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Blockierte Solidarität: Innenminister Seehofer verhindert weitere Aufnahme von Schutzsuchenden von den griechischen Inseln

Nachdem Innenminister Seehofer zunächst dem Land Berlin die Aufnahme von 300 Flüchtlingen aus Griechenland untersagt hatte, wurde nun auch das Angebot aus Thüringen, 500 Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen, abgelehnt. Das ist skandalös. Es mangelt nun wirklich nicht an aktuellen Berichten, in denen die dramatische Situation der Geflüchteten auf den griechischen Inseln beschrieben wird. Noch in vergangenen Woche bezeichnete der NRW Ministerpräsiden Laschet nach einem Besuch des Lagers Moria auf Lesbos die Situation dort als „Schande für Europa“.

Begründet wurde die Ablehnung der Anträge aus Berlin und Thüringen u. a.  damit, dass man einer europäischen Lösung hinsichtlich der Verteilung der Flüchtlinge nicht  vorgreifen wolle. Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht zynisch. Zum einen: Es ist kaum davon auszugehen, dass die zweifelsohne sehr komplexen und schwierigen Verhandlungen zur Neugestaltung der europäischen Asylpolitik  dadurch erschwert werden, wenn in dieser großen Notlage die Bundesländer Berlin und Thüringen Flüchtlinge  aus dem Flüchtlingslager Moria aufnehmen. Zum anderen: auf welche europäische Einigung wartet man denn da eigentlich, was ist dort zu erwarten? Nach allem, was bisher bekannt wurde, wenig  Gutes. Mitte September – so heißt es nun – will die EU Kommission ihren Vorschlag für einen Europäischen  Migrationspakt vorlegen. Er wird politische Zielvorgaben beinhalten, keine konkreten Gesetzesvorlagen.  Zentrales Element dieses Migrationspaktes wird  der Vorschlag sein, zünftig möglichst viele Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen durchzuführen und diejenigen, die nicht anerkannt wurden, von dort direkt in die Herkunftsländer zurückzuführen. Solange die Verfahren nicht abgeschlossen sind, gelten die Betroffen noch nicht als eingereist. Es soll also ein Verfahren ähnlich dem Flughafenverfahren in Deutschland werden.

Auf diese Weise hofft man natürlich, die Zahl derer, die dann noch in der EU verteilt werden drastisch zu reduzieren. Ob aber selbst in diesem Fall eine verbindliche Verteilung der Flüchtlinge in der EU vereinbart werden kann, erscheint äußerst fraglich, denn eine Reihe von EU Mitgliedsstaaten lehnen bisher einen verbindlichen Verteilungsmodus rigoros ab.

Mit Verweis auf eine angeblich bevorstehende Regelung auf europäischer. Ebene jetzt die Aufnahme von Flüchtlingen abzulehnen, die unter erbärmlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln ausharren müssen, ist angesichts dieser Gemengelage zynisch.

Die Ablehnung ist aber noch aus anderen Gründen ärgerlich – und erhellend zugleich. Immer wieder wird ja gefordert, man möge doch  legale Wege der Zuwanderung – insbesondere auch für Schutzsuchende-  ausbauen, um den Betroffenen den gefahrvollen Fluchtweg nach Europa  zu ersparen. Verbunden wird dies dann mit der Forderung, im Gegenzug die individuellen Möglichkeiten, in der EU Asyl zu beantragen, einzuschränken. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage von Infratest Dimap sprachen sich: 59 % der Bevölkerung dafür, dass mehr Schutzbedürftige direkt aus den Krisenregionen in die EU eingeflogen werden -  und dafür auf der anderen Seite die unerlaubte Einreise von Asylsuchenden in die EU weitgehend verhindert wird.  Ganz abgesehen davon, dass man auf diese Weise einen Rechtsanspruch zu Gunsten eines Gnadenrechts eintauschen würde:  Wie die Ablehnung der Anträge aus Berlin und Thüringen nochmal deutlich macht, gibt es  eine solche Bereitschaft, mehr legale Wege in nennenswerten Umfang zur Verfügung zu stellen – allem anderslautendem Wortgeklingel zum Trotz – faktisch nicht. Nicht in der EU – und auch nicht in Deutschland. Natürlich ist es für die Betroffenen erfreulich, dass Deutschland wenigstens knapp 1000 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufnimmt. Angesichts der katastrophalen Lage dort – und den Möglichkeiten hier – ist das aber deutlich zu wenig.

Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, CDU und CSU darauf verständigt,  dass die Zuwanderungszahlen von Geflüchteten – abzüglich der Rückführungen und freiwilligen Ausreisen – die Spanne von 180-220.00  pro Jahr nicht überschreiten werden. Bis einschließlich Juli gab es in diesem Jahr bisher  rund  56.000  Asylerstantragsteller-  ein Rückgang von 35 % gegenüber dem Vorjahr. Die Zahlen für Familienzusammenführung  und resettlement bewegen sich wegen der restriktiven Bestimmungen, aber natürlich  auch aufgrund der Corona Krise ebenfalls auf geringem Niveau. Deutschland ist in diesem Jahr also weit entfernt von der im Koalitionsvertrag formulierten Zielmarke: An vielen Orten sind ausreichend nicht ausgelastete Aufahmeressourcen vorhanden – und auch der politische Wille  zur Aufnahme und ein breites zivilgesellschaftliches Engagement.

Natürlich wäre  bei der Verteilung der Flüchtlinge eine umfassende europäische Lösung wünschenswert, wenn damit eine angemessene Aufnahme von Flüchtlingen in der EU gewährleistet würde. Die Blockade auf europäischer Ebene darf auf nationaler Ebene nicht als Ausrede für eine restriktive Aufnahmepolitik dienen – schon gar nicht, wenn Länder und Kommunen klar die Aufnahmebereitschaft signalisieren.

Autor:
Harald Löhlein ist Leiter der Abteilung Migration und Internationale Kooperation beim Paritätischen Gesamtverband.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de