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Das Recht auf den Wohnort

Keine Mieterhöhungen mehr für die kommenden sechs Jahre fordert die neue Kampagne „Mietenstopp", in welcher auch der Paritätische Gesamtverband gemeinsam mit weiteren bundesweiten Organisationen aktiv ist. Anbei das Statement von Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, zum Kampagnenauftakt.

Die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum macht die Soziale Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen zu Teilen unmöglich. So wissen wir von Frauen in Frauenhäusern, die ein Jahr und länger in den Einrichtungen gemeinsam mit ihren Kindern leben, weil auf dem freien Wohnungsmarkt für sie nichts mehr zu finden ist. Wir haben das Problem in der Gefährdetenhilfe, dass Menschen, die vorzeitig aus der Haft entlassen werden könnten, diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen können, weil es keine Wohnungen gibt. Viele junge Menschen in Nothilfeeinrichtungen für Jugendliche wissen nach ihrem 18. Geburtstag nicht mehr, wohin – auch ihnen fehlt es an Wohnungen. Wir haben auch das Phänomen, dass Menschen länger als sie müssten in der Psychiatrie verweilen, weil es bezahlbaren Wohnraum mangelt.

Wo der Mensch lebt, muss er auch bleiben können

Für uns geht es nicht nur um ein moralisches Recht für jeden und jede irgendwie und irgendwo wohnen zu können, sondern wir sagen ganz konkret aus der Erfahrung unserer Sozialen Arbeit heraus: Jede*r hat das moralische Recht, dort wohnen bleiben zu können, wo er oder sie wohnt, wenn er oder sie das will. Das ist ein ganz wesentliches Recht und wir haben uns offensichtlich bereits abgewöhnt, dieses auch mitzudenken. In großen Teilen der Bevölkerung heißt es: „Ja gut, dann gibt es sogenannte Sickereffekte“. Was bedeutet „Sickereffekt“? Dass die Menschen aus guten Lagen irgendwo an den Stadtrand ziehen. Aber wir wollen keine neue Ghettoisierung. Das schafft soziale Probleme. Deshalb sagen wir: Dort wo der Mensch lebt, muss er auch bleiben können.

Und da spielen Mietpreise eine ganz enorme Rolle. Ich will es an zweierlei Beispielen klar machen. Ungefähr 2,3 Millionen Menschen in Deutschland sind ambulant pflegebedürftig. Ich glaube, man kann sich kaum vorstellen, was es für einen pflegebedürftigen Menschen bedeutet, wenn er in einen anderen Stadtteil ziehen muss, wenn er beispielsweise alleine lebt. Dieser pflegebedürftige Mensch braucht die gesamte Nachbarschaft. Er braucht die Beziehungen, die da sind. Dieser pflegebedürftige Mensch hat Vertrauensverhältnisse aufgebaut zu dem Pflegedienst vor Ort. Und hier aus Mietpreisgründen einem 70- oder 80-Jährigen zu sagen, „Du kannst hier nicht mehr wohnen bleiben, such dir mal etwas anderes in einem anderen Stadtteil“, ist unmenschlich.

Das Gleiche gilt für viele kompliziert chronisch kranke Menschen, die in ihrem Lebensumfeld ihre Beziehungen aufgebaut haben. Da kann man nicht einfach sagen: „Zieh mal weg!“ Das gilt auch für viele der 2,6 Millionen Alleinerziehenden, meist Frauen. Auch sie brauchen ihr Umfeld, um die Doppelbelastung von Beruf und Kindern irgendwie zu bewältigen: Sie brauchen eine Kinderbetreuung nahe ihres Wohnorts, sie brauchen kurze Wege zum Arbeitsplatz und zurück, sie brauchen die netten Nachbarn, die mithelfen und auf das Kind aufpassen. Wenn man einer solchen Frau nun sagt: „Du musst jetzt hier raus, Du kannst die Miete nicht mehr bezahlen“, dann ist auch gleich der Kindergartenplatz weg. Dann ist auch gleich der Job weg. Dann ist diese Frau endgültig arm.
Das gehört alles dazu, wenn wir von Gentrifizierung sprechen. Und deswegen sagen wir: Das geht nicht. Die Menschen haben ein moralisches Recht darauf, dort wohnen zu bleiben, wo sie wohnen. Und wir müssen aus diesem moralischen Recht des Wohnverbleibs ein justiziables Recht des Wohnverbleibs machen. Das ist unser Anliegen. Deswegen unterstützen wir diesen Mietenstopp. Deswegen machen wir mit bei dieser Kampagne.

Wohnen darf nicht arm machen

Wir haben insgesamt in Deutschland bereits die Situation, dass rund 26 Prozent des Einkommens im Durchschnitt für die Miete gezahlt werden. Bei den ärmeren Haushalten sind es bereits fast 50 Prozent. Fast die Hälfte des Einkommens derer, die zu den Armen zählen und die ohnehin nicht viel haben, fließt in die Miete! Bei Alleinerziehenden, von denen immerhin 40 Prozent zu den Armen zählen, sind es  rund 40 Prozent.

Wir haben gerade in Hartz IV die Situation, dass auch hier Mietpreise steigen. Und was heißt das? Die Menschen kommen mit ihren Mieten über die Obergrenze bis zu derer die Jobcenter die Wohnkosten übernehmen. Im Klartext heißt das: 20 Prozent aller Hartz IV-Beziehenden-Haushalte zahlen aus den ohnehin niedrigen Regelsätzen von 446 Euro auch noch einen Teil ihrer Miete, weil diese nicht mehr vollständig vom Jobcenter übernommen wird. Warum machen sie das? Weil sie nicht umziehen können, überhaupt keine andere Wohnung finden, schon gar keine billigere oder weil Sie im Zweifelsfalle auch gar nicht umziehen wollen, um ihr unterstützendes Umfeld nicht zu verlieren.

Mieten einfrieren: Für die nächsten sechs Jahre!

Das ist die Situation, in der wir uns in Deutschland derzeit befinden. Das kann so nicht weitergehen. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen vor die Wahl gestellt werden, durch einen Umzug ihren sozialen Zusammenhalt und Unterstützung zu verlieren oder von dem wenigen Geld, was ihnen zur Verfügung stellt, immer höhere Anteile für die Miete zu zahlen. Auch mit der hohen Zahl an Zwangsvollstreckungen muss Schluss sein, 2019 wurden 50.000 Menschen aus ihren Wohnungen getrieben.

Die Forderung der neuen Kampagne nach sechs Jahren Mietenstopp sind auf diese Zustände genau die richtige Antwort!

Weitere Infos:
Pressemitteilung vom 19.02.2021: Bilanz der Wohnraumoffensive der Bundesregierung: Neue Kampagne fordert Mietenstopp für sechs Jahre // Auftakt der Kampagne "Mietenstopp! Denn dein Zuhause steht auf dem Spiel"

Autor:
Ulrich Schneider

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de