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EuGH entscheidet über Sozialleistungen für nicht erwerbstätige Unionsbürger

Fachinfo
Erstellt von Claudia Karstens

Der EuGH entscheidet, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden dürfen. Nichterwerbstätige Unionsbürger können sich nur auf das Gleichbehandlungsgebot mit Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats berufen, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzungen der sog. Unionsbürgerrichtlinie erfüllen. Wichtig ist, dass die Unionsbürgerrichtlinie zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen unterscheidet und erwerbstätigen Personen das Aufenthaltsrecht zusteht, ohne weitere Voraussetzungen. Der EuGH hat in dem vorliegenden Urteil !nicht! darüber entschieden, ob der Leistungsausschluss des SGB II für arbeitssuchende Unionsbürger mit dem europäischen Recht vereinbar ist. In dieser Frage urteilt der EuGH im Fall Alimanovic, der noch nicht terminiert ist.

Gemäß der Unionsbürgerrichtlinie (Art.7 Abs. 1 Buchstabe b) hat jeder nicht erwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedsstaat von über drei Monaten, wenn er für sich und seine Familie über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaat in Anspruch nehmen müssen und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedsstaat verfügen.

Im vorliegenden Fall ging es um eine junge rumänische Mutter, die seit 2010 mit ihrem Sohn bei der Schwester in Leipzig lebt, von ihr mit Naturalien versorgt wird und ansonsten Kindergeld in Höhe von 184 Euro sowie einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133 Euro monatlich erhält. Frau Dano habe sich in Deutschland laut Akten nicht auf Arbeitssuche begeben. Sie beantragte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beim Jobcenter, die abgelehnt wurden, woraufhin es zur Klage kam. Das Sozialgericht Leipzig ist der Auffassung, dass der im SGB II festgeschriebene Leistungsausschluss für arbeitssuchende Unionsbürger erst recht für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger zu gelten habe und hat die Frage, ob die in der Koordinierungsverordnung und in der Unionsbürger-RL festgeschriebenen Gleichbehandlungsgebote bzw. das Diskriminierungsverbot im Vertrag über die Arbeitweise der Europäischen Union (AEUV) es den Mitgliedsstaaten verwehren, Unionsbürger vom Bezug sog. beitragsunabhängiger Geldleistungen, wie die des SGB II, ganz oder teilweise auszuschließen, dem EuGH zur Klärung vorgelegt.

Dieser hat nun entschieden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden dürfen und bezieht sich dabei auf folgende Rechtsvorschriften:

- Zunächst stellt das Gericht fest, dass SGB II-Leistungen als sog. besonders beitragsunabhängige Sozialleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 2 der Koordinierungsverordnung (Nr. 883/2004) einzustufen ist und auch für diese das in Art. 4 der Koordinierungsverordnung festgehaltene Gleichbehandlungsgebot gilt.

- Art. 18 AEUV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, mit Art. 20 AEUV wird die Unionsbürgerschaft und die allgemeine Freizügigkeit eingeführt. Diese Vorschrift regelt auch, dass die Rechte, die dieser Artikel den Unionsbürgern verleiht, unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt werden, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind. Ferner besteht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, „vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.“

- Das Gericht vertritt die Meinung, dass das in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegte Diskriminierungsverbot in Art. 24 der Richtlinie 2004/38 für Unionsbürger konkretisiert wird, die wie die Kläger des Ausgangsverfahrens von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Zudem erfahre dieses Verbot in Art. 4 der Koordinierungsverordnung (Nr. 883/2004) eine Konkretisierung für Unionsbürger, die wie die Kläger des Ausgangsverfahrens im Aufnahmemitgliedstaat Leistungen nach Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung beanspruchen.

- Daher hatte das Gericht A) Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie (Nr. 2004/38) und B) Art. 4 der Koordinierungsverordnung (Nr. 883/2004) auszulegen

A) Einleitend stellt das Gericht fest, dass die von Art 70. Abs. 2 der Koordinierungsverordnung (Nr. 883/2004) erfassten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen unter den Begriff der Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie (Nr 2004/38) fallen. Diese Einordnung hat zur Folge, dass die in Absatz 2 des Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie formulierte Ausnahmeregelung vom Diskriminierungsverbot greift. Denn nach Art. 24 Abs 2. der Unionsbürgerrichtlinie (Nr. 2004/38) ist der Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen sowie Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während der ersten drei Monate oder gegebenenfalls darüber hinaus einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.

Weiterhin hält das Gericht fest, dass ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen, wie denen im SGB II, nur verlangen kann, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen der Unionsbürger-RL (Nr. 2004/38) erfüllt. Dazu gehören die folgenden:

1. Nach Art 14. Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie besteht das Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nur fort, solange sie Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Nach Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie ist der Aufnahmemitgliedsstaat nach Auffassung des Gerichts somit nicht verpflichtet, einem Unionsbürger oder seinen Familienangehörigen während des genannten Zeitraums einen Anspruch auf eine Sozialleistung einzuräumen. (Dieser Zusammenhang erschließt sich einem nicht unbedingt)

2. Das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate stellt Art. 7 Abs. 1 der Unionsbürger-RL unter die Voraussetzungen, dass die Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen und nach Art. 14 Abs. 2 der Unionsbürger-RL steht Unionsbürgern das Aufenthaltsrecht dementsprechend nur zu, wenn sie diese Voraussetzungen erfüllen. Wie sich laut Gericht insbesondere aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie ergebe, solle damit u. a. verhindert werden, dass diese Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen.

3. Aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 gehe außerdem hervor, dass jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten habe, das Recht habe, sich dort \t auf Dauer aufzuhalten, und dass dieses Recht nicht an die vorgenannten Voraussetzungen geknüpft sei. Wie im 18. Erwägungsgrund der Richtlinie ausgeführt werde, sollte das einmal erlangte Recht auf \t \t \t Daueraufenthalt, um ein wirksames Instrument für die Integration in die Gesellschaft dieses Staates darzustellen, keinen Bedingungen unterworfen werden

Bei der Beurteilung, ob nicht erwerbstätige Unionsbürger in der Situation von Frau Dano, die sich länger als drei Monate, aber weniger als fünf Jahre im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hinsichtlich des Anspruchs auf Sozialleistungen eine Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats verlangen kann, hat der EuGH schlussendlich diese drei vorgenannten Voraussetzungen aus der Unionsbürger-RL als Prüfungsmaßstab angelegt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen: "Ließe man zu, dass Personen, denen kein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürger-RL zusteht, weil sie wie Frau Dano nicht über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen, unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Sozialleistungen beanspruchen könnten, liefe dies dem in ihrem zehnten Erwägungsgrund genannten Ziel zuwider, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern.

Wichtig ist, dass die Unionsbürgerrichtlinie zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen unterscheidet und erwerbstätigen Personen das Aufenthaltsrecht zugesteht, ohne weitere Voraussetzungen.

Das Gericht stellt fest, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Unionsbürger-RL nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen. Ein Mitgliedstaat müsse gemäß Art. 7 der Unionsbürger-RL die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen zu versagen.

= Frau Dano verfüge nicht über ausreichende Existenzmittel, erfüllt somit die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürger-RL nicht und kann sich somit auch nicht auf das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 24 Abs. 1 Unionsbürger-RL berufen.

Das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürger-RL in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe b, der ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz als Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht über drei Monate verlangt, stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, wenn diese Unionsbürger, denen kein Aufenthaltsrecht im Sinne der Unionsbürger-RL zusteht, vom Bezug bestimmter besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 2 der Koordinierungsverordnung, wie die des SGB II, ausschließt.

B) Zu dem gleichen Ergebnis kommt das Gericht auch in Bezug auf die Auslegung des Gleichbehandlungsgebot in Art. 4 der Koordinierungsverordnung (Nr.883/2004).

Die SGB II Leistungen, bei denen es sich um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 2 der Koordinierungsverordnung (Nr. 883/2004) handelt, werden nach Auffassung des Gerichts nach Art. 70 Abs. 4 ausschließlich in dem Mitgliedsstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Daher spreche nichts dagegen, die Gewährung solcher Leistungen an nicht erwerbstätige Unionsbürger von dem Erfordernis abhängig zu machen, dass sie die Voraussetzungen der Unionsbürger-RL, also ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz, für ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedsstaat erfüllen.

Hier gelangen Sie zum Urteil des EuGH im Fall Dano.

Anmerkungen zum Urteil: Nachdem der EuGH im Falle eines deutschen erwerbsgeminderten Rentners, der wegen ergänzenden Sozialhilfeleistungen in Österreich geklagt hatte (Brey-Fall), am 19.09.213 noch auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgestellt hatte und die Mitgliedsstaaten zu Einzelfallprüfungen anhielt, um unter Berücksichtigung aller Faktoren die Frage zu beantworten, ob die Gewährung einer Sozialleistung eine unangemessene Belastung für das gesamte Sozialhilfesystem dieses Mitgliedstaats darstellt, verwundert das heutige Urteil im Falle der jungen rumänischen Mutter. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt keine Rolle mehr, weshalb das Urteil des EuGH im Fall Dano auch gerne mit dem Bild einer "Rolle rückwärts" in Verbindung gebracht wird.

Auch im Fall Brey wurde angeführt, er lebe nicht rechtmäßig in Österreich, weil dazu ab einem dreimonatigen Aufenthalt ausreichende Existenzmittel erforderlich seien. Das EU-Recht erlaube es zwar den Mitgliedstaaten, die Auszahlung von Sozialhilfeleistungen wie der österreichischen Ausgleichszulage davon abhängig zu machen, ob der Antragsteller rechtmäßig hier lebe. Und es erlaube, die finanzielle Situation des Ausländers überprüfen zu lassen. Nach dem damalige Urteil bedeutete dies aber nicht, dass wirtschaftlich inaktiven EU-Bürgern automatisch Sozialhilfeleistungen vorenthalten werden dürfen. Vielmehr müsse geprüft werden, ob es eine „unangemessene Belastung“ des nationalen Sozialhilfesystems darstellt. Der EuGH verwies die Entscheidung mit dieser Aufgabe zurück an das nationale Gericht in Österreich.

Die in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Unionsbürger-RL geregelten Aufenthaltsvoraussetzungen sollten nach der damaligen Auffassung "lediglich verhindern, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaates "unangemessen" in Anspruch genommen werden." Eine bestimmte finanzielle Solidarität der Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedsstaates mit denen der anderen Mitgliedsstaaten sei durch die Unionsbürgerrichtlinie anerkannt, insbesondere wenn der Aufenthaltsberechtigte nur vorübergehend finanzielle Schwierigkeiten habe.

Bedauerlicherweise ist von der Idee einer innereuropäischen Solidarität in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen nichts geblieben, obwohl doch eine junge rumänische Mutter sich wahrscheinlich viel eher wieder aus den nicht existenzsichernden Lebensumständen befreien könnte als ein deutscher erwerbsgeminderter Rentner....

Wie es um die Solidarität mit arbeitsuchenden Unionsbürger bestellt ist, wird der EuGH hoffentlich in Kürze im Fall Alimanovic entscheiden. Einen Termin gibt es derzeit noch nicht.

Die Kläger sind schwedische Staatsbürger bosnischer Nationalität und begehren Leistungen nach dem SGB II. In diesem Zusammenhang ist strittig, ob der Leistungsausschluss im SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger europarechtskonform ist.

Hier gelangen Sie zu den Vorlagefragen im Fall Alimanovic.