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Die Betreuungskapazitäten in der Kindertagesbetreuung sinken in der Corona-Krise um fast die Hälfte

Auch die Kitas sind im Zuge der Corona-Krise geschlossen. Unser Referent Niels Espenhorst hat interessante Zahlen und Fakten zur Situation der Einrichtungen zusammengetragen.

Es gibt viele gute Gründe für eine umfassende Erweiterung der Notbetreuung in der Kindertagesbetreuung. Die meisten Kinder haben seit Wochen ihre Freunde nicht gesehen, viele Kinder haben nicht ausreichend Bewegung und Platz zum Spielen. Viele Eltern haben derzeit das Gefühl, weder ihren Kindern noch der Arbeit gerecht werden zu können. Insofern ist der Wunsch, nach mehr als einem Monat des Betretungsverbots für Kindertageseinrichtungen bzw. der Organisation einer Notfallbetreuung nach einem stufenweisen Wiedereinstieg in die Kindertagesbetreuung verständlich. Die JFMK und das BMFSFJ haben am 28. April 2020 eine entsprechende Rahmenvereinbarung vorgelegt, die eine sukzessive Ausdehnung der Betreuung in Aussicht stellt.

Konsens besteht darüber, dass sich das Distanzgebot in der Arbeit mit Kindern im Vorschulalter nicht umsetzen lässt und deshalb spezifische Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos und zum Schutz aller Beteiligten ergriffen werden müssen. Diese umfassen neben entsprechenden Hygienevorkehrungen beispielsweise den Verzicht auf den Einsatz von Beschäftigten, die Risikogruppen angehören, sowie die Verkleinerung der Kindergruppen.

Hat schon die Sicherung der Notfallbetreuung die Einrichtungen vor große Herausforderungen gestellt, so dürfte dies für die stufenweise Ausweitung des Betreuungsangebots in noch höherem Maße gelten, die zudem mit erheblichen Planungsunsicherheiten einhergeht. Dabei wird es nicht zuletzt darauf ankommen, realistische Optionen und Szenarien aufzuzeigen, um Handlungssicherheit und Akzeptanz auf Seiten aller Beteiligten zu gewährleisten und durch ein entsprechendes Erwartungsmanagement Ärger und Frustrationen auf Seiten der Eltern zu vermeiden.

Für Träger und Fachverwaltungen stellt sich konkret die Frage, wie viele der normalerweise betreuten Kinder unter den Bedingungen von kleineren Gruppengrößen, räumlichen Beschränkungen und einem erheblichen Ausfall von Beschäftigten aufgenommen werden können. Wenn die vorhandenen Kapazitäten in den Planungen nicht ausreichend berücksichtigt werden, wird dies notwendigerweise entweder zu einer Ausbreitung von Infektionen oder zu Frustrationen bei Eltern und Fachkräften führen.

Limitierung der räumlichen Kapazitäten

Um die Knappheit der Ressource Raum zu berechnen, hat FRÖBEL e. V. als überregionaler Träger von etwa 200 Kindertageseinrichtungen mit etwa 15.000 betreuten Kindern ein Simulationsmodell entwickelt, das die Möglichkeiten der Betreuung von Kindern in Kleingruppen in den bestehenden Einrichtungen verdeutlicht. Diese Berechnung zeigt anschaulich die derzeitigen Möglichkeiten der Notbetreuung unter der Voraussetzung, dass Kleingruppen gebildet werden, die jeweils einem festen Raum zugewiesen werden.

Wer Kleingruppen in eigenen Gruppenräumen einführen will, benötigt zunächst genügend Räume. Das Rechenmodell von FRÖBEL führt für jede der 200 Einrichtungen auf, wieviele Räume es in den Einrichtungen gibt, die für Kleingruppen zur Verfügung stehen. Dabei fällt auf, dass die Relation von betreuten Kindern und zur Verfügung stehenden Räumen sehr unterschiedlich ist.

In Sachsen steht durchschnittlich 13,3 Kindern ein gruppenarbeitsfähiger Raum zur Verfügung, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 13,0 Kindern pro Raum. In Brandenburg ist das Verhältnis mit 8,0 Kindern am besten. Das bedeutet, dass bei einer Limitierung auf 5 Kinder pro Kleingruppe in Brandenburg 5 von 8 Kinder betreut werden können, in Sachsen 5 von 13.

Würden die Kleingruppen auf sieben Kinder erhöht, ständen andere Betreuungskapazitäten in den Einrichtungen von FRÖBEL zur Verfügung. In Bremen und Brandenburg könnten über 80 Prozent der Kinder betreut werden. In einigen anderen Bundesländern ergeben sich aber auch nach dieser Erhöhung der Gruppengröße lediglich Betreuungskapazitäten von etwas über 50 Prozent.

Dies sind lediglich die räumlichen Kapazitäten. Da für Kleingruppen andere Personalschlüssel als für den Regelbetrieb nötig sind, kommt das Modell der Kleingruppen aufgrund fehlender Fachkräfte für die Betreuung, Erziehung und Bildung relativ schnell an seine Grenze.

Limitierung der personellen Kapazitäten

In den meisten Bundesländern können die vorhandenen Raumkapazitäten für Kleingruppen nicht vollständig genutzt werden, weil Fachkräfte fehlen.  Dazu werden folgende Annahmen getroffen. Es werden 1,5 VZE Stellen pro Kleingruppe benötigt – in der Regel dürfte eine Fachkraft zu wenig sein und insbesondere für die Betreuung von jüngeren Kindern müsste mit einem besseren Personalschlüssel gerechnet werden. Die Ausfallquote von Fachkräften aufgrund von Krankheit und Urlaub wird auf 15 % geschätzt. Bislang liegen noch keine belastbaren Angaben dazu vor, wie hoch der Anteil von Fachkräften ist, die zu einer Risikogruppe gehören und damit nicht im Gruppendienst eingesetzt werden sollten. Daher wird auch hier ein Wert von 15 % angenommen. Dieser Wert wird zwischen den Einrichtungen sehr stark variieren. Unter diesen Annahmen reichen lediglich in Nordrhein-Westfalen die personellen Kapazitäten von FRÖBEL aus, um die räumlichen Kapazitäten in vollem Umfang zu nutzen. In allen anderen untersuchten Ländern können die Räume nicht in vollem Umfang für die Notbetreuung genutzt werden, weil nicht ausreichend Fachkräfte vorhanden sind. In Bremen und Brandenburg stehen unter diesen Annahmen nur etwa 60 Prozent der Fachkräfte zur Verfügung. Das heißt, dass in Bremen zwar Räume zur Verfügung stehen, um 80 von 100 Kindern in Kleingruppen von sieben Kindern zu betreuen. Aber von diesen 80 Kindern können lediglich 48 tatsächlich betreut werden, weil keine Fachkräfte verfügbar sind.

Nimmt man sowohl die Limitierung durch Räume als auch durch fehlende Fachkräfte zusammen, ergeben sich folgende Betreuungskapazitäten:

NRW: 54 Prozent mögliche Betreuungsquote
Hamburg: 48,8 Prozent mögliche Betreuungsquote
Berlin: 53,9 Prozent mögliche Betreuungsquote
Brandenburg 54,1 Prozent mögliche Betreuungsquote
Sachsen: 43,7 Prozent mögliche Betreuungsquote
Bayern: 61,6 Prozent mögliche Betreuungsquote
Bremen: 48,5 Prozent mögliche Betreuungsquote

Qualitätsstandards müssen auch und gerade in der Krise gelten!

Diese Begrenzungen stehen derzeit einer Ausweitung der Betreuung von Kindern im Weg. Es müssen nun Konzepte erstellt werden, um zusätzliche Räume und neues Personal für die Kindertagesbetreuung zu gewinnen. Ansonsten bleibt die Hoffnung einer großen Zahl von Kindern und Eltern auf eine Fortsetzung der Kindertagesbetreuung nur ein schwacher Wunsch.

Diese Begrenzungen dürfen durch das Unterlaufen von Qualitätsstandards nicht  aufgehoben werden. Gerade jetzt ist eine gute pädagogische Qualität und ein angemessenere Fachkraft-Kind-Schlüssel unbedingt notwendig.

Wir danken Birgit Riedel vom Deutschen Jugendinstitut für die wertvolle Rückmeldung zu den folgenden Überlegungen.

Autor:
Niels Espenhorst ist Referent für Kindertageseinrichtungen / Tagespflege beim Paritätischen Gesamtverband

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de