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Bundestag hat Einschränkungen des Sozialleistungsanspruchs für EU-Bürger/-innen beschlossen

Fachinfo
Erstellt von Claudia Karstens

Nachdem am Montag, den 28.11.2016, die Anhörung zu dem Gesetzesentwurf unter Beteiligung des Paritätischen als Sachverständigem stattgefunden hat, wurde das Gesetz lediglich mit Änderungen bzgl. der Datenübermittlung zwischen den Behörden am Donnerstag, den 01.12.2016 vom Bundestag verabschiedet und tritt mit seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Aus Sicht des Paritätischen sind die verabschiedeten Regelungen mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar und verstoßen teilweise auch dem Europarecht. Siehe hierzu die beigefügte Stellungnahme.

Hintergründe und Regelungen:

Als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die in verschiedenen Fällen Sozialleistungen im Ermessenswege zuerkannt hatte, stellt die Bundesregierung mit dem Gesetz nun klar, welche Personengruppen künftig von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für 5 Jahre ausgeschlossen sind. Dazu gehören Unionsbürger/-innen ohne materielles Aufenthaltsrecht, mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche oder mit einem Aufenthaltsrecht allein aus Art. 10 der VO 492/2011 (Wanderarbeitnehmerverordnung). Bei letzteren handelt es sich um Unionsbürger/-innen, die ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland als ehemalige Arbeitnehmer/-innen aufgrund der Schul- oder Berufsausbildung ihrer Kinder ableiten.

Hilfebedürftige Ausländer können im Zeitraum bis zur Ausreise für einen Monat sog. Überbrückungsleistung für Ernährung und Unterkunft erhalten sowie die Kosten für die Rückreise erstattet bekommen. Diese einmaligen Leistungen liegen mit einem Betrag von gut 180 Euro unterhalb des regulären physischen Existenzminimums, das sich in der Regelbedarfsstufe 1 auf rund 280 Euro beläuft.

Kritik:

Die Bundesregierung geht bei EU-Bürger/-innen erst nach fünf Jahren von einer Verfestigung des Aufenthaltes in Deutschland aus und billigt demnach nach dieser Zeit ein Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Sozialhilfe zu. Der Paritätische hatte den vermeintlich verfestigten Aufenthalt nach fünf Jahren bereits in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes kritisiert, da zum einen selbst bei einem vermeintlich nur kurzfristigen, nicht verfestigtem Aufenthalt das Existenzminimums gesichert werden muss und zum anderen orientiert sich die Bundesregierung zwar am Erwerb des europarechtlichen Daueraufenthaltsrechts, übersieht aber, dass im System des AsylbLG selbst für vollziehbar ausreisepflichtige oder geduldete Personen bereits nach 15 Monaten von einer „Aufenthaltsverfestigung“ ausgegangen wird, die eine sozialrechtliche Besserstellung (Leistungen nach § 2 AsylbLG) nach sich zieht. Das BSG ist in seiner Rechtsprechung bislang auch von einer Aufenthaltsverfestigung nach sechs Monaten ausgegangen.

Die Opposition stimmte gegen den Gesetzentwurf. Mit Koalitionsmehrheit abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen ( BT Drs. 18/10533). Danach sollten Arbeitsuchende aus der EU nach einem Aufenthalt von drei Monaten Grundsicherung beantragen können, wenn sie zuvor eine Verbindung zum hiesigen Arbeitsmarkt aufgebaut haben und aktiv nach Arbeit suchen.

Im Zuge der Anhörung ist noch berichtenswert, dass sich neben dem Paritätischen auch die Diakonie, der DGB und die Neue Richtervereinigung kritisch zu dem Gesetz geäußert haben. Die Richtervereinigung äußerte sich in seiner schriftlichen Stellungnahme scharf, indem sie davon sprach, dass das Gesetz ein Gruppe moderner Sklaven schaffe, die alle Arbeitsbedingungen und jedes Lohnniveau akzeptieren müssten und dass das Gesetz die Axt an das Fundament unserer Verfassungs- und Gesellschaftsordnung lege.

Weiterhin wies der Sozialdezernent der Stadt Bielefeld, Ingo Nürnberger, in der Anhörung daraufhin, dass der Zeitraum von fünf Jahren sehr lang sei und zu Härtefällen führen werde. Fraglich sei, ob die betroffenen Unionsbürer/-innen tatsächlich ausreisen oder obdachlos werden. Zudem wies er daraufhin, dass ganze Branchen wie z.B. Pflege, Gastronomie und Hotel sowie Schlachthöfe ohne Zugewanderte aus der EU gar nicht mehr zurechtkommen würden und es aus seiner Sicht wünschenswert wäre, Integrationskurse auch für EU-Bürger/-innen flexibel in Teilzeit anzubieten sowie darüber nachzudenken, wie man aus evtl. vorhanden Minijobs Vollzeitjobs machen könne.

Der Städtetag und Landkreistag sowie die BDA und die BA begrüßen das Gesetz und sehen darin eine Klarstellung der Rechtslage und die Schließung der Lücke, die das Bundessozialgericht mit seiner Rechtsprechung eröffnet habe. Über den Gesetzesentwurf hinaus sprachen sich Landkreis- und Städtetag dafür aus, dass zukünftig auch die aufstockenden Leistungen nur noch bei einer Vollzeitbeschäftigung gewährt werden sollen und nicht wie bislang bereits bei Ausübung eines Minijobs.

Einschätzung:

Aus Sicht des Paritätischen wird das Gesetz durch das "Instrument des Aushungerns" zu Verelendung und Schutzlosigkeit bei den betroffenen EU-Bürger/-innen führen und es bleibt abzuwarten, wie die Sozialgerichtsbarkeit auf das neue Gesetz reagiert und möglicherweise Fälle zur Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen dem Bundesverfassungsgericht vorlegt.

Neueste Arbeitshilfe:

Der Kollege, Claudius Voigt, von der GGUA Münster e.V. hat bereits eine tabellarische Übersicht zu der Frage erstellt, wann und in welchen Konstellationen EU-Bürger/-innen nach der neuen Rechtslage Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Der_Zugang_zur_Existenzsicherung_fuer_Unionsbuerger.pdfDer_Zugang_zur_Existenzsicherung_fuer_Unionsbuerger.pdfStelln Anhoerung Sozialleistungen EU-Buerger 28_11_2016.pdfStelln Anhoerung Sozialleistungen EU-Buerger 28_11_2016.pdf