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"Verschuldung und damit auch Überschuldung ist ebenso strukturell in unserer Gesellschaft verankert wie der Unfall im Straßenverkehr."

In NRW ist jede zehnte Person überschuldet. Während Schulden früher hauptsächlich ein Problem der unteren Einkommens- und Bildungsschichten war, ist es inzwischen in der Mittelschicht angekommen. Menschen, die überschuldet oder anderweitig in finanzielle Not geraten sind, finden Beratung und Begleitung in Schuldner*innenberatungsstellen und staatlich anerkannten Insolvenzberatungsstellen. Doch sie sieht die Versorgung in eher ländlichen Gebieten aus? Wir fragten nach bei Alexander Elbers, Fachreferent Schuldner*innenberatung beim Paritätischen Nordrhein-Westfalen.

Herr Elbers, beobachten Sie ein Stadt-Land-Gefälle bei der Überschuldung? Sind Städter anfälliger für Shopping-Touren, weil sie die Läden vor der Tür haben?

Wenn man sich Untersuchungen dazu wie z.B. den Schuldneratlas der Fa. Creditreform anschaut sind die Überschuldungszahlen in Ballungszentren oftmals höher. Insofern kann schon von einem Stadt-Land-Gefälle gesprochen werden. Von einer größeren Anfälligkeit würde ich allerdings nicht sprechen wollen. Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Das Schuldenmachen gehört dazu und ist gesellschaftlich gewünscht. Bargeldlose Zahlungsverkehre gehören ebenso wie Dispositions- und Konsumentenkredite zum Alltag. Verschuldung und damit auch Überschuldung ist ebenso strukturell in unserer Gesellschaft verankert wie der Unfall im Straßenverkehr.

In die Schuldenfalle kann man/frau schnell hineingeraten. Durch Wechselfälle des Lebens wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Trennung, Familienzuwachs können bis dahin stabile oder vielleicht auch nur stabil erscheinende Systeme zum Einsturz kommen. Aus einer gesellschaftlich gewünschten Verschuldungslage geraten Betroffene so ganz schnell in eine Überschuldungssituation, die ohne Hilfe oftmals nicht zu bewältigen ist. Die Berichte der Schuldnerberatungsstellen und auch die regelmäßig vorgelegten Studien vom Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) oder der Fa. Creditreform belegen, dass Arbeitslosigkeit, Scheidung, Trennung die Hauptauslöser von Überschuldung sind.

Ist Diskretion auf dem Dorf noch wichtiger? Dort bekommt man ja eher etwas mit und kennt seine Nachbar*innen in der Regel noch.

Diskretion ist in der Schuldnerberatung sehr wichtig. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit ist einer der zentralen Grundsätze der Schuldnerberatung. Überschuldung wird immer noch als persönliches Versagen betrachtet und ist mit einem Makel behaftet. Dies hat auch etwas damit zu tun, dass in unserer Gesellschaft über Geld wenig gesprochen wird. Dies gilt erst recht für Schulden. Insbesondere in kleinen Gebietskörperschaften wird Überschuldung eher als Makel wahrgenommen als in Ballungszentren. Dies zeigt auch darin, dass manche Schuldner*innen lieber den Weg in die nächste (größere) Stadt suchen, als zur Schuldnerberatungsstelle vor Ort zu gehen.

Wie hilft der Paritätische überschuldeten Menschen jenseits der Metropolen?

Schuldnerberatungsstellen des Paritätischen sind i.d.R. in Trägerschaft der rechtlich eigenständigen Mitgliedsorganisationen. Eine Übersicht über diese Angebote gibt es über die einzelnen Landesverbände des Paritätischen. Wohnortnahe Beratungsdienste können insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen nicht immer angeboten werden. Dies trifft auch auf das Angebot der Schuldnerberatung zu. Für Überschuldete bedeutet dies, u.U. längere Anfahrtswege in Kauf nehmen zu müssen. Viele Schuldnerberatungsstellen haben zudem das Problem, dass die Beratungsleistung Schuldnerberatung nur für bestimmte Personengruppen finanziert wird.

Die Soziale Schuldnerberatung sieht sich daher in wachsendem Maße herausgefordert, Überschuldeten einen niedrigschwelligen Zugang zu (unabhängiger) persönlicher Beratung zu verschaffen. Dazu können auch Veränderungen in der Organisation des Beratungsangebots gehören wie z.B. Hausbesuche oder die Nutzbarmachung digitaler Angebote.

Erforderlich ist offener Zugang zur Schuldnerberatung für alle. Der Paritätische fordert daher gemeinsam mit den anderen Schuldnerberatungsverbänden einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle Überschuldeten.

Der Beitrag erschien zuerst in unserem Verbandsmagazin "Der Paritätische", Ausgabe 05/20. Es widmete sich dem Schwerpunt "Stadt und Land".

Autor:
Philipp Meinert, Referent für Presse und Redaktion beim Paritätischen Gesamtverband

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de