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Zum Tag gegen Gewalt an Frauen: Bei Menschenrechten darf nicht gespart werden

Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen legt den originären Fokus auf die Frauen* als Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird im Vorfeld vorgestellt und die Zahlen dominieren die mediale Berichterstattung zu dem Tag. Dabei geraten die Mitarbeiter*innen des Gewaltschutzsystems und dessen unzureichende staatliche Finanzierung jedoch oft in Vergessenheit. Was sich deshalb ändern muss, erläutert Katrin Frank, Referentin Familienhilfe/-politik, Frauen und Frühe Hilfen beim Paritätischen Gesamtverband.

Die Mitarbeiter*innen des Gewaltschutzsystems arbeiten mit großem Engagement in einem Feld, das von seiner Komplexität seines gleichen sucht und welches weit über das originäre Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit hinausgeht. Und mehr noch: Diese von staatlicher Seite chronisch unterfinanzierte Struktur würde ohne ihren besonderen Einsatz in sich zusammenbrechen. Die meisten engagieren sich weit über Gebühr – in persönlicher und beruflicher Hinsicht.

Mitarbeiter*innen sind gezwungenermaßen Multitalente

Mitarbeiter*innen im Gewaltschutzsystem sind auf dem Papier meist Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Sozialpägagog*innen, aber eigentlich sind sie noch so viel mehr: SGB II („Hartz IV“)-Expert*innen, Objektmanager*innen und Hausmeister*innen, Rechtskundige, Kinderschutzexpert*innen, Kundige des regionalen Wohnungsmarktes, exzellente Organisationstalente und besonders auch Coaches für schutzsuchende Frauen, um ihnen die Möglichkeiten eines selbstbestimmten und gewaltfreien Lebens aufzuzeigen. Sie empowern Frauen und deren von Gewalt betroffene Kinder mit einem außerordentlich hohen Einsatz, meist weit über die eigentliche Arbeitszeit hinaus. Überstunden sind oft Fakt und abschalten geht bei vielen Gewaltschutzfällen nicht per Knopfdruck – die Schicksale bewegen auch am Wochenende und in der Freizeit. Rufdienste werden oft auch außer der Reihe übernommen, Geld hierfür ist nicht immer ausreichend da. Der Grund: Das Gewaltschutzsystem ist chronisch unterfinanziert.

Eckpunktepapier zur Finanzierung der Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern

Der bff (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe), die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) und der Paritätische Gesamtverband haben deshalb ein gemeinsames Eckpunktepapier zur Finanzierung des Unterstützungssystems veröffentlicht. Mit diesem Eckpunktepapier haben wir einheitliche Forderungen zur Finanzierung erarbeitet. Diese bieten die Grundlage, ein tragfähiges und auskömmliches Finanzierungskonzept des Gewaltschutzes zu realisieren – wenn der politische Wille da wäre.

Forderung nach einer einzelfallunabhängigen, bundeseinheitlichen Finanzierung aller Angebote der Hilfe- und Unterstützungsstrukturen auf gesetzlicher Grundlage

Gemeinsam fordern wir eine einzelfallunabhängige, bundeseinheitliche Finanzierung aller Angebote der Hilfe- und Unterstützungsstrukturen auf gesetzlicher Grundlage. Frauen muss in allen Bundesländern ein möglichst ähnlicher Standard an Prävention und Schutz vor Gewalt zur Verfügung stehen. Eine flächendeckende und auskömmlich finanzierte Infrastruktur der Beratung und Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen wäre ein entscheidendes Signal für das Empowerment von Frauen insgesamt. Das Thema Gewaltschutz würde endlich seine Nischenstellung verlassen. Eine gesetzliche Grundlage wäre ein klares Signal und würde einen verlässlichen Rahmen schaffen. Es würde deutlich: Gewaltschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht das Problem einzelner Personen. Eine einzelfallunabhängige, bundeseinheitliche Finanzierung ist daher das favorisierte Mittel unserer Wahl.

Bedarfsgerechte Finanzierung der Einrichtungen des Gewaltschutzes ist für uns nicht verhandelbar!

Doch zurück zu den Mitarbeiter*innen und deren Bedarfen in den Einrichtungen. Wir meinen: Eine bedarfsgerechte Finanzierung der Einrichtungen des Gewaltschutzes und der Zugang für alle von Gewalt betroffenen Frauen ist für uns nicht verhandelbar. Deutschland hat hier im Zuge der Ratifizierung der Istanbul-Konvention außerdem eine ausdrückliche Verpflichtung übernommen. Deutschland verpflichtete sich u.a., „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen sowie einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu entwerfen.“

Bedarfsgerechter und barrierefreier Ausbau der Einrichtungen des Gewaltschutzes von Nöten

Dazu gehört aus unserer Sicht ganz konkret der bedarfsgerechte und barrierefreie Ausbau der Einrichtungen des Gewaltschutzes, kurzfristig initiiert durch das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Langfristig müssen die Strukturen aber auch durch eine einzelfallunabhängige Finanzierungsgrundlage abgesichert sein, um den bestehenden Betrieb zu sichern. Das bedeutet für Frauenhäuser die Implementierung von Pauschalen für Platz-, Personal-, Sach- und Hauskosten. Für Fachberatungsstellen bedeutet das eine fallunabhängige Förderung der Institution als Ganzes mit all ihren Aufgaben – sowohl für die Unterstützung von Betroffenen und ihren Bezugspersonen, also auch für Präventions-, Fortbildungs-, Sensibilisierungs- und Netzwerkarbeit.

Mitarbeiter*innen müssen mitgedacht werden

Ebenso wie die direkte Unterstützung gewaltbetroffener Frauen, deren Kinder und Bezugspersonen müssen auch die Tätigkeiten in den Bereichen Prävention, Fortbildung und Sensibilisierung relevanter Berufsgruppen sowie Vernetzung auskömmlich finanziert werden. Nur durch diese übergeordneten Tätigkeiten kann langfristig eine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der Beseitigung der Gewalt gegen Frauen erreicht werden. Die Corona-Krise hat es einmal mehr gezeigt: Das Gewaltschutzsystem steht mit einem Bedarf nach Digitalisierung auch vor größeren technischen Herausforderungen. Mitarbeiter*innen müssen geschult und Fortbildungen organisiert werden. Keineswegs darf dies zu Lasten der Mitarbeiter*innen gehen. Sie müssen Zeit und Mittel haben sich entsprechend weiterzubilden. Eine bessere staatliche Unterstützung auf nachhaltiger Basis ist hierfür zwingend erforderlich. Denn Frauenrechte sind Menschenrechte. Und daran darf nicht gespart werden.

Weitere Informationen:
Eckpunktepapier zur Finanzierung der Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern


* Mit Frauen sind in diesem Beitrag grundsätzlich alle Frauen und Mädchen gemeint und inkludiert somit auch trans Frauen und intergeschlechtliche Menschen, die in der weiblichen Geschlechtsrolle leben. Diese Definition beinhaltet zudem jegliche Akzeptanz von Lebensformen und sexueller Orientierung jenseits heteronormativer Entwürfe.

Autorin:
Katrin Frank

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de