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Wir brauchen mehr statt weniger Solidarität in Europa: Es geht um Haltung, um Werte und um Vernunft.

Pressestatement von Dr. Ulrich Schneider anlässlich der Vorstellung des Demo-Bündnisses "Ein Europa für Alle - Deine Stimme gegen Nationalismus!" am 14.03.2019 in Berlin

Anlässlich der Vorstellung der Pläne des Demo-Bündnisses, das für den 19. Mai im Vorfeld der Europawahlen zu großen Demonstrationen in verschiedenen deutschen und europäischen Städten aufruft, erklärt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen:

"Die Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Jahr sind ganz besondere Wahlen. Es geht um grundlegende Weichenstellungen für dieses Europa. Noch nie hatten wir es mit einer größeren Zahl von Nationalisten zu tun, die sich in das europäische Parlament wählen lassen wollen, um es letztlich als Werte- und Verantwortungsgemeinschaft zu zerstören. Noch nie hatten wir es mit so vielen Parteien zu tun, die nationalistische und auch rassistische Ressentiments schüren und sich ganz dezidiert gegen Vielfalt, Offenheit und Toleranz – die Grundwerte, die sich der Paritätische Wohlfahrtsverband auf seine Fahnen geschrieben hat – aussprechen.

Als Wohlfahrts- und Sozialverbände sehen wir diese Entwicklung mit sehr großen Sorgen. Denn anders als die Nationalisten, die in das EU-Parlament gewählt werden wollen, sind wir der Überzeugung, dass wir ein geeintes Europa brauchen. Der europäische Einigungsprozess ist auch eine Antwort auf die Verbrechen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs. Er hat dazu beigetragen, Grenzen abzubauen und den Frieden in Europa zu bewahren. Er hat die Völkerverständigung und den Ausbau der Zivilgesellschaft befördert. Und der Brexit zeigt: Die europäischen Staaten sind mittlerweile und glücklicherweise miteinander in einer Dichte verwoben, die es nicht mehr zulässt, diesen europäischen Teppich einfach wieder aufzuribbeln, ohne das Ganze zum Schaden aller und mit kaum übersehbaren Konsequenzen zu zerstören. Wir brauchen diese EU und wir wollen sie im Übrigen auch: Es lässt uns auch als deutschen Wohlfahrtsverband nicht mehr kalt, wenn tausend Kilometer weiter Menschen in großer Zahl obdachlos werden oder in bitterer Armut leben. Wir sind europäisch! Nationalismus ist nicht nur unsolidarisch, sondern vor allem auch zutiefst unvernünftig. Bei der Frage um ein geeintes Europa geht es um Haltung, um Werte und um Vernunft.

Wir wollen dabei mit unserer Kritik an der jetzigen Verfasstheit der EU gar nicht hinter dem Berg halten: Durch die wirtschaftsliberale Schlagseite und die mangelnde Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander haben soziale Krisen nicht verhindert werden können. Gelegentlich wurden sie durch die europäische Politik sogar befördert. Die neoliberale Ausrichtung der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik geht zu großen Teilen an den Menschen vorbei. Die Konzentration auf Handel und volkswirtschaftliche Erfolge, wirtschaftspolitische Scheuklappen, führen dazu, dass große soziale Probleme in dieser EU bisher nicht angemessen in den Blick genommen werden. Wenn in osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU Einkommensarmutsquoten von über 20 bis zu 25 Prozent herrschen, darf das nicht kalt lassen. Wenn in Griechenland und Rumänien jeder fünfte Einwohner in schlimmer materieller Not lebt, in Bulgarien sogar jeder dritte, darf das nicht kalt lassen. In unserem Europa der Zukunft, für das wir stehen, gibt es nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch soziale Mindeststandards, die erreicht werden müssen. Wir brauchen eine europäische Sozialpolitik. Und wir brauchen ein Umdenken in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es macht keinen Sinn, wenn in der EU auf der einen Seite feierlich, aber unverbindlich soziale Rechte proklamiert werden, wie Ende 2017 geschehen, auf der anderen Seite eine ausgesprochene Austeritätspolitik die Umsetzung dieser sozialen Rechte verhindert und sogar schlimme soziale Verwerfungen in Europa allererst mitverursacht. Siehe Griechenland, siehe Portugal oder Spanien.

Eine Politik des nationalistischen Rückzugs kann nach unserer Auffassung jedoch keine Antwort auf die Widersprüche Europas sein. Wir brauchen mehr, nicht weniger Solidarität in Europa. Was es braucht, ist ein vereintes Europa, das soziale Menschenrechte nicht nur proklamiert, sondern sie verwirklicht. Was es braucht, ist eine Europäische Union, die sich endlich auch ambitionierten sozialpolitischen Zielen verschreibt.

Die künftige EU, für die wir uns einsetzen und für die wir die Menschen zur Wahl bewegen wollen, muss eine andere EU als heute sein. Die EU darf nicht länger in erster Linie ein Wirtschaftseuropa sein. Die Europäische Union muss die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt rücken. Wenn wir Europa wieder stabilisieren wollen, wenn wir Europa fort entwickeln und die Menschen mitnehmen wollen, dann geht es nicht länger an, dass wir sie reduzieren auf ihr Humankapital. Es geht dann nicht an, dass uns der Mensch lediglich als Arbeitnehmer interessiert, während Kinder, Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen, Pflegebedürftige und andere, die nicht unmittelbar wirtschaftlichen Verwertungsinteressen dienen, in der Verfasstheit und Zuständigkeit der EU so gut wie keine Rolle spielen. Wir wollen eine EU, die von Humanität und nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geprägt und gesteuert ist. Wir wollen eine EU, die soziale Mindeststandards in allen Ländern verwirklicht, die ein Leben ohne Armut, aber mit allen Möglichkeiten der sozialen Teilhabe garantiert.

Wir wollen, dass den Nationalisten, die diese EU zerstören wollen, ein neues Leitbild einer sozialen, demokratischen und gerechten EU entgegengesetzt wird. Und wir wollen eine EU, in der die demokratische Zivilgesellschaft eine mindestens so tragende Rolle spielt, wie Großkonzerne und Wirtschaftslobbyisten.

Wir rufen alle Wählerinnen und Wähler auf, am 26. Mai zur Wahl zu gehen. Wählen Sie die Kräfte, die für ein geeintes, soziales, tolerantes und offenes Europa stehen. Versagen Sie Nationalisten Ihre Stimme."

Hier geht es zur gemeinsamen Pressemeldung des Demo-Bündnisses.

Mehr Informationen unter: www.ein-europa-fuer-alle.de