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EuGH-Urteil: Ausschluss von der Krankenversicherung für nicht-erwerbstätige EU-Bürger*innen ist europarechtswidrig

Der EuGH hat am 15. Juli 2021 in einem Urteil entschieden, dass Unionsbürger*innen, die über kein anderes Freizügigkeitsrecht als das für nicht-erwerbstätige verfügen, in einem anderen Unionsstaat nicht kategorisch vom öffentlichen Gesundheitssystem ausgeschlossen werden dürfen. Dieses Urteil hat zur Folge, dass auch die deutsche Rechtslage überprüft werden müsste.

Nach dem deutschen Recht sind Unionsbürger*innen von jeder Versicherungsmöglichkeit im Gesetzlichen Krankenversicherungssystem ausgeschlossen, wenn für ihr Aufenthaltsrecht ein Krankenversicherungsschutz ausdrücklich vorausgesetzt wird (§ 5 Abs. 11 S. 2 SGB V). Erfasst von diesem Ausschluss sind EU-Bürger*innen, die über kein anderes Freizügigkeitsrecht als das für Nicht-Erwerbstätige gem. § 4 FreizügG verfügen. In diesem Fall sind sie nach deutscher Rechtslage vom Zugang zur „Auffangversicherung“ gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 i. V. m. § 5 Abs. 11 SGB V ausgeschlossen.
Auch eine Freiwillige Weiterversicherung gem. § 9 Abs. 1 SGB V ist, trotz Erfüllung der Vorversicherungszeiten, nach der Rechtsauffassung des GKV-Spitzenverbands für Nicht-Erwerbstätige Unionsbürger*innen ausgeschlossen. Der Basistarif der Privatversicherung (§ 193 VVG) wird für diesen Personenkreis ebenfalls abgelehnt, da sie dem Grunde nach nicht der Privatversicherung zuzuordnen seien und außerdem wegen des fehlenden KV-Schutzes kein rechtmäßiger Aufenthalt vorliege.

In der Folge sind nicht-erwerbstätige Unionsbürger*innen in Deutschland sowohl vom gesetzlichen als auch vom privaten Krankenversicherungssystem kategorisch ausgeschlossen.

Nach der EuGH-Entscheidung ist dies unionsrechtswidrig. Der EuGH hat im Fall eines italienischen Staatsbürgers in Lettland entschieden, „dass ein Mitgliedstaat nach seinen nationalen Rechtsvorschriften einem Unionsbürger, der nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt, den Beitritt zu seinem öffentlichen Krankenversicherungssystem nicht verweigern darf.“ (C-535/19). Diese Beitrittsmöglichkeit müsse zwar nicht kostenlos erfolgen, da für das Freizügigkeitsrecht das Vorhandensein eines KV-Schutzes vorausgesetzt werde. Allerdings sei der Mitgliedsstaat verpflichtet, bei der Kostenbeteiligung über die „Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu wachen und mithin dafür zu sorgen, dass es für diesen Bürger nicht übermäßig schwierig ist, diese Voraussetzungen zu erfüllen.“ In Deutschland wären weder die Auffangversicherung noch die Freiwillige Versicherung kostenlos, da auch für Nicht-Erwerbstätige der Mindestbeitrag von etwa 200 Euro anfallen würde. Das dürfte demnach auch zulässig sein. Der kategorische Ausschluss durch die Regelung des § 5 Abs. 11 S. 2 SGB V ist indes europarechtswidrig.