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Erfahrungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Corona-Pandemie – Informationsdefizite und Herausforderungen digitaler Teilhabe

Informationen in Leichter Sprache sind rar gesät und nicht immer zugänglich. Gerade in der derzeitigen Corona-Krise sind diese aber für die Menschen unerlässlich, die darauf angewiesen sind, um auch weiterhin möglichst selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Ein Weg dorthin liegt auch in der digitalen Teilhabe. Diesen Eindruck stützen auch Erfahrungsberichte von Menschen mit Lernschwierigkeiten aus einer Gesprächsrunde mit behinderten Expert*innen in eigener Sache aus dem Projekt „Teilhabeforschung: Inklusion wirksam gestalten“.

Eine Feststellung vorab: Das Wissen und die darauf fußende Kommunikationslage gestalten sich besser als im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020, als Menschen mit Lernschwierigkeiten lange auf entsprechende Angebote in Leichter Sprache warten mussten. Inzwischen gibt es beispielsweise digitale Informationsangebote der Bundesregierung, des Robert Koch-Instituts, von Landesministerien, Selbsthilfeverbänden und Initiativen wie die Task Force Corona Leichte Sprache, die die Corona-Lage und damit zusammenhängende Beschlüsse in Einfacher Sprache aufbereiten. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. sogenannten geistigen Behinderungen stellen sich aber weiterhin Probleme, die einerseits mit der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit und andererseits mit der Verständlichkeit von relevanten Informationen zu tun haben. Dabei ist die aktuelle Situation bereits ohne erschwerten Zugang zu Informationen nur mühsam überschaubar.

Erfahrungen von Expert*innen in eigener Sache

Diese Problemdarstellung wird auch durch Berichte aus einer virtuellen Gesprächsrunde mit behinderten Expert*innen in eigener Sache gestützt, die Ende Januar 2021 stattfand und Teil des beim Paritätischen Gesamtverband angesiedelten Projekts „Teilhabeforschung: Inklusion wirksam gestalten“ war, welches von der Aktion Mensch Stiftung gefördert wird. Ziel war der Erfahrungsaustausch mit Menschen in besonderen Wohnformen hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie aus Sicht von Personen mit Lernschwierigkeiten. Zudem konnten die Teilnehmenden auch Themen ansprechen, die Ihnen ganz persönlich am Herzen liegen und sie beschäftigen.

So sind Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen oftmals als zentrale Informationsquelle auf ihre Betreuer*innen angewiesen. Das können Einrichtungsleitungen, Mitbewohner*innen, Eltern, Geschwister, Partner*innen oder Freunde sein. Diese Abhängigkeit von anderen bei der Beschaffung und Interpretation sowie Bewertung von wichtigen Informationen sorgt gerade in Zeiten einer globalen Gesundheitskrise für Frustration und Ängste. Das liegt nicht zuletzt an der Schwierigkeit, an entsprechend aufgearbeitete Informationen heranzukommen. Ganz besonders wenn es um Vorschriften zum Selbstschutz geht, aber auch bei der aktuell umtreibenden Frage nach Impfterminen, möglichen Nebenwirkungen der Impfungen und der Auswahl von Risikogruppen und der Frage, wann man selbst endlich dran ist und wie man das erfährt. Eine Lösung für dieses Problem kann auch im Ausbau der digitalen Teilhabechancen liegen.

Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung

Wenn uns Corona eines gezeigt hat, dann, dass viele Elemente des alltäglichen Lebens auf einmal in den digitalen Raum verlagert werden (müssen). In nicht geahntem Ausmaß werden Veranstaltungen, Tagungen aber auch Treffen mit Freunden und der Familie über spezifische Hilfsprogramme abgehalten und ermöglicht. Für Technikbegeisterte und Fans der virtuellen Welt ein geringes Problem, für viele andere Menschen allerdings eine große Herausforderung und enorme Anpassungsleistung.

So kommen auch im Zuge der Organisation von Veranstaltungen auf einmal ganz neue Fragen auf. Wie beispielsweise auch im Rahmen der zu Beginn erwähnten Gesprächsrunde, welche auch zwangsläufig digital, statt von Angesicht zu Angesicht, durchgeführt werden musste. Hier ging es z.B. auch darum, Barrierefreiheit durch Vorab-Informationen in Leichter Sprache sicherzustellen und diese auch währenddessen zu benutzen. Außerdem gab es Unsicherheiten im Vorfeld, ob denn alle Beteiligten über die notwendigen Geräte verfügen bzw. einen Internetzugang haben, die verwendeten Programme barrierefrei sind und selbsterklärend, um nur ein paar Beispiele aufzuzählen.

Zuvor muss also bereits sichergestellt werden, dass alle Menschen, die an Online-Veranstaltungen teilnehmen wollen, hierzu auch in die Lage versetzt werden und Hilfestellungen bekommen, wenn sie an einer Teilnahme interessiert sind, sich dies aber alleine nicht zutrauen bzw. dies schlichtweg nicht können.

Und genau damit sind wir schon beim Kern der momentanen Problematik angelangt. Digitalisierung ist vielversprechend, da sie die Möglichkeit bietet, Einschränkungen der Teilhabe im alltäglichen Leben auszugleichen. Gleichzeitig birgt sie aber die Gefahr, dass Menschen während des Transformationsprozesses abgehängt werden.

Voraussetzungen für digitale Teilhabe

Digitale Teilhabe, das setzt zuallererst das Vorhandensein geeigneter Endgeräte voraus (PC, Laptop, Tablet oder Smartphone) sowie eine gute Internetverbindung, was privat oder innerhalb besonderer Wohnformen organisiert werden muss. Und gerade hier besteht noch deutlicher Nachholbedarf: So haben Menschen in besonderen Wohnformen seltener Zugang zu mobilen Endgeräten als Personen in Privathaushalten. Dabei bedeutet die Nutzung digitaler Medien, sich selbst Informationen beschaffen zu können, sich eine eigene Meinung zu bilden und Entscheidungen zu treffen, mit anderen Menschen in Austausch zu treten, nichts Geringeres, als ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Der Zugang zu digitalen Medien allein reicht allerdings noch nicht aus. In einem zweiten Schritt braucht es auch die Option und Fähigkeit, sich die benötigten Informationen idealerweise selbst suchen und bewerten zu können, also vor allem Medienkompetenz und das Vertrauen in sich selbst sowie die Motivation, sich überhaupt mit digitalen Geräten und hilfreichen Funktionen auseinanderzusetzen. Diese Hürde zu nehmen, ist nicht leicht. Man muss wissen, wonach man suchen will und auch wie man bestenfalls zu den benötigten Informationen kommt. Derzeit ist der kommunikative Austausch von Angesicht zu Angesicht nicht mehr so unbeschwert und selbstverständlich bzw. gar komplett unterbunden oder unmöglich. Wenn gleichzeitig die digitalen Kompetenzen nicht vorhanden sind, um sich mit der Welt zu verbinden, verstärkt das zwangsläufig Gefühle von Einsamkeit und Isolation und verhindert gesellschaftliche Teilhabe.

Nach wie vor: Kommunikative Barrieren in vielen Bereichen

Gerade während der Corona-Pandemie wird erneut deutlich, was ohnehin schon längst zum Alltag vieler Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen gehört. Da viele Informationsquellen nicht in Leichter Sprache zugänglich sind, bleiben sie bei vielen Alltagsaktivitäten auf Assistenzen angewiesen. Amtsbriefe, Besuche bei Ärzt*innen und Nachrichten, für Menschen ohne Behinderung oftmals schon eine Herausforderung und mit zahlreichen kommunikativen Barrieren versehen, werden ohne Assistenz zu einer nicht überwindbaren Hürde. Inklusion sieht anders aus. Und gerade in der jetzigen Zeit, in der sich eine Vielzahl des alltäglichen Lebens in den digitalen Raum verlagert, muss Barrierefreiheit mitgedacht und umgesetzt werden, damit eine bedeutende Gruppe an Menschen nicht abgehängt wird. Denn auch wenn es für den Großteil der Gesellschaft mittlerweile zur Normalität gehört, sich ständig mit digitalen Medien, Diensten und Produkten zu beschäftigen, so gibt es noch immer Menschen, denen der Zugang oder das Wissen über die zu Grunde liegende Technologie und deren Anwendung sowie den individuellen Nutzen fehlt.

Digitale Teilhabe ist bei allen Vorteilen, die diese mit sich bringt, immer auch voraussetzungsvoll und kein Selbstläufer. Digitale Medien und Technik bieten aber viele Möglichkeiten, Defizite auszugleichen und damit Inklusion voranzutreiben. Sie bleiben jedoch wirkungslos, wenn sie in der Realität nicht eingelöst werden. Dabei bieten gerade die Plattformen der digitalen Medien ein enormes Potenzial, auch diejenigen Menschen mehr in gesellschaftliche und politische Prozesse einzubinden, die sonst gerne ungesehen und ungehört bleiben.

Autorinnen:

  • Janine Lange ist Leiterin des Projekts „Teilhabeforschung: Inklusion wirksam gestalten“, welches in der Paritätischen Forschungsstelle in der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa angesiedelt ist und von der Aktion Mensch Stiftung gefördert wird.
  • Lea Ziegler ist Sozialarbeiterin im Anerkennungsjahr in der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de