Zum Hauptinhalt springen

Drinnen und draußen – Leben im Pflegeheim in Zeiten von Corona

Plötzlich war alles anders und anders ist es noch immer. Seit nunmehr drei Monaten befindet sich das Leben in stationären Pflegeeinrichtungen im Ausnahmezustand. Neben der Umsetzung der Schutzmaßnahmen haben vor allem die plötzlichen Besuchsverbote die Einrichtungen mit ihren Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen vor Herausforderungen gestellt. Denn von einem Tag auf den anderen konnten die Bewohner*innen nur noch in absoluten Ausnahmefällen Besuch empfangen und durften nur unter strengen Auflagen die Einrichtungen verlassen. Pflegeeinrichtungen, die sonst ein Ort der Begegnung und der Nähe sind, wurden zu Orten, in denen Distanz im Inneren und nach außen zum obersten Gebot werden mussten – zum Schutz der Bewohner*innen.

Dass diese Maßnahmen sinnvoll sind, hat sich besonders in den Fällen gezeigt, in denen dennoch COVID-19-Infektionen aufgetreten sind: Schnell haben sich diese verbreitet und Opfer gefordert. Gleichzeitig trugen diese notwendigen Maßnahmen dazu bei, dass die Bewohner*innen im Inneren der Einrichtungen stark von der Außenwelt – und damit von den für sie wichtigen Sozialkontakten – abgeschnitten wurden. Welche Folgen das auf lange Sicht für sie haben wird, kann heute nur erahnt werden. Dies bedarf der weiteren Beobachtung und des gesellschaftlichen Diskurses; ggf. auch der pflegewissenschaftlichen Untersuchung. Dabei dürfen insbesondere die Menschen nicht aus dem Blick geraten, die sich aufgrund einer Erkrankung nicht mehr selbst über das Erlebte äußern können – beispielsweise Menschen mit einer Demenz.

Die Einrichtungen sahen sich damit konfrontiert, Nähe zwischen den Bewohner*innen und ihren An- und Zugehörigen zu ermöglichen – und dennoch Distanz zu wahren. Rasch wurden die Möglichkeiten erkannt, die die Digitalisierung bietet, und es wurde auf Kommunikationsmöglichkeiten zurückgegriffen, die sonst nicht unbedingt den Alltag in Pflegeeinrichtungen prägen und die nicht immer schon vorhanden waren. So wurden beispielsweise Tablets angeschafft, Apps für Videotelefonie installiert und kurze Videos für die An- und Zugehörigen erstellt. Auch analoge Möglichkeiten wurden genutzt und der Kontakt über das offene Fenster ermöglicht, Briefe wurden gewechselt und vorgelesen oder Gelegenheiten geschaffen, um persönliche Gegenstände auszutauschen. Und das alles mit den ohnehin schon knappen personellen Ressourcen der Einrichtungen!

Innerhalb kürzester Zeit haben die Pflegeeinrichtungen sich auf diese für alle Beteiligten neue Situation eingestellt. Sie haben sich mit außerordentlichem Engagement der Mitarbeiter*innen dafür eingesetzt, die Folgen der sozialen Isolation abzumildern und die Lebensqualität der Bewohner*innen unter den Einschränkungen durch die Pandemie zu erhalten. Das war und ist keine einfache Aufgabe. Denn die sich kontinuierlich verändernden rechtlichen Regelungen auf der Bundes- und Länderebene sowie die mit ihnen einhergehenden Anpassungsbedarfe verlangen den Einrichtungen immer wieder einiges ab. Allem voran die Schritte hin zu einer Öffnung der Einrichtungen, die besonders kurz vor dem Muttertag in einigen Bundesländern für Friktionen gesorgt haben und die mehr als politische, weniger als fachlich begründete Handlung gesehen werden müssen.

Dennoch haben die Einrichtungen innerhalb kürzester Zeit Besuchskonzepte entwickelt, die das Leben in den Pflegeeinrichtungen ein Stück weit der Normalität näherbringen und die Distanz zwischen den Bewohner*innen und ihren An- und Zugehörigen verringern. Somit kehrt langsam die Außenwelt in den Einrichtungsalltag zurück, stets den Schutz der Bewohner*innen wahrend und eine neue, veränderte Normalität suchend.

In der Zeit der Pandemie hat sich gezeigt, wie wertvoll gute Kommunikation und gute Informationen sind, um handlungsfähig zu bleiben. Aber noch deutlicher hat sich eins gezeigt: Pflegeeinrichtungen können ihre Ziele nur erreichen, wenn ihnen die dafür notwendigen hochqualifizierten Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Denn sie sind es, die die Bedürfnisse der Bewohner*innen in der täglichen Interaktion erkennen können. Und sie sind es, die die Bewohner*innen professionell unterstützen, diese besondere Phase in ihrem Leben gut zu überstehen. Damit sind sie – nicht erst seit Corona – systemrelevant. Das muss sich widerspiegeln: in der Bezahlung, in den Arbeitsbedingungen und in dem, wie über professionell Pflegende gesprochen wird: Held*innen sind von gestern, Profis sind von heute.

Der Beitrag erschien zuerst in unserem Verbandsmagazin "Der Paritätische", Ausgabe 04/20. Gern weisen wir auf die Online-Leser*innenumfrage zum Magazin hin: Was gefällt Ihnen, was können wir bessern machen? Wir freuen uns über Ihre Teilnahme.

Autor:
Sebastian Riebandt ist Fachreferent Teil- und vollstationäre Pflege beim Paritätischen Nordrhein-Westfalen

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de