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Zur Situation der Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen in Zeiten von Corona

Gewalt gegen Frauen hat in der Corona-Krise eine ganz neue Dimension. Frauen, die in einer Beziehung mit einem gewalttätigen Partner leben, sind diesem jetzt noch schutzloser ausgesetzt. Unsere Referentin Katrin Frank hat sich darüber ein paar Gedanken gemacht.

Selten zuvor habe ich in der Tagespresse so viel zum Thema Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen gelesen wie in Zeiten von Corona. Mein Arbeitsthema – sonst in der Regel Nischenthema – spielt sich plötzlich über mehrere Wochen auf den Titelseiten der großen deutschen Blätter ab. Sogar zur besten Sendezeit kommt das Thema Gewaltschutz im Fernsehen aufs Tableau.

Auffallend dabei: In all den Artikeln wird immer wieder auf China verwiesen. Dort stiegen Anfang des Jahres die Zahlen der schutzsuchenden Frauen in den von Corona besonders betroffenen Regionen eklatant an, auch bei der Polizei gingen binnen kürzester Zeit mehr Beschwerden ein. Sogleich wird von vielen eine Parallele gezogen: Deutschland in Coronazeiten=Anstieg der häuslichen Gewalt.

Stimmt das?

Diese Gleichung bereitet mir Kopfzerbrechen. Sicher, die mit dem Daheimbleiben verbundenen Einschränkungen sind verstärkende Faktoren für Konflikte und häusliche Gewalt, aber keine ursächlichen Faktoren. Häusliche Gewalt ist kein originäres Produkt der Pandemie, häusliche Gewalt hat es immer schon gegeben – in allen Regionen unseres Landes und in allen Bevölkerungsgruppen. Zudem trafen die Verantwortlichen hierzulande mit Blick auf Corona nicht so weitgehende Einschränkungen wie im chinesischen Epizentrum der Pandemie. Die Menschen können hierzulande noch immer soziale Kontakte pflegen – wenn auch in eingeschränktem Maße.

Noch keine flächendeckende Zunahme an Aufnahmen in Frauenhäusern-
Beratung aber stark nachgefragt

Mit Blick auf Deutschland gilt jedenfalls, dass man derzeit noch nicht von einer flächendeckenden Zunahme von Aufnahmen in Frauenhäusern sprechen kann. In einigen Bundesländern und Regionen ist aktuell zwar eine Zunahme zu verzeichnen, aber längst nicht in allen. In manchen Regionen und Häusern sind die Zahlen noch gleichbleibend oder sogar eher rückläufig. Was aber deutlich wird, ist die Tatsache, dass Beratungsanfragen im Schnitt steigen. Natürlich gibt es auch hier und da regionale Unterschiede, aber die Nachfrage nach Unterstützung und Beratung nimmt definitiv zu – ob diese Anrufe noch „präventiv“ infolge einer verbalen Auseinandersetzung erfolgen, es bereits zu handfesten Auseinandersetzungen kam oder es um Alt- oder Neufälle geht, lässt sich vom Schreibtisch aus nicht sagen. Fest steht jedoch: Das Gewaltschutzsystem wird jetzt gebraucht und muss bestmöglich funktionieren – trotz Pandemie.

Ruhe vor dem Sturm?

Ob dies die Ruhe vor dem Sturm ist? Dazu lässt sich mit Blick auf die Beratungsstellen sagen: Es gibt schon Orkanböen. Für die benötigte Umstellung auf telefonische und Onlineberatung fehlen die finanziellen Ressourcen, die Kolleg*innen vor Ort organisieren und managen parallel die Unterstützung von Klient*innen, neue datenschutzrechtliche Sachfragen sowie teilweise die Umstellung auf home office.

Mit Blick auf die Frauenhäuser lässt sich sagen: Bestenfalls verschlechtert sich die aktuelle Lage nicht, damit sie nicht an ihre finanziellen, personellen und letztendlich existenziellen Grenzen kommen. Womöglich ist es aber nur die Ruhe vor dem Sturm – mit einer Zunahme von Anfragen an Frauenhäuser müssen die politisch Verantwortlichen bei einer Andauer der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen aber definitiv rechnen. Hier passt der Blick nach China schon besser.

Corona-Krise macht Probleme besonders deutlich

Zurück zu den Medien: Eigentlich ist es erfreulich, dass endlich so intensiv über die Situation der Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen in Deutschland berichtet wird. Über die prekäre Finanzierung des Gewaltschutzsystems, vermeintlich fehlende Plätze in Frauenhäusern und so manche Beratungsstelle, die nun auch online berät. Was aber alles andere als erfreulich ist, ist die Tatsache, dass die Probleme, die nun benannt werden, bereits seit Jahren und teilweise Jahrzehnten bestehen. Die Corona-Krise hat die Probleme nur besonders deutlich gemacht.

Quarantäne, Personaldecke, Infektionsschutz – was noch?

Die Frauenberatungsstellen müssen ad hoc auf telefonische und Online-Beratung umstellen, mit Blick auf home office & Co. neue datenschutzrechtliche Fragen lösen und dies aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen mit viel Engagement lösen. Viele Frauenhäuser sind schon jahrelang viel zu klein – nun braucht es noch Ressourcen und Pläne im Fall von Quarantäne. Mancherorts werden alternative Schutzunterkünfte eingerichtet. Unterkünfte in Ferienwohnungen, Hotels und Gemeinschaftsunterkünften. Sie werden in den Paritätischen Strukturen selbst, aber auch mit Unterstützung von Ländern und Kommunen gefunden. Für die Beratung und Betreuung der Frauen und Kinder wären dann zusätzliche personelle Ressourcen erforderlich. Mit der bereits ohnehin zu dünnen Personaldecke in Frauenhäusern und zusätzlichen Ausfällen bei Mitarbeiter*innen durch fehlende Kinderbetreuung, Erkrankungen, Quarantäne ist das auf die Schnelle meist nicht zu realisieren. Jedoch haben wir es im gesamten Gewaltschutzsystem – in den Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen - mit ganz besonders engagierten Mitarbeiter*innen zu tun. Wir verdanken es ihnen, dass die Einrichtungen auch in Zeiten wie jetzt bestmöglich am Leben gehalten werden, und sie das Beste tun, um auch den Anforderungen an den Infektionsschutz sicher zu stellen – so gut dies mit den zur Verfügung gestellten Mitteln eben geht. Allen Widrigkeiten und kleinen Gehältern zum Trotz. Ein Jammer, verkehrte Welt. Ich frage mich:

Hat es erst einer Krise bedurft, damit das Thema in der Öffentlichkeit sichtbarer wird?

Ich zögere bei der Antwort der Frage. Jein scheint mir die logischste Antwort. Die Ratifikation der Istanbul Konvention, also des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, hat Deutschland in die Pflicht genommen, umfassende Maßnahmen zum Gewaltschutz umzusetzen. Die Konvention trat hierzulande im Februar 2018 in Kraft. Ein Runder Tisch von Bund, Ländern und Kommunen wurde zügig ins Leben gerufen. Die Presse berichtete bereits. Jedoch waren es Berichte über einen Ist-Zustand, der sich schon seit Jahren und Jahrzehnten zieht. Es änderte sich nichts. Nun hat ein Virus tragischerweise das entscheidende Momentum geliefert, dass das Fass zum Überlaufen bringen könnte und die Presse auf den Plan rief. Die Auswirkungen, die in Folge des Corona-Virus entstehen, könnten nun tragisch werden – für Hilfe suchende Frauen und diejenigen, die sie dabei unterstützen, der Gewaltspirale zu entkommen. Derzeit können wir nur hoffen, dass dies nicht geschieht, den Frauen Danke sagen, die vor Ort tagein tagaus in den Häusern und Beratungsstellen arbeiten und eine engagierte Lobbyarbeit leisten.

Wenn Sie Hilfe benötigen, finden Sie umfassende Angebote auf www.hilfetelefon.de oder unter 08000 116 016

Autorin:
Katrin Frank ist Referentin Familienhilfe/-politik, Frauen und Frühe Hilfen beim Paritätischen Gesamtverband.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de