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Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen: Eine Welt ohne Armut ist möglich

Armut ist ein Problem, das weltweit Millionen Menschen betrifft. Die Weltgemeinschaft hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, extreme Armut in den kommenden zehn Jahren zu überwinden. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Vorhaben? Und wie steht es eigentlich um die Armutsbekämpfung in Deutschland?

Eine Welt ohne Armut ist eine notwendige und erreichbare Vision – weltweit ebenso wie vor Ort. Die Weltgemeinschaft hat sich diese Vision im September 2015 mit der Resolution „Transforming our World: the 2030 Agenda for Sustainable Development“ zu eigen gemacht. Die Bekämpfung von Armut gilt nach dieser Resolution zurecht als ein prioritäres Ziel der globalen Nachhaltigkeitsstrategie, denn Nachhaltigkeit bedeutet mehr als ökologische Modernisierung. Nachhaltigkeit ist ohne soziale Dimension nicht zu denken. Bis 2030 soll nach der Agenda 2030 „extreme“ Armut – verstanden als ein Einkommen von weniger als 1,90 $ am Tag – vollständig abgeschafft werden. Andere Formen der Armut sollen bis 2030 halbiert werden.

Paritätischer Wohlfahrtsverband und Agenda 2030

Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist als einer der sechs Wohlfahrtsverbände in Deutschland ein Dachverband von insgesamt über 10.000 Mitgliedsorganisationen, die in allen Bereichen der sozialen Arbeit und Selbsthilfe aktiv sind. Der Verband ist der Idee der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet und unterstützt daher alle Aktivitäten gegen Armut und soziale Ungleichheit und damit eng verbundene soziale Probleme wie Hunger, unzureichende soziale Absicherung oder soziale Ausgrenzung. Wir begrüßen die Ziele der UN-Agenda 2030 als Unterstützung unserer eigenen täglichen Aktivitäten und setzen uns weltweit und in Deutschland für eine sachgerechte Umsetzung ein.

Armut als Folge ungleicher Verteilung

Armut ist die Folge der ungleichen Verteilung der Reichtümer dieser Erde. Dabei gilt unverändert: Eine andere Welt ist möglich. Eine Welt ohne Armut ist möglich. Dafür müssen die im Grundsatz für alle ausreichend vorhandenen Ressourcen anders und gerecht verteilt werden. Es braucht dafür den entsprechenden politischen Willen. Eine Stärkung der Bildung für nachhaltige Entwicklung kann dabei zu einem besseren Verständnis der Ursachen und globalen Zusammenhänge sozialer Ungerechtigkeiten beitragen. Diese Kenntnisse sind nicht zuletzt auch eine Voraussetzung dafür, um auf Missstände aufmerksam machen sowie politische Forderungen zur nachhaltigen Bekämpfung von Armut aufstellen zu können.

Armutsbekämpfung

In den vergangenen Jahrzehnten konnten durchaus Fortschritte in der globalen Armutsbekämpfung beobachtet werden. Der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist nach Angaben der Vereinten Nationen von 36 Prozent im Jahr 1990 auf zehn Prozent im Jahr 2015 gesunken. Seit 1990 konnten laut Bericht der Vereinten Nationen damit rund eine Milliarde Menschen weltweit der extremen Armut entkommen. Jedoch verlangsamt sich seit einigen Jahren das Fortschrittstempo. Die Vereinten Nationen gingen bereits 2019, also vor der Covid-19-Pandemie, davon aus, dass 2030 noch immer sechs Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut leben werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Erfolge in der Verringerung der Armut nur in bestimmten Regionen zu verzeichnen sind: Während z.B. Südasien in der Armutsbekämpfung deutliche Fortschritte erreicht hat, bleibt die extreme Armut in Subsahara-Afrika beharrlich hoch. Aufgrund von Konflikten, politischen Unruhen, spürbaren Auswirkungen des Klimawandels sowie niedrigen Einkommen reicht es bei vielen nicht einmal für eine minimale Sicherung ihres Lebens.

Folgen der Covid-19-Pandemie

Hinzu kommt nun die Covid-19-Pandemie. Viele Staaten reagier(t)en mit Lockdowns und Reisebeschränkungen, um die Pandemie einzudämmen. Die Maßnahmen, die aus medizinischer Sicht sinnvoll und notwendig sind, haben jedoch enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Situation der Menschen. Durch Betriebsschließungen und Ausgangsbeschränkungen sind viele Menschen von Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten betroffen. Vor allem informell und prekär beschäftigte Personen spüren die Auswirkungen besonders stark, denn sie werden seltener durch nationale Hilfsprogramme oder soziale Sicherungssysteme aufgefangen. Für das Jahr 2020 kann nun ein erster Anstieg der globalen Armut seit Jahrzehnten festgestellt werden; 71 Millionen Menschen mehr als erwartet werden 2020 nach ersten Einschätzungen der Vereinten Nationen in extremer Armut leben. Die erzielten Erfolge der vergangenen Jahre zur Bekämpfung der weltweiten Armut werden damit um Jahre zurückgeworfen. Das erste Nachhaltigkeitsziels, extreme Armut bis 2030 weltweit zu überwinden, scheint wenig realisierbar.

Armut in Deutschland

Die Agenda 2030 verpflichtet zu entsprechenden Aktivitäten innerhalb jedes einzelnen Landes. Auch in Deutschland gibt es – wie in den jährlichen Armutsberichten des Paritätischen aufgezeigt – erheblichen Handlungsbedarf. Trotz der günstigen ökonomischen Entwicklung in den Jahren vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren 2019 fast 16 Prozent der Bevölkerung – mehr als 13 Millionen Menschen – nach offiziellen Angaben von Armut bedroht. Leider ist nicht zu erkennen, dass für die Bundesregierung der Einsatz gegen Armut und soziale Ungleichheit eine wichtige Rolle spielt. Eine entsprechende Politik der gerechten Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen ist in Deutschland nicht zu erkennen. Im Gegenteil zeugt das Verhalten eher von Ignoranz gegenüber dem Problem.

Das zeigt sich auch in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, mit der die globalen Ziele von der Bundesregierung umgesetzt werden sollen. „Extreme“ Armut wird für Deutschland per se als nicht einschlägig ausgeschlossen. Armut wird stattdessen von der Bundesregierung interpretiert als „materielle Deprivation“. Damit wird das Fehlen von grundlegenden Gütern und Diensten in den Haushalten beschrieben – etwa dem finanziell erzwungenen Verzicht auf ein Auto, eine Waschmaschine, ein Telefon oder auch auf einen kurzen Urlaub. Je nachdem, wie viele dieser insgesamt neun Güter Haushalte sich nicht leisten können, gelten sie als „depriviert“ oder „erheblich depriviert“. Mit diesem Vorgehen wird von dem etablierten Maßstab der Bestimmung von Armut in Deutschland und der EU grundlegend abgewichen. Armut ist nicht mehr ein – jeweils im Verhältnis zum nationalen Durchschnitt zu interpretierendes – unzureichendes Einkommen, sondern das Fehlen von grundlegenden Gütern. Die angenehmen Effekte dieser Definition: Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums am unteren Ende wird nicht länger problematisiert. Und die Zahlen und Quoten sind mit rund acht Prozent (depriviert) und gut drei Prozent (erheblich depriviert) deutlich geringer. Die soziale Situation wirkt deutlich positiver. Dies grenzt an Schönfärben durch methodische Tricks. Und wie sieht es aus mit der angestrebten Halbierung der Armut bis 2030? Davon bleibt nicht viel. Als Ziel für das Jahr 2030 nimmt sich die Bundesregierung lediglich vor, auch 2030 noch besser dazustehen als die anderen EU-Länder.

Den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Wandel in Gang setzen

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich die Rahmenbedingungen für eine Politik gegen Armut und Ausgrenzung weltweit wie in Deutschland deutlich verschlechtert. Eine grundlegende und ehrgeizige Reaktion ist notwendig, um den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Wandel in Gang zu setzen, der erforderlich ist, um die Ziele der Agenda 2030 trotzdem noch zu erreichen.

Der Beitrag erschien zuerst im „Rundbrief Bildungsauftrag Nord-Süd“.

Autor*innen:

Marta Bociek ist Referentin für Humanitäre Auslandshilfe sowie Internationale Kooperation.

Dr. Andreas Aust ist Referent für Sozialpolitik der Paritätischen Forschungsstelle beim Paritätischen Gesamtverband.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de