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WSI Studie zur Geschichte und aktuellen sozialen Lage von Gastarbeitern

Fachinfo
Erstellt von Claudia Karstens

Arm nach harter Arbeit - Mithilfe der Gastarbeiter gelang es der deutschen Wirtschaft in den 1960er-Jahren, hohe Wachstumsraten bei stabilen Preisen und Gewinnen zu erzielen. Heute sind sie im Rentenalter – und häufig arm.

41,8 Prozent der ehemaligen Gastarbeiter im Rentenalter sind in Deutschland von Armut bedroht. Damit ist die Altersarmut unter Ausländern, die aus den damaligen Anwerbeländern kamen, mehr als dreimal so hoch wie unter Deutschen über 65 Jahren. Unter den Türken im Rentenalter liegt die Quote sogar gut viermal so hoch. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die große Mehrheit der zugewanderten Arbeitskräfte fand nur Jobs in den untersten Lohngruppen, zeigt die Untersuchung von Dr. Eric Seils, Jutta Höhne, Benedikt Linden und Anne Wiebel. Weil sie aber meist in überdurchschnittlich zahlenden Großunternehmen beschäftigt waren, Schwerstarbeit akzeptierten und viele Überstunden machten, erreichten sie Anfang der 1970er-Jahre im Schnitt immerhin Bruttogehälter, die nur wenig unter denen der Deutschen lagen.

Richtig schwer wurde es nach dem Anwerbestopp: Der Niedergang der Montanindustrie betraf zuerst die Jobs der Gastarbeiter. Die Arbeitslosenquote der Ausländer stieg über die der Deutschen. Gastarbeiter besetzten immer noch die am schlechtesten bezahlten Stellen, arbeiteten aber seltener in Großbetrieben. Die Möglichkeit, niedrige Stundenlöhne durch Mehrarbeit auszugleichen, entfiel häufig.
All dies schlug sich nicht nur im laufenden Einkommen nieder, sondern auch in geringen Rentenansprüchen. Dementsprechend tragen die ehemaligen Gastarbeiter die sozialen Kosten noch Jahrzehnte später.

Auf der Basis von neuen Daten der Deutschen Rentenversicherung und des Mikrozensus sind die WSI-Forscher der Frage nachgegangen, inwiefern sich die soziale Lage der ehemaligen Gastarbeiter in Bezug auf das Einkommen und die Wohnsituation von jener gleichaltriger Deutscher unterscheidet. Als ehemalige Gastarbeiter werden in dieser Studie Ausländer angesehen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und Staatsangehörige der Türkei, der Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Italiens, Spaniens, Portugals oder Griechenlands sind.

So kommen aus der Türkei zugewanderte Männer ab 65 im Schnitt nur auf eine gesetzliche Rente von 742 Euro, während Deutsche immerhin 1.109 Euro im Monat beziehen. Dazwischen liegen frühere männliche Gastarbeiter aus Italien (963 Euro) oder dem ehemaligen Jugoslawien (873 Euro) Siehe hierzu Übersichten auf Seite 17 und 30 der beigefügten pdf-Datei. Auch unter den Seniorinnen haben Frauen aus der Türkei die mit Abstand niedrigsten Rentenansprüche erworben: Sie erhalten im Mittel nur 363 Euro. Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit beziehen dagegen durchschnittlich 572 Euro gesetzliche Rente im Monat, Griechinnen 570 Euro und Italienerinnen 467 Euro.

Noch drastischer zeigen sich die sozialen Unterschiede nach der Analyse der Forscher beim Blick auf die Armutsquoten. Hier liegt die Definition der Europäischen Union zugrunde, wonach Menschen armutsgefährdet sind, wenn ihr bedarfsgewichtetes Einkommen weniger als 60 % des mittleren bedarfsgewichteten Einkommens beträgt. Die Bedarfsgewichtung erfolgt nach der sog. neuen OECD-Äquivalenzskala. Bei einem Median des Äquivalenzeinkommens von 1 470 Euro gelten laut Statistischem Bundesamt jene als armutsgefährdet, deren Äquivalenzeinkommen unter 882 Euro liegt.

Von den Deutschen ab 65 Jahren gelten 12,5 Prozent als armutsgefährdet. Unter Gastarbeitern im Rentenalter sind dagegen 41,8 Prozent von Armut bedroht, bei türkischstämmigen Migranten sogar 54,7 Prozent (siehe auch die Tabelle auf Seite 19 der pdf-Datei). Wirft man einen Blick auf Nordrhein-Westfalen, dann ist der Unterschied noch gravierender: Während das Altersarmutsrisiko von Personen ab 65 Jahren mit deutscher Staatsangehörigkeit mit 11,3 % noch unter dem Bundesdurchschnitt liegt, tragen die alten aus den Anwerbestaaten ein Armutsrisiko von 49,6 %.

Hinsichtlich der Wohnsituation fanden die Forscher heraus, dass 55,5 % der Deutschen im Alter ab 65 Jahren über Wohneigentum verfügen, während es unter den ehemaligen Gastarbeitern nur 23,1 % sind. Besonders wenige Wohnungs- und Eigenheimbesitzer gibt es mit nur 18,1 % unter den Türken im Rentenalter. Zudem zahlen die Zuwanderer zumeist überdurchschnittliche Mieten, weil sie meist in westdeutschen Ballungsgebieten wohnen.

WSI-Forscher Eric Seils urteilt abschließend mit den Worten: "Die bei uns verbliebenen ehemaligen Gastarbeiter leben heute besser als zur Zeit der Anwerbung. Gesellschaftlich sind aber viele ganz unten geblieben."

WSI Report Gastarbeiter  Stand September 2014.pdfWSI Report Gastarbeiter Stand September 2014.pdf