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Zwischenruf aus der Jugendsozialarbeit

Fachinfo
Erstellt von Birgit Beierling

Eine kritische Betrachtung zum beabsichtigten Kerndatensystem der Bundesagentur für Arbeit für Jugendliche – Registrierung vor individueller Förderung?



Herr Scheele als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit möchte bundesweit einführen, was er in seiner Heimatstadt Hamburg bereits geregelt hat. Alle Schüler/-innen , die ihre Vollzeitschulpflicht erfüllt haben, sollen erfasst werden, um sie im Übergang Schule – Beruf begleiten zu können. Dafür wirbt er um die Unterstützung der Bundesländer. Auf die erhobenen Daten sollen dann die Agentur für Arbeit, die Jobcenter, das Jugendamt und natürlich auch die Schulen zugreifen können, um die jungen Menschen in der Umbruchphase zwischen Schule – Beruf aktiv ansprechen zu können. Laut Planung von Herrn Scheele soll den Jugendlichen damit frühzeitig eine passende Beratung angeboten und Förderangebote unterbreitet werden. So die Theorie!

Wo aber sind die passenden Beratungen vor Ort? Junge Menschen sind in diesem Alter nicht nur auf der Suche nach einem für sie passenden Berufsweg, sondern meistern auch Prozesse der Verselbständigung und Eigenpositionierung¹. Und diese unterschiedlichen Anforderungen geschehen gleichzeitig und haben Einfluss aufeinander. Wo sind denn die lebensweltorientierten jugendgerechten Beratungsstellen, die individuelle, persönliche Hilfestellungen geben könnten? Und wo sind die passenden Förderungen, die dem einzelnen Jugendlichen gerecht werden und neben den Zielen der Ausbildungsvorbereitung und -integration auch die aktuelle persönliche Situation des jungen Menschen in den Blick nehmen? Wo sind die gelungenen Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Arbeitsförderung – auch in gemeinsamer Gestaltung und Finanzierung von Förderangeboten –, die der Lebenssituation junger Menschen mit schlechten Startchancen gerecht werden?

Heute schon gehen der Berufsberatung jährlich mehr als 90.000 junge Menschen² während des Beratungsprozesses verloren, weil sie keine Beratung mehr benötigen oder wünschen, weil das Beratungsangebot in der Komm-Struktur für sie kein geeignetes Angebot darstellt. Wo sind die Versuche, hier Geh-Strukturen nicht nur im Klassenverbund zu entwickeln, sondern in Einzelfällen individuelle Beratungen zuhause, in Jugendhäusern etc. anzubieten.

Von den ca. 550.000 jungen Menschen, die die Berufsberatung und die Jobcenter mit dem Ziel der Ausbildungsvermittlung in Anspruch nehmen, waren 2016 42 Prozent aus den Vorgängerjahren (mehr als die Hälfte davon aus früheren Jahrgängen). Und wenn man jetzt denkt, dass das im Schwerpunkt junge Menschen ohne Schulabschluss oder mit schlechten Hauptschulabschlüssen sind, liegt man falsch. Zwei Drittel aller bei der Agentur und dem Jobcenter vorsprechenden Bewerber/-innen bringen inzwischen mindestens einen Realschulabschluss mit. Was hindert die Agenturen, die Jobcenter und auch die Jugendhilfe für diese jungen Menschen passende Förderungen zu entwickeln und anzubieten? Die Jugendsozialarbeit klagt schon lange niedrigschwellige Förderangebote, rechtskreisübergreifende Konzepte und Finanzierungen sowie individuelle Coachingangebote für junge Menschen mit Förderbedarf am Übergang Schule-Beruf ein.

Die „Datenerfassung total“ spare Zeit und Geld, wird behauptet. Erfahrungsgemäß kostet eine Datenerfassung im Aufbau zunächst erheblich Zeit und Geld, auch die technische und datenschutzrechtliche Lösung zum Informationsaustausch ist ressourcenintensiv. Die Jugendlichen benötigen kreativ gestaltete, individuelle Förderangebote – auf Basis von Freiwilligkeit und Motivation. Das wissen wir schon heute – ohne Kerndatensystem. Und hier gibt es im Kontext von Jugendberufsagenturen noch sehr viel Luft nach oben!
¹ Vgl. 15. Kinder und Jugendbericht „Zwischen Freiräumen, Familie, Ganztagsschule und virtuellen Welten – Persönlichkeitsentwicklung und Bildungsanspruch im Jugendalter“, Berlin 2017
² Vgl. Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2017

http://www.jugendsozialarbeit-paritaet.de/xd/public/content/index._cGlkPTE4NjY_.html