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Abschiebungshaft droht zum Normalfall zu werden

Statement zum Pressegespräch mit Pro Asyl am 09. Mai 2019

Aktuell werden zahlreiche Gesetze im Bereich der Migrations- und Asylpolitik diskutiert. Während das Fachkräfteeinwanderungsgesetz immerhin einige Erleichterungen für die Einreise von Fachkräften beinhaltet, haben die flüchtlingspolitischen Maßnahmen im Wesentlichen einen extrem restriktiven Charakter und sind integrationspolitisch enttäuschend.

Insbesondere  die heute ebenfalls im Bundestag diskutierten Regelungen für eine Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung laufen voraussichtlich leer. Diese Regelungen sollten gut integrierten abgelehnten Asylsuchenden die Chance auf einen Verbleib in Deutschland und Arbeitgeber*innen, die Asylsuchende beschäftigen, die hierfür notwendige Rechtsicherheit geben. Mit der Einführung einer Wartefrist von 6 bzw. 12 Monaten vor Erteilung einer Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsduldung, innerhalb derer eine Abschiebung jederzeit möglich und politisch sogar erwünscht ist, wird aber das Gegenteil erreicht.

Besonders gravierend ist, dass die heute im Bundestag verhandelten Regelungen zwischen den Koalitionsparteien mit dem in der nächsten Woche auf der Tagesordnung stehenden „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ politisch verknüpft wurden.

Denn dieses gereift in besonders eklatanter  Weise in die Grund- und Menschenrechte der hiervon betroffenen Menschen ein:

  1. Die eklatanten Kürzungen bis hin zu nahezu vollständigen Streichungen von Asylbewerberleistungen verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. 
  2. Die massive Ausweitung der Abschiebungshaft greift in vollkommen unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freiheit der Person und lässt die Abschiebungshaft quasi zum Normalfall werden.

Im Folgenden fokussiere ich insbesondere auf das Thema Abschiebungshaft.

Das Antifolterkomitee des Europarates hat heute den Umgang Deutschlands mit ausreisepflichtigen Migranten verurteilt. Gewalt bei der Abschiebung und die Haftbedingungen sind schon jetzt oft nicht angemessen. Mit den nun geplanten Verschärfungen der Abschiebungshaft wird sich die Situation der Betroffenen aber noch massiv verschlechtern:

  1. Die Abschiebungshaft soll bis zum 30.06.2022 in regulären Gefängnissen durchgeführt werden. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die eindeutige Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts. Abschiebungshaft ist keine Strafhaft, sondern dient allein der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Insbesondere wird die Unterbringung mit den strengen Sicherheitsvorkehrungen und sonstigen Auflagen im Hinblick auf Bewegungsfreiheit  und Kommunikation, die in einer regulären Justizvollzuganstalt herrschen, noch mehr als schon jetzt dazu führen, dass Menschen in Abschiebungshaft wie verurteilte Straftäter*innen behandelt werden.
  2. Die Gründe für eine Abschiebungshaft sollen durch eine neue Definition des Begriffs der „Fluchtgefahr“ stark ausgeweitet werden. So soll die Fluchtgefahr, die wesentliche Voraussetzung für die Anordnung einer Abschiebungshaft ist, u.a. bereits dann „widerleglich vermutet werden“, wenn eine in der Vergangenheit über ihre Identität getäuscht hat - selbst wenn sie zwischenzeitlich ihre Identität offen gelegt hat. Hier erfolgt eine Beweislastumkehr mit dem Ergebnis, dass die Betroffenen selbst nachweisen müssen, dass eine Fluchtgefahr nicht vorliegt – wie dies gelingen soll, bleibt offen.
  3. Neu eingeführt wird zudem eine neue Form von Beugehaft. Mit der sog. „Mitwirkungshaft“ können Menschen für 14 Tage in Haft genommen werden, die einer Anordnung für einen Termin an der Botschaft des vermutlichen Herkunftsstaates oder einer amtsärztlichen Untersuchung der Reisefähigkeit nicht nachgekommen sind – so soll Druck erzeugt werden, diesen Pflichten doch nachzukommen. Eine Haft als Konsequenz einer solchen Pflichtverletzung ist aber völlig unverhältnismäßig. In aller Regel werden mildere Mittel zur Verfügung stehen – wie z.B. die Vorführung zum Termin. 

Neben den rechtlichen Bedenken sind die massiven Verschärfungen im Bereich der Abschiebungshaft aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes aber auch schlicht nicht erforderlich:

Weder der Bundesregierung noch den Ländern sind die Zahlen all derer bekannt, die tatsächlich ihrer Ausreisepflicht nachkommen, so dass die erforderliche Analyse als Grundlage für den aktuellen gesetzgeberischen Aktionismus fehlt. Bislang werden nämlich nur die Zahlen derer registriert, die abgeschoben werden, eine Förderung des Bundes zur freiwilligen Ausreise in Anspruch genommen haben oder eine sog. Grenzübertrittsbescheinigung erhalten und beim Überschreiten der Grenze abgegeben haben. Dies dürfte aber nur der kleinere Teil derer sein, die tatsächlich Deutschland verlassen haben. Ob es das vielfach behauptete „Vollzugsdefizit“ tatsächlich gibt, ist also bislang unklar und taugt somit nicht als Rechtfertigung für massive Grundrechtseingriffe.

Bekannt ist hingegen, dass ein großer Teil der ca. 236.000 vollziehbar Ausreisepflichtigen geduldet ist und gute Gründe dafür vorliegen, warum eine Ausreise bzw. Abschiebung nicht in Frage kommt. Dazu gehören u.a. gesundheitliche, familiäre oder humanitäre  Gründe, die eine Rückkehr in Herkunftsländer wie z.B. den Irak oder Afghanistan unmöglich machen. Andere sind bereits so lange in Deutschland, dass sie längst ein Bleiberecht bekommen müssten.

Neben den zahllosen Regelungen der aktuellen Gesetzvorschläge, die die Rechte von Geflüchteten beschneiden, wird besonders deutlich, welche Regelung fehlt: Die bereits im Koalitionsvertrag beschlossene unabhängige Asylverfahrensberatung – und das heißt für uns behördenunabhängig – ist bislang in keinem der vorliegenden Gesetzesentwürfe enthalten. Und dies, obwohl sich – zuletzt bei einer Sachverständigenanhörung am vergangenen Montag – nahezu alle Expert*innen einig sind, dass diese zu einer eklatanten Verbesserung der Qualität der Asylverfahren beitragen kann.

Besonders verwundert das Fehlen einer entsprechenden Regelung, da es bereits im Jahr 2017 ein durch das BAMF und UNHCR evaluiertes Pilotprojekt für eine unabhängige Asylverfahrensberatung gab. Das Ergebnis war ebenfalls eindeutig: die Rechtsstaatlichkeit und Fairness sowie die Qualität und Effizienz des Asylverfahrens werden hierdurch verbessert.  Das zuständige Bundesinnenministerium aber hält die entsprechende Evaluierung weiterhin unter Verschluss und hat das BAMF stattdessen mit der Durchführung einer „abhängigen“ Asylverfahrensberatung beauftragt.

Statt auf staatliche Zwangsmaßnahmen sollte die Bundesregierung sich an anderen europäischen Beispielen orientieren und auf eine umfassende und unabhängige Beratung von Anfang an setzten.

Eine kurze Kritik finden Sie hier

Kontakt:
Kerstin Becker
Referentin Flüchtlingshilfe/-politik
E-Mail: asyl(at)paritaet.org
Telefon: 030-24636-431