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Stellungnahme der BAGFW zum Referentenentwurf des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes

Die Verbände der BAGFW haben zu dem Referentenentwurf "Kinder- und Jugendstärkungsgesetz" (KJSG) des BMFSFJ Stellung genommen. Das KJSG bietet die Grundlage für weitreichende Modifizierungen und Neuregelungen im Sozialgesetzbuch Acht (SGB VIII). Die BAGFW begrüßt insbesondere die Regelungen zur Stärkung der Rechte der Kinder und Jugendlichen. Kritisiert wird die zögerliche und unverbindliche Umsetzung der Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen voraussichtlich ab dem Jahr 2028.

Insgesamt würdigt die BAGFW das Vorgehen des BMFSFJ, die Einschätzungen aus dem Dialogprozess „Mitreden-Mitgestalten“ zu berücksichtigen und in den Entwurf zu integrieren. Dies gilt insbesondere für die Stärkung der Rechte der Kinder und Jugendlichen über die Neuregelungen zur Selbstvertretung (§ 4a SGB VIII), den Beratungsanspruch gemäß § 8 Abs.3 SGB VIII, die verbindliche Einführung der Ombudsstellen in § 9a SGB VIII, die Stärkung der allgemeinen Beratungspflicht über § 10a SGB VIII sowie die positiven Modifizierungen und Neuerungen in Bezug auf junge Volljährige, die Nachbetreuung und Übergangsregelungen.

Die BAGFW begrüßt die inklusive Programmatik als Schritt in die richtige Richtung, tritt aber für eine verbindlichere Umsetzung ein. Im Rahmen des Dialogprozesses
wurde die inklusive Lösung von fast allen Fachexperten und Fachexpertinnen im Kontext des SGB VIII deutlich gefordert und im Sinne der Stärkung der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen und ihrer Familien als fachlich notwendig erachtet. Die letztendliche Umsetzung der inklusiven Lösung zum 1.1.2028 bedingt durch ein bis zum 1.1.2027 zu schaffendes Bundesgesetz entspricht nicht der Verbindlichkeit, welche die BAGFW an dieser Stelle für zielführender, auch im Hinblick auf die Erfüllung der Vorgaben aus Art. 7 UN-BRK, erachtet. Aus Sicht der BAGFW darf eine inklusive Lösung nicht vorbehaltlich einer Kostenneutralität geregelt werden, da dies die Zielsetzungen der inklusiven Lösung konterkarieren würde. Die BAGFW macht deutlich, dass eine inklusive Weiterentwicklung des SGB VIII nicht kostenneutral zu gestalten ist.

Die BAGFW begrüßt im Grundsatz die Einführung eines Verfahrenslotsen vom 1.1.2024 bis zum 31.12.2027. Allerdings wird die dafür vorgesehene Form den Erfordernissen der umgehenden und intensiven Qualifizierung des Systems der Kinder- und Jugendhilfe und der notwendigen aktuellen Unterstützung der Familien mit Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen vor Inkrafttreten eines inklusiven SGB VIII nicht gerecht. Die Schnittstellenbearbeitungen zwischen SGB VIII und SGB IX in einzelnen Normen nehmen bestimmte Problemkonstellationen zwischen den Leistungssystemen in den Blick und bieten umsetzbare Lösungen an. Zudem müssen künftige Lösungen von Zuständigkeitsfragen die komplexe Situation von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen und ihren Familien besser berücksichtigen.

Daher fordert die BAGFW:
1. Das Inkrafttreten der Gesamtzuständigkeit des SGB VIII für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen ist spätestens zum 1.1.2028 in § 10 SGB VIII ohne Bedingung, verbindlich zu normieren.
2. Das Gesetzgebungsverfahren für ein Gesetz zur Ausgestaltung der inklusiven Lösung muss unabhängig von der angedachten Evaluation unverzüglich beginnen.
Zugleich sind die Einschränkungen des Art. 9 KJSG zu streichen. Mit dem zu schaffenden Bundesgesetz muss die Verbesserung der Situation der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen und ihrer Familien angestrebt und die inklusive Weiterentwicklung des SGB VIII ermöglicht werden. Verschlechterungen zum Status quo sind umgekehrt auszuschließen. Notwendige finanzielle Aufwendungen zur Umsetzung sind zu garantieren und über Bund, Länder und Kommunen abzusichern.
3. Die Verfahrenslotsen sind sofort mit Inkrafttreten des KJSG einzuführen. Ihre strukturelle Unabhängigkeit ist sicherzustellen. Ihre Tätigkeit ist nicht auf den Leistungsbereich des SGB IX und die Zielgruppe der Kinder- und Jugendlichen mit Behinderungen zu beschränken.
4. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, ihre Fachverbände und Mitglieder sowie andere Interessenvertretungen sind in den Gestaltungs- und Umsetzungsprozess einer inklusiven Lösung verbindlich einzubeziehen.

Weitere Regelungsbereiche im Entwurf werden in der Stellungnahme ausführlich erörtert. Es bleibt nun abzuwarten, welche Vorschläge in den Referentenentwurf integriert und dem Bundeskabinett -möglicherweise Anfang November- zum Beschluss vorgelegt werden. Danach beginnt das Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und Bundesrates.

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen_51020.pdfReferentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen_51020.pdf2020-10-26 Stellungnahme Stärkung von Kindern und Jugendlichen KJSG.PDF2020-10-26 Stellungnahme Stärkung von Kindern und Jugendlichen KJSG.PDF