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Anhörung zu den Änderungen im Freizügigkeitsgesetz und weiteren Vorschriften

Fachinfo
Erstellt von Claudia Karstens

Am 13.10.2014 wurden zum Gesetzesentwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes und weiteren Vorschriften Sachverständige im Innenausschuss angehört. Überwiegend Einigkeit herrschte bei den Sachverständigen hinsichtlich der Auffassung, dass Rechtsmissbrauch nicht das überwiegende Problem sei, auch wenn dies in den Medien immer wieder so dargestellt werde und letztlich auch die politischen Initiativen, einschließlich des zu beratenden Gesetzesentwurfes, darauf abstellen. Für den Paritätischen hat Claudius Voigt als Sachverständiger eine Einschätzung zu den geplanten Änderungen abgegeben und die Forderung "Partizipation statt Ausgrenzung" vertreten.

Ziel der Gesetzesinitiative ist es laut Bundesregierung, Fälle von Rechtsmissbrauch oder Betrug in Bezug auf das europäische Freizügigkeitsrecht, im Bereich der Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sowie bei der Inanspruchnahme von Kindergeld „konsequenter zu unterbinden“.

Dazu sollen im Freizügigkeitsgesetz/EU befristete Wiedereinreiseverbote im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug bezüglich des Freizügigkeitsrechts ermöglicht werden. Zugleich sollen Wiedereinreiseverbote von Amts wegen befristet werden statt wie bisher nur auf Antrag. Die Beschaffung von Aufenthaltskarten oder anderen Aufenthaltsbescheinigungen gemäß Freizügigkeitsgesetz/EU durch unrichtige oder unvollständige Angaben soll unter Strafe gestellt und das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche „unter Berücksichtigung der Vorgaben des Unionsrechts“ befristet werden.

In das Einkommenssteuergesetz soll laut Vorlage zur Vermeidung von Missbrauch eine gesetzliche Regelung eingeführt werden, „die die Kindergeldberechtigung von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern und ihren zum Kindergeldbezug berechtigten Kindern durch Angabe von Identifikationsnummern abhängig macht“.

Vorgesehen ist zudem, dass der Bund die Kommunen „wegen der besonderen Herausforderungen, die sich aus dem verstärkten Zuzug aus anderen EU-Mitgliedstaaten ergeben, zusätzlich zu den bereits beschlossenen Hilfen in diesem Jahr um weitere 25 Millionen Euro entlastet“. Dafür soll die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erhöht werden. Zur weiteren Entlastung der Kommunen soll die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für die Impfung von Kindern und Jugendlichen aus EU-Staaten, deren Versicherteneigenschaft in der GKV zum Zeitpunkt der Schutzimpfung noch nicht festgestellt ist, die Kosten für den Impfstoff übernehmen.

Franziska Giffey vom Berliner Bezirksamt Neukölln sagte, während sich der Gesetzentwurf stark um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen drehe, sei das vor Ort nicht die Hauptproblematik. Vielmehr gebe es zunehmend Eigentümer und Arbeitgeber, die die Zuwanderung insbesondere aus Bulgarien und Rumänien „für sich ausnutzen, um daraus ein Geschäftsmodell zu entwickeln“. Dies sei an ausbeuterischen Beschäftigungs- und Mietverhältnissen zu sehen. Es stelle sich die Frage, welche bundesgesetzlichen Regelungen es geben könne, um diesen „ausbeuterischen Tendenzen entgegenzuwirken“. Insbesondere hinsichtlich der sogenannten Schrottimmobilien sei ein beherzteres Vorgehen dringend erforderlich.

Johannes Jakob vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) warf die Frage auf, ob es sinnvoll sei, Probleme bei der Zuwanderung mit aufenthaltsrechtlichen Regelungen lösen zu wollen. Aus Sicht des DGB sei es sinnvoller, mit arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen zu reagieren. Die Ausbeutung ausländischer Beschäftigter müsse wirkungsvoll unterbunden werden.

Sowohl Frau Giffey als auch Herr Jakob betonten, dass den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen mit stärkeren Kontrollen begegnet werden müsse und das Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit entsprechend aufgestockt werden müsse. Der Missbrauch geschehe auf Antrieb der Arbeitgeber, niemand der Betroffenen wolle "scheinselbstständig" sein. Oftmals bestehe Unwissenheit über ihre Rechte und Pflichten und der Wille sowie die Notwendigkeit den eigenen Lebensunterhalten zu verdienen, überwiegt. Der Mindestlohn als Instrument gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit drei Euro pro Stunde könne nur wirken, wenn er kontrolliert werde. Als größtes Schlupfloch sieht der Gewerkschafter die Scheinselbstständigkeit.

Claudius Voigt vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisierte, der Gesetzentwurf greife zu kurz und lege die Schwerpunkte falsch. Es gehe in erster Linie um soziale Herausforderungen, die sich „nicht oder nur sehr begrenzt ausländerrechtlich, mit Restriktionen und mit den überkommenen Instrumenten des Ordnungsrechts lösen“ ließen. Integration werde verhindert. Vielmehr müsse es jedoch um Partizipation statt Ausgrenzung gehen. Voigt machte deutlich, dass die zeitliche Einschränkung des Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche bereits nach dem geltenden Recht möglich sei. Die vorgesehene Regelung ist nicht hinreichend klar bestimmt und nicht praktikabel. So sollte die Prüfung, ob begründeter Aussicht auf Erfolg bei der Arbeitssuche bestehe, nicht den Kranken- oder Familienkasse obliegen. Wenn die verschiedenen Stellen in eigener Zuständigkeit das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts prüfen, bestehe in der Praxis auch die Möglichkeit, dass diese zu unterschiedlichen Ergebnisse kommen, was nicht gewollt sein könne. Nach Ansicht des Paritätischen ist es as integrations- und sozialpolitischen Gründen wesentlich sinnvoller, die verfügbaren Kapazitäten der Öffentlichen Verwaltung im Bereich einer verstärkten Arbeitsmarktintegration für die betroffen EU-BürgerInnen einzusetzen. Die Stellungnahme des Paritätischen ist als pdf beigefügt. Der Sachverständige Klaus Dienelt bewertete die vorgesehene Wiedereinreisesperre als „besonders problematisch“. Sie sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar und auch nicht erforderlich. Diese Einschätzung teilt der Paritätische.

Professor Winfried Kluth von der Universität Halle betonte demgegenüber, dass das Freizügigkeitsrecht in der Europäischen Union „nicht schrankenlos“ gewährt werde. Auch Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz verwies darauf, dass es in der EU kein „unbedingtes Recht auf Freizügigkeit“ gebe. An der europarechtlichen Konformität der Befristung der Arbeitssuche gebe es keinen Zweifel. Keine Rechtsbedenken bestünden auch gegenüber der Neuregelung bei den Wiedereinreisesperren, von denen nur sehr wenige Personen betroffen wären. Des Weiteren wertete Thym den vorliegenden Gesetzesentwurf als einen ersten Schritt, dem nach der Verkündung der Urteile des EuGH weitere folgen müssen. Im Fall Dano entscheidet der EuGH am 11. November 2014, ob „wirtschaftlich inaktive“ EU-Bürger in Deutschland von SGB Leistungen ausgeschlossen werden dürfen. Der Fall Alimanovic ist noch nicht terminiert und wird darüber entscheiden, ob der Leistungsausschluss arbeitssuchender EU-BürgerInnen im SGB II mit dem Europarecht vereinbar ist.

Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag sagte, ihre Organisation begrüße den Gesetzentwurf mit einem „Ja, aber“. So begrüße man die Maßnahmen zum Freizügigkeitsrecht wie die Wiedereinreisesperren, frage sich aber, wie praktikabel sie seien. Dies gelte auch für die Prognoseentscheidung bei der Entscheidung, ob noch eine begründete Aussicht auf Erfolg bei der Arbeitssuche bestehe. Auch Dienelt wie daraufhin, dass die Freizügigkeitsprüfung extrem dynamisch sei und nur punktuelle Klarheit und Sicherheit möglich sei. Der Anhaltspunkt "Aussicht auf Erfolg bei der Arbeitssuche" ist auch laut Herrn Jacob vom DGB und Franziska Giffey schwer zu beurteilen, denn viele Zugewanderte sind erwerbstätig, oftmals prekär und die Frage sei auch, was auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werde. Bei Erntetätigkeiten wie z.B. dem Erdbeerenpflücken oder Spargelstechen treten Sprachkenntnisse in den Hintergrund.

Die Regelungen bezüglich des Kindergeldes wurden überwiegend als zweckdienlich beurteilt. Insbesondere Frau Giffey und Frau Vorholz wiesen auf die Anreizwirkung hin, die beide darin sehen, da das deutsche Kindergeld im Vergleich zu anderen EU-Ländern eben sehr hoch sei, wobei Frau Vorholz betonte, dass wenn eine Differenzierung komme, diese auch für alle gelten müsse. Im Raum steht die Frage, ob sich die Höhe des Kindergeldes für Kinder die im Ausland leben, auch nach der Höhe des Wohnortes richten soll. Das müsse dann aber auch für die Kinder Deutscher gelten, wenn diese z.B. in Genf studieren würden und ggf. eine höhere Zahlung zu leisten wäre.

Ein massives Problem in der Praxis ist laut Franziska Giffey die gesundheitliche Versorgung von EU-BürgerInnen. Frau Vorholz betonte, dass es selten vorkäme, aber der Deutsche Landkreistag die Einrichtung einer Clearingstelle auf Bundesebene hinsichtlich der Klärung von Krankenversicherungsverhältnissen für sinnvoll halte.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen finden Sie hier.

Stellungnahme Innenausschuss Paritaetischer Claudius Voigt am 13.10.2014.pdfStellungnahme Innenausschuss Paritaetischer Claudius Voigt am 13.10.2014.pdf