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Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes stellt Schlussanträge zu Sozialleistungen für arbeitsuchende EU-Bürger

Fachinfo
Erstellt von Claudia Karstens

Nach dem Entscheidungsvorschlag des Generalanwaltes vom 26.03.2015 im Fall Alimanovic dürfen EU-Bürgern SGB II Leistungen nicht automatisch ohne individuelle Prüfung nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit verweigert werden, wenn sie sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten und hier bereits kurzfristig gearbeitet haben. Zudem können Kinder eines EU-Bürgers, der im Aufnahmemitgliedstaat aktuell erwerbstätig ist, oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat allein deshalb zustehen, weil das EU-Recht diesen Kindern ein Recht auf Zugang zur Ausbildung verleiht. Bei dieser Fallkonstellation fände der SGB II-Leistungsausschluss keine Anwendung, da dieser nur gilt, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Schlussanträge des Generalanwaltes sind zwar noch nicht das Urteil,dies wird erst in einigen Monaten erwartet,allerdings folgt der Europäische Gerichtshof dem Generalanwalt in den meisten Fällen.

Im zu entscheidenden Fall reiste eine Schwedin mit ihren drei Kindern nach Deutschland ein und ging hier – wie ihre älteste Tochter – in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr mehreren kürzeren Beschäftigungen nach. Seither sind beide arbeitslos und auf Arbeitssuche. Sie erhielten vom Jobcenter für sechs Monate SGB-II-Leistungen, die beiden jüngeren Kinder Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Anschließend stellte das Jobcenter die Leistungen mit Verweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein, wonach Ausländer von SGB-II-Leistungen ausgeschlossen seien, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe.

Da Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie die Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren, ist die entscheidende Frage in diesem Verfahren, wie die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende zu qualifizieren sind. Denn neben den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dienen die Leistungen des SGB II auch der Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Der Generalanwalt stuft die SGB-II-Leistungen als Sozialhilfeleistung ein, da sie ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Sozialhilfeleistungen müssten die EU-Staaten nach der vorgenannten Ausnahmeregelung in der Richtlinie während der ersten drei Monate des Aufenthalts sowie – bei EU-Bürgern, die zum Zweck der Arbeitsuche in sein Hoheitsgebiet eingereist sind – gegebenenfalls auch während des darüber hinausgehenden Zeitraums der Arbeitsuche nicht gewähren. Allerdings sei diese Ausnahme eng auszulegen und der Generalanwalt unterscheidet drei Fallgruppen:

1. Reise ein EU-Bürger in einen anderen EU-Staat ein und halte sich dort seit weniger oder seit mehr als drei Monaten auf, ohne eine Arbeit suchen zu wollen, könne er von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen werden, wie im Falle Dano.

2. Ebenfalls für gerechtfertigt hält der Generalanwalt einen Ausschluss, wenn ein EU-Bürger in einen anderen EU-Staat einreise, um dort Arbeit zu suchen.

In beiden Fallgruppen sei der Ausschluss gerechtfertigt, um das finanzielle Gleichgewicht der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu erhalten.

Eine dritte Fallgruppe bewertet der Generalanwalt differenzierter:

3. Halte sich ein EU-Bürger in einem anderen EU-Staat mehr als drei Monate auf und habe er dort bereits gearbeitet, dürften ihm die Leistungen nicht automatisch verweigert werden.

Zwar könne ein EU-Bürger, der im Inland weniger als ein Jahr berufstätig gewesen sei, im Einklang mit dem EU-Recht seine Erwerbstätigeneigenschaft nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit verlieren. Jedoch verstößt es nach Ansicht des Generalanwalts gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn ein EU-Bürger nach Ablauf eines Zeitraums der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit von sechs Monaten im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit von weniger als einem Jahr automatisch von Sozialhilfeleistungen – wie hier den Leistungen nach dem SGB II – ausgeschlossen werde, ohne dass es ihm erlaubt würde, das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat nachzuweisen.

Dieser Nachweis könne z.B. durch eine effektive und tatsächliche Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums belegt werden.Eine frühere Erwerbstätigkeit oder auch die Tatsache, dass der Betreffende nach Stellung des Antrags auf Sozialleistungen eine neue Arbeit gefunden habe, wäre zu diesem Zweck ebenfalls zu berücksichtigen.

Unabhängig von den Vorlagefragen des Bundessozialgerichtes ist der Generalanwalt der Ansicht, dass Art. 10 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union den Kindern eines EU-Bürgers, der im Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat allein deshalb zugesteht, weil das EU-Recht diesen Kindern ein Recht auf Zugang zur Ausbildung verleiht.

Dieses Recht sei nicht von der Erfüllung der in der Unionsbürgerrichtlinie vorgesehenen Voraussetzungen, wie unter anderen ausreichende Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz, abhängig. Unter diesen Bedingungen fände laut dem Generalanwalt der von den deutschen Rechtsvorschriften vorgesehene Ausschluss von den Sozialhilfeleistungen im vorliegenden Fall weder auf die Mutter noch auf die beiden jüngeren Kinder Anwendung. Denn diese Vorschrift gelte nur für Personen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Folglich habe das Bundessozialgericht nun für den zu entscheidenden Fall zu prüfen, ob die beiden Kinder ihrer Schulausbildung in Deutschland regelmäßig nachkommen.

Somit besteht Hoffnung, dass zukünftig bereits in Deutschland erwerbstätig gewordene EU-Bürger Leistungen nach dem SGB II erhalten können, wenn sie eine Verbindung zum Arbeitsmarkt nachweisen können oder aufgrund der Ausbildung ihrer Kinder und dem zustehenden Recht auf Zugang zu Ausbildung nicht allein zum Zweck der Arbeitssuche hier sind und der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II somit nicht greift.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes zu den Schlussanträgen und die Schlussanträge selbst: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-03/cp150035de.pdf