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Weder Schutzraum noch Lebensort – die Situation geflüchteter Kinder und Jugendlicher nach der Katastrophe in Moria

Unter den geflüchteten Menschen, die in Griechenland in den Lagern festsitzen, sind etwa 5.000 unbegleitete Kinder und Jugendliche. Die Katastrophe von Moria hat auf die Spitze getrieben, was schon vorher deutlich wurde – die Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche brauchen Schutz und einen Lebensort. Flüchtlingslager bieten beides nicht! Brennende Flüchtlingslager können die humanitäre Katastrophe nicht deutlicher machen.

Die aktuelle Flüchtlingspolitik der EU und Griechenlands lassen sich dabei so zusammenfassen: Die EU und die einzelnen EU-Länder haben kein Fünkchen Interesse an Geflüchteten innerhalb ihrer Grenzen und verschließen sämtliche Augen ob der Zustände, denen die Menschen ausgeliefert sind. Griechenland steht nach wie vor flüchtlingspolitisch an der Wand. Dies wird untermauert durch vier Jahre EU-Türkei-Deal und aktuelle Asylverschärfungen der konservativ-rechten griechischen Regierung. Real heißt das für die Menschen: Absolute Schutzlosigkeit, keine fairen Asylverfahren, elende Zustände in den Lagern, keine Perspektive, aufbegehrende griechische Bürger*innen, Rückschiebungen auf dem Meer Richtung Türkei, die noch mehr Tote produzieren, immer mehr NGOs, denen der Geldhahn zugedreht wird. Und oben drauf: Corona. Die Lager dürfen nicht mehr verlassen werden, was die hygienische und gesundheitliche sowie soziale Katastrophe weiter verschärft. Abstandsregeln und Schutzausrüstung sind angesichts dieser Zustände sowieso eine Farce. Insbesondere für unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche potenzieren sich die Gefahren dieser Situation. Sie sind noch schutzloser.

Enttäuschte Hoffnungen für viele hilfsbedürftige, unbegleitet geflüchtete Kinder und Jugendliche

Was ist die Reaktion der Bundesregierung? Trotz der dramatischen Lage konnte sich die Große Koalition nach Aufforderung der EU-Kommission Anfang 2020 nur dazu durchringen, gemeinsam mit sechs weiteren EU-Staaten insgesamt 1.600 unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufzunehmen. Laut Bundesinnenministerium sollen bis zu 350 unbegleitet geflüchtete Kinder und Jugendliche nach Deutschland kommen können. Am 18. April 2020 reisten 47 Flüchtlingskinder aus Griechenland ein und wurden in Niedersachsen zunächst zwei Wochen unter Quarantäne gestellt.

Das Auswahlverfahren muss ein Desaster gewesen sein. Im Koalitionsbeschluss vom 8. März 2020 heißt es: "Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen." Viele Organisationen erstellten Listen mit besonders gefährdeten Kindern. Es wurden Namen und Daten von mehr als 150 Kindern, die wegen schwerer Erkrankungen dringend evakuiert werden müssten, gesammelt. Keines dieser Kinder war unter den 47 eingereisten. Pro Asyl wirft dem Bundesinnenministerium daher "Etikettenschwindel" vor. Zahlreiche Fälle hatten sowieso einen Rechtsanspruch nach Deutschland zu kommen.

Aufnahme scheitert nicht am Platz oder der Hilfsbereitschaft der Kommunen – sondern an der Blockade der Bundesregierung

Gegen diese klägliche Aktion des Bundes haben sich 140 Städte in Deutschland zu "Sicheren Häfen" erklärt. Städte und Landkreise haben ihre Bereitschaft bekundet, Geflüchtete über den Verteilschlüssel hinaus aufzunehmen. Mittlerweile gab es Zugeständnisse der Bundesregierung hinsichtlich der Aufnahme von kranken Kindern und Jugendlichen und ihren Familien. Bis zu weiteren 1.000 Menschen sollen aus Griechenland aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland einreisen dürfen.

Der Bundesverband unbegleitet minderjähriger Flüchtlinge (BumF) zeigt auf, dass seit dem 05. Dezember 2019 die Zahl junger Geflüchteter, die im Rahmen der Kinder und Jugendhilfe betreut und versorgt werden von 30.408 auf 26.432 gesunken ist. Zahlreiche Plätze in Jugendwohngruppen sind damit frei. Viele Jugendhilfeträger funktionieren frei gewordene Kapazitäten bereits in andere Angebote um.

Eine Umfrage des BumF unter seinen Mitgliedsorganisationen hat ergeben, dass in kürzester Zeit hochgerechnet etwa 2.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter Wahrung des Infektionsschutzes in Jugendwohngruppen aufgenommen werden könnten – mit Vorlauf könnten es deutlich mehr sein.

Es gibt also genügend Anlass und zu wenig Hürden, um endlich möglichst viele der geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus den Lagern in Griechenland zu holen. Jede "Auswahlliste" für einige wenige muss uns dabei im historischen Halse stecken bleiben. Nach Moria erst recht. Die Jugendhilfe kann und – der Aussage vieler Städte und Landkreise folgend – will hier aktiv werden. Allein: der politische Wille der Bundesregierung fehlt.

Autorin:
Juliane Meinhold ist Referentin für Kinder- und Jugendhilfe in der Abteilung Soziale Arbeit des Paritätischen Gesamtverbandes

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de