Problem dürfte die ohnehin schon sehr angespannte Personalsituation im Herbst erheblich verschlechtern.

Mitarbeitenden mit einem erhöhten Risiko auf einen schweren Verlauf: Bislang noch ungeklärt ist, wie die Finanzierung von Mitarbeitenden mit einem erhöhten Risiko auf einen schweren Verlauf dauerhaft gewährleistet werden soll. Diese können vielfach mittelbare pädagogische Aufgaben erledigen und dadurch die Fachkräfte im direkten Kontakt mit Kindern erheblich entlasten. Wenn allerdings mehr als eine Fachkraft dauerhaft ausfällt, benötigen Träger zusätzliche Unterstützung, um die Bildung, Betreuung und Erziehung zu gewährleisten.

Fachkräftegewinnung: Die Corona-Pandemie verschärft den Fachkräftemangel. Die fehlende Weiterführung des Bundesprogramms Fachkräfte-Offensive ist ein denkbar schlechtes Signal für die Kindertagesbetreuung. Es braucht jetzt und in den kommenden Jahren mehr Ausbildungsplätze, aber auch mehr Quereinsteigende, Verwaltungskräfte und erweiterte Möglichkeiten für multiprofessionelles Arbeiten. Damit gleichzeitig die Qualitätsstandards nicht sinken, braucht es auch ausreichend Zeit für Anleitung. Diese riesige Aufgabe kann nur gemeinsam mit Kommunen, Länder und Bund gelingen. Bislang bleibt der Bund aber Antworten darauf schuldig, wie er sich bei dieser Aufgabe einbringen will.

Digitalisierung: Schulische Bildung ohne digitale Techniken ist in der Corona-Pandemie kaum denkbar. Jetzt zeigen sich die erheblichen Vorteile, die eine frühzeitige Implementierung und Anwendung von technischer Hardware und Know-How ergeben. Leider trifft das auf die Kindertagesbetreuung nicht zu. Nur mühselig konnte während des Lockdowns der Kontakt zwischen Fachkräften und Kindern gehalten werden, in den meisten Fällen mussten Fachkräfte ihre privaten Geräte dafür nutzen. Es braucht dringend ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Schaffung einer digitalen Infrastruktur in Kindertageseinrichtung, für eine moderne, digitale und einheitliche Verwaltungssoftware und entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung. Der Bund greift dies ein Stück weit in der Fortsetzung des Bundesprogramms Sprach-Kitas auf, allerdings muss der Bund in Ergänzung dazu eine mittel- und langfristige Perspektive bieten.

Gezielte Qualitätsentwicklung: Der Corona-KiTa-Rat muss sich auch mit der Post-Corona-Planung befassen. Dazu gehört insbesondere, wie sich das Qualitätsentwicklungsgesetz (vulgo Gute-KiTa-Gesetz) nach 2022 fortschreiben lassen kann. Der bisherige anything goes-Ansatz muss angesichts der beschränkten Mittel als gescheitert angesehen werden. Besser wäre eine zielgerichtete Weiterentwicklung, die die Erwartung nicht ins Unermessliche schraubt. Der Bund könnte gezielt in ausgewählte qualitätssichernde Maßnahmen investieren, die auch die Vernetzung und die Kommunikation zwischen den Akteuren verbessern. Die Institutionen als solche müssen ebenso wie die Steuerung des Systems gestärkt werden.

Vereinbarkeit: Der Corona-Kita-Rat muss auch die Situation der Familien berücksichtigen. Der Anspruch auf Kinderkrankengeld ist vielfach bereits jetzt aufgebraucht. Für jeden weiteren Tag, an dem das Kind mit Erkältungssymptomen zu Hause bleiben muss, entstehen Familien Gehaltseinbußen. Eine Idee wäre die Anzahl der Kind-krank-Tage in diesem Jahr (ggf. länger) zu entfristen, um Eltern zu entlasten.

Anwendungsorientierte Forschung: Und schließlich sollte der Corona-Kita-Rat im Auge behalten, dass die Corona-Kita-Studie anwendungsorientiert durchgeführt wird und Daten erhoben und veröffentlicht werden, die als Steuerungswissen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene benötigt werden.

Angesichts dieser Herausforderungen, die sich auch durch die Versäumnisse der Vergangenheit ergeben, darf man skeptisch sein, dass der Corona-KiTa-Rat zeitnah Lösungen für diese Probleme findet.

Autor:
Niels Espenhorst

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de