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Drei Jahre Istanbul-Konvention in Deutschland – Warum es noch immer nicht so ist, wie es sein sollte…

Am 1. Februar 2018 ist in Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, in Kraft getreten. Ihr Ziel: Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Die Konvention ist also ein Dokument mit besonders gesellschaftspolitischem Gewicht. Das Abkommen hat weitreichende Konsequenzen auf allen staatlichen Ebenen. Von der Bundes-, Länder- bis hin zur kommunalen Ebene und für verschiedene Politikbereiche. Die konsequente Umsetzung ist dringend erforderlich, fordert Katrin Frank, Referentin für Familienhilfe/-politik, Frauen und Frühe Hilfen beim Paritätischen Gesamtverband.

Deutschland im Februar 2021

Heute, drei Jahre später: Die mediale Aufmerksamkeit für das Thema Gewaltschutz ist hoch und die Konvention wird immer bekannter. Die Corona-Krise tut einiges dafür, was man von der Bundesregierung so nicht wirklich behaupten kann. Denn noch immer beteiligt sie sich nicht nachhaltig und langfristig – etwa durch ein Bundesgesetz – an der Finanzierung des Gewaltschutzsystems, noch immer bestehen Vorbehalte der Bundesregierung zur Istanbul- Konvention und noch immer sitzen wichtige Akteure der Zivilgesellschaft und Wohlfahrtspflege nicht dauerhaft und regelhaft zusammen, wenn die Bundesregierung zum Runden Tisch "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" lädt.

Noch immer: Warten auf eine Koordinierungsstelle

Die 81 Artikel umfassende Konvention stellt klar, was innerstaatlich umgesetzt werden muss: Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, den Schutz der Opfer und die Bestrafung der Personen, die gewalttätig werden. Die mit Blick auf die Umsetzung benötigte Koordinierungsstelle ist längst noch nicht eingerichtet. Drei Jahre nach Inkrafttreten lässt dies interessierte Menschen durchaus aufhorchen. Eine strategische Umsetzung einer Konvention, die alle staatlichen Ebenen betrifft ohne Koordinierungsstelle, wie soll das bitte gehen?

Das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde zwar in den vergangenen Jahren mit der Konzepterstellung für eine Monitoringstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Menschenhandel beauftragt. Auch wir im Paritätischen unterstützten mit zahlreichen Einrichtungen die Befragungen, die das Institut durchführte. Doch unklar ist bislang, mit wie viel politischem Willen die Realisierung angegangen wird und wann nun endlich „Butter bei die Fische!“ gilt. Die Zivilgesellschaft wartet auf den Startschuss, dass die Koordinierungs- und Monitoringstelle endlich eingerichtet wird. Gewaltschutz muss oberste Priorität haben, denn es ist auch eine ganz zentrale Frage der inneren Sicherheit.

Staatenbericht und nun?

Deutschland hat am 01. September 2020 einen Staatenbericht eingereicht, den die Konvention fordert. Gegenstand sind Maßnahmen und Gesetzgebung zum Schutz von Frauen vor Gewalt, die auf Bundes- und Landesebene zur Umsetzung der Konvention ergriffen wurden. Federführend bei der Erstellung des Berichts war das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend in Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Bundes- und Landesressorts. Bezeichnenderweise sind wichtige Ausführungen, die das Gewaltschutzsystems insgesamt betreffen, also die Fragen der nachhaltigen und dringend notwenigen bundesweit einheitlichen Finanzierung und der Ausbau des Gewaltschutzsystems, kaum dargestellt. Ob das ausreichend ist?

GREVIO, GREVIO. GREVIO…

Inwieweit Deutschland und andere Staaten die Verpflichtungen des Abkommens eingehalten haben, überprüft im Anschluss an den jeweiligen Staatenbericht die GREVIO-Kommission (GREVIO = Group of Experts on action against VIOlence against women and domestic violence), ein unabhängiges Expert*innengremium des Europarates. Der Besuch Deutschlands findet in diesem Jahr statt. Auf das Votum kann man nur gespannt warten, denn gerade der bundesweite Ausbau des Gewaltschutzsystems ist längst überfällig.

Es fehlt an bundesweiten Standards und Finanzierung

Deutschland verpflichtet sich mit der Konvention auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, dass Gewalt gegen Frauen bekämpft, Betroffenen Schutz und Unterstützung geboten und Gewalt verhindert wird. Frauen muss allerdings nach Paritätischer Auffassung in allen Bundesländern ein möglichst ähnlicher Standard an Prävention und Schutz vor Gewalt zur Verfügung stehen. Eine flächendeckende und auskömmlich finanzierte Infrastruktur der Beratung und Unterstützung ist von Nöten. Wir fordern daher im Paritätischen eine einzelfallunabhängige, bundeseinheitliche Finanzierung aller Angebote der Hilfe und Unterstützungsstrukturen auf gesetzlicher Grundlage.

Konzepte liegen vor – wo ist der Vorwärtsgang?

Akteure und bundesweite Koordinierungsstellen wie die Zentralstelle autonomer Frauenhäuser oder die Frauenhauskoordinierung haben bereits konkrete Konzepte zur Finanzierung des Frauenunterstützungssystems vorgelegt, doch Papier ist geduldig und die Politik hat das Gaspedal noch nicht durchgedrückt und einen konkreten eigenen Entwurf vorgestellt. Dies zu tun wäre wichtig – so hat gerade die Corona-Krise gezeigt: Schwierige Themen werden in der Krise nicht leichter. Das ohnehin knappe Geld wird auch für Desinfektionsmittel, Mund-Nasen-Schutz und Testungen gebraucht.

Vorbehalte gegenüber Istanbul Konvention

Last but not least ist es überfällig, dass die Bundesregierung endlich ihre Vorbehalte gegen einzelne Regelungen der Konvention zurücknimmt. Eine Harmonisierung von Gewaltschutz und Ausländerrecht ist entscheidend. Für die Umsetzung der Istanbul-Konvention muss ein umfassendes Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen erstellt werden und gemeinsam mit Ländern und Kommunen umgesetzt werden. In dem Gewaltschutzkonzept sind der Schutz für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, wohnungslose Frauen sowie für geflüchtete Frauen und Mädchen vor Gewalt besonders zu beachten.

Weitere Informationen

Download: Deutsche Übersetzung der Istanbul Konvention
 

Autorin:
Katrin Frank

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de