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Das kann man doch noch tragen! Kleidung an Arme verteilen statt wegschmeißen

Pressestatement von Ulrich Schneider, anlässlich der Vorstellung des gemeinsamen Appells an die Bundesregierung „#SpendenStattVernichten – Lagerware für den guten Zweck“ am 24. Februar 2021.

Es gilt das gesprochene Wort.

Wenn unser Steuerrecht dafür sorgt, dass ich einen wirtschaftlichen Nachteil erleide, nur weil ich Dinge Bedürftigen zukommen lasse, anstatt sie zu vernichten, dann kann etwas nicht stimmen mit diesem Steuerrecht. Das müsste uns bereits der gesunde Menschenverstand sagen. Es mutet erst einmal an wie ein Schildbürgerstreich. Wenn dieser Streich jedoch dazu führt, dass Millionenwerte an Kleidung geschreddert werden, während Millionen von Menschen – auch hier in Deutschland – leider – Kleiderspenden dringend brauchen könnten, ist das weder unter ökologischen noch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten irgendwie spaßig, sondern mutet fast schon dekadent an.

Als Wohlfahrtsverband unterstützen wir die Initiative der Grünen ausdrücklich, das Umsatzsteuerrecht so zu ändern, dass es für den Handel möglich wird, auch Textilien zu spenden, ohne dafür bestraft zu werden oder draufzuzahlen. Wir tun dies, auch wenn es sozialpolitisch eine Gratwanderung darstellt. Denn niemand sollte in diesem Sozialstaat auf Kleiderspenden angewiesen sein. Kleiderspenden sollten ein Add-on sein, eine nette Geste, mehr aber auch nicht.

Tatsächlich ist es in Deutschland jedoch mittlerweile so, dass rund 6 Millionen Menschen in Hartz IV, 1 Million Menschen in Altersgrundsicherung oder fast 400.000 Asylbewerber*innen auf solche Spenden dringend angewiesen sind. Die zwei Millionen Hilfebedürftigen, die bereits zu den Besuchern der Lebensmitteltafeln zählen, geben dafür ein beredtes Beispiel. Wer sich bei Minustemperaturen draußen für etwas Gemüse anstellt, als alter Mensch oder als Alleinerziehende mit Kindern, tut dies nicht aus Gründen der Geselligkeit, sondern weil er auf Hilfen dieser Art bitter angewiesen ist.

Die letzte Erhöhung der Regelsätze in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung hat überhaupt nichts daran geändert, dass diese Regelsätze Armutsätze sind. Mit 446 Euro hat man als Single kaum eine Chance über den Monat zu kommen. Auch wie man beispielsweise ein Vorschulkind mit 283 Euro über den Monat bekommen soll, erschließt sich überhaupt nicht. Diese Regelsätze sind regierungsseitig bewusst kleingerechnet und decken das Existenzminimum schon lange nicht mehr ab.

Für die gesamte Kleidung und das gesamte Schuhwerk eines sich im Wachstum befindlichen Schulkindes billigt der Gesetzgeber gerade einmal 37 Euro im Monat zu, 444 Euro im Jahr: von der Unterwäsche über die Sportkleidung und den Anorak bis hin zum Wintermantel, von den Gummistiefeln über die Sandalen bis hin zu Sportschuhen und Winterstiefeln. Das ist klar unter Bedarf. Das kann nicht funktionieren, zumal alle anderen Positionen im Regelsatz von der Ernährung bis zu Hygieneartikeln genauso unter Bedarf kleingerechnet sind. Hartz IV und Altersgrundsicherung heißen Armut.

Wir wissen, dass die unserem Sozialstaat, der kein Almosenstaat ist, angemessene Lösung nur in einer armutsverhindernden Ausgestaltung der Grundsicherung liegen kann. Deshalb fordern mittlerweile über 40 Gewerkschaften und bundesweite Organisationen – ähnlich wie auch Linke und Grüne im Bundestag – eine Anhebung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro.

Wir wissen aber auch: Gerade weil der Staat sie im Stich lässt, brauchen die Armen jede Hilfe, die sie bekommen können, auch Kleiderspenden. Wer schon vor Corona zu wenig hatte, den trifft die Krise jetzt erst recht besonders hart. Die Bundesregierung hat bisher nicht geglänzt, wenn es um die soziale Ausgestaltung der Krisenpolitik ging. Der einmalige Hartz IV-Corona-Zuschuss ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb unser dringender Appell an die Bundesregierung: Machen Sie (wenigstens) den Weg für diese Spenden frei.

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Autor:
Ulrich Schneider

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de