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Rassismus kann überwunden werden, wir sollten unbedingt selbstkritischer werden

Vera Sompon ist Sprecherin des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen. In der aktuellen Debatte um Rassismus und #BlackLivesMatter sind ihr drei Fragen besonders wichtig, die sich jede*r stellen sollte.

Zurzeit wird sehr viel über Rassismus weltweit diskutiert. Menschen gehen auf die Straßen und demonstrieren für die Abschaffung von rassistischen Gesetzen, Praktiken und sogar Denkmälern. Anlass hierfür war der tragische Tod von George Floyd, einem schwarzen Amerikaner, der brutal vor den Augen der Öffentlichkeit von der Polizei ermordet wurde.

Die Ermordung von George Floyd ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Strukturen des Rassismus sehr wohl überall gegenwärtig sind. Das sogenannte Racial Profiling, bei dem Polizeibeamte und andere Sicherheitskräfte auf Basis von Stereotypen und äußerlichen Merkmalen handeln, ist auch in Deutschland eine Realität. Selbst meine Familie war mehrmals davon betroffen. Sehr oft kommen schwarze Menschen in unsere Beratungsräume und berichten von Schikanen und ungerechten Behandlungen. Die Folgen sind Wut, Trauer und Traumatisierung.

Der Rassismus ist tief in der kolonialen Vergangenheit Europas verwurzelt. Es wurde bis heute nicht genug dafür getan, rassistische Strukturen und ungleiche Behandlung von Menschen aufgrund der Herkunft und der äußerlichen Merkmale zu bekämpfen. Rassismus ist ein System, in dem eine Gruppe von Menschen ihre Privilegien und Machtstrukturen auf Kosten von anderen Menschen stärkt und verfestigt. Rassismus bedeutet also weiße Privilegien und Machtstrukturen zu stärken und dadurch Ungerechtigkeit unbewusst oder bewusst zu ignorieren. Leider ist auch die soziale Arbeit nicht frei davon. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema muss vorangebracht werden.

Der alltägliche Rassismus, der auf der persönlichen und kulturellen Ebene stattfindet, kann nur beendet werden, indem Strategien entwickelt werden und der Austausch mit Betroffenen gesucht und gefördert wird. Privilegierte Menschen sollten ihre Denkmuster reflektieren und sich selbstkritisch betrachten, damit es eine individuelle Veränderung geben kann.

Bei der Überwindung des strukturellen Rassismus, der in den Praktiken und Routinen der Institutionen und in den Gesetzen verankert ist, fordern wir ein Umdenken. Unter anderem sollen Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser sowie politisch verantwortliche und gesetzgebende Menschen darauf achten, dass es zu keiner weiteren Benachteiligung kommt. Für die Betroffenen gleicht struktureller Rassismus einer weißen, felsenfesten Betonwand. Es verlangt sehr viel Kraft, Mut, Beharrlichkeit, Ausdauer und Engagement, um sich nicht von immer wieder neu praktizierten Ausgrenzungshandlungen demütigen zu lassen.

Als schwarze Frau in einer weiß dominierten Gesellschaft muss ich mich tagtäglich mit solchen Fragen auseinandersetzen. In diesem System haben bestimmte Menschen das Sagen. Sie regieren, herrschen, teilen ein, bestimmen, wer hereinkommen darf und wer nicht – und andere Menschen wiederum leiden unter diesen bewussten oder unbewussten, auch institutionellen und systematischen Unterdrückungsformen. Wir engagieren uns aber auch jeden Tag, um unsere Stellung in der Gesellschaft zu verbessern und eine bessere Welt für unsere Kinder zu erschaffen.

Nelson Mandela hat in einer seiner Reden einmal gesagt: „Niemand wird geboren, um einen anderen Menschen zu hassen.“ Menschen lernen zu hassen. Wenn Menschen lernen zu hassen, dann können sie auch lernen zu lieben. „Die Liebe empfindet das menschliche Herz viel natürlicher als ihr Gegenteil.“ Jeder hat es selbst es in der Hand, den Rassismus zu beenden. Jeder kann mit kleinen Schritten beginnen, genauer zuzuhören, statt abzuwerten, respektvoll zu bleiben und bei Bedarf auch Zivilcourage zu zeigen, wenn bestimmte Menschen offensichtlich diskriminiert werden. Rassismus ist nicht naturgegeben, er wurde von Menschen konstruiert und kann nur durch Menschen abgeschafft werden.

Es hängt von unserer Haltung und unserem Handeln ab. Ich möchte hier folgende Fragen in dem Raum stellen, und dass jede Person für sich selbst reflektiert:

  1. Wie gehen wir mit Rassismus in unserer Gesellschaft sowie in unseren Institutionen um und was tun wir konkret dagegen?
  2. Wie hindert Rassismus unsere gemeinsame Arbeit auch im sozialen Bereich?
  3. Wie sensibel gehen wir mit diesen Themen um? Wie bereit sind wir, uns mit unseren eigenen Privilegien auseinanderzusetzen?

Unsere gemeinsame Zukunft ist die Vielfalt. Wir sollten uns damit intensiver beschäftigen und denjenigen, die unter Rassismus leiden, eine Stimme geben. Dafür arbeiten wir in den Migrantenorganisationen mit Mut und Beharrlichkeit jeden Tag. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam ein Weg finden werden, um eine gerechtere Welt zu erschaffen.

Der Beitrag erschien auch in unserem Verbandsmagazin "Der Paritätische", Ausgabe 04/20. Gern weisen wir auf die Online-Leser*innenumfrage zum Magazin hin: Was gefällt Ihnen, was können wir bessern machen? Wir freuen uns über Ihre Teilnahme.

Autorin:
Vera Sompon

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de