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Teilhabe rockt: Tanzen für alle!

Erstellt von Philipp Meinert

Veranstalter/-innen müssen Kritik aushalten können. Auch Alex Schwers, der jährlich die Festivals „Ruhrpott Rodeo“ und „Punk im Pott“ im Ruhrgebiet veranstaltet, ist das gewohnt. Häufig beschweren sich Besucher/-innen seiner Festivals, dass der Camping-Platz viel zu weit von der Bühne entfernt ist, die Lieblingsband dieses Jahr wieder nicht gespielt hat und natürlich die Bierpreise viel zu hoch sind. Luxusprobleme, versteht sich. Doch eine E-Mail aus dem Jahr 2009 ist ihm nachhaltig in Erinnerung geblieben.

Eine junge Frau erklärte ihm, warum sein Sommerfestival Ruhrpott Rodeo in Hünxe bei Bottrop überhaupt nicht behindertengerecht sei. Die Schleusen seien zu schmal für ihren Rollstuhl, es gab kein Sichtpodest und kein behindertengerechtes Klo. „Das war mir sehr unangenehm. Da ich selbst jahrelang  mit Menschen mit Behinderung gearbeitet habe, hätte ich wissen müssen, wie wichtig Barrierefreiheit bei Veranstaltungen ist, aber wir hatten einfach nicht genug darüber nachgedacht“, gibt Alex Schwers heute zu. Fehler, die er im darauffolgenden Jahr korrigierte. Ein Lernprozess sei das gewesen, so der Veranstalter, der das Outdoor-Festival damals erst zum dritten Mal veranstaltete.

Beim vierten Mal wurde alles besser. „Behindertengerechte Toiletten, Rollstuhlpodeste und breitere Schleusen sind selbstverständlich“, erklärt Schwers. Über die Selbstverständlichkeiten hinaus bietet er auf seinem Festival auch Parkplätze nahe am Festivalgelände, Bodenplatten auf weichen Wegen, die nach Regen schwer passierbar sein könnten und den freien Eintritt für Begleitpersonen von Menschen mit Schwerbehindertenausweis. Für Sehbehinderte sind die Hinweisschilder kontrastreich gewählt. Dialyse-Patienten und Patientinnen können sich am Strom im Backstage bedienen.

Ortswechsel. Fast 600 Kilometer vom Acker im Ruhrgebiet entfernt steht der Mensch Meier-Club in Berlin Prenzlauer Berg. Punk wird hier auch gelegentlich gespielt, der Schwerpunkt liegt aber deutlich auf elektronischer Musik. Ein Club von vielen in der Hauptstadt, aber einer mit dem Anspruch, nicht auszugrenzen. Während andere ihren Ruf mit einer rigiden Türpolitik erlangen, gibt man sich im Mensch Meier betont offen. „Wir wollen einen Ort schaffen, der für alle offen ist und zu dem alle Zutritt haben“, so Anton, einer der Betreiber/-innen des Mensch Meier. Er hat einen Master in Kultur- und Medienmanagement und bereits neben seinem Studium mitorganisiert, unter anderem auf dem Fusion-Festival. Aus dem Wunsch nach etwas „Festem“ fanden Anton und seine Freunde vor vier Jahren eine ehemalige Fabrikhalle, in der heute der Mensch Meier-Club untergekommen ist.

Von Anfang an war klar, dass sie sich auch an den Bedürfnissen  von Gästen mit Behinderung orientieren wollen. Baulich ist die Location so oder so ebenerdig, eine Behindertentoilette wurde selbstverständlich installiert. Obwohl Mensch Meier grundsätzlich ein inklusiver Club sein will, bietet er mit der Spaceship zusätzlich noch eine eigene Partyreihe, die besonders Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung ansprechen soll und von der Lebenshilfe Berlin unterstützt wird. Dass es eine inklusive Feier ist, wird auf dem Poster und im Flyer des Clubs nur klein erwähnt. Was es für eine Partyreihe ist, merkt man aus gutem Grund erst auf den zweiten Blick. Die Betreiber/-innen legen Wert darauf, dass die Spaceship eine Party von Vielen ist, die nur noch einmal als „inklusiv“ beworben wird, um mehr Menschen anzusprechen, die sich sonst vielleicht nicht trauen würden.

Dennoch scheint es bei der Klientel ein Bedürfnis nach einer „eigenen“ Party zu geben, wo sie nicht immer die Außenseiter sind. Kämen normalerweise drei Feiernde mit Handicap zu den regulären Parties, sind es bei der Spaceship laut Anton natürlich deutlich mehr. Die Partyreihe beschreibt Anton als eine der Lieblingspartys des Clubs, „weil die Stimmung immer sehr ausgelassen ist und die meisten weniger Hemmungen haben, in Kontakt zu treten oder auf die Bühne zu gehen und zu tanzen.“ Umgekehrt kommen Stammgäste vom Spaceship dann auch vermehrt zu den  anderen Partys im Mensch Meier.

Tanzen geht auch Dunja Fuhrmann gerne. Egal ob in Kneipen, Clubs oder auf Konzerten und Festivals. Die 37-jährige hat eine degenerative Rückenmarkserkrankung, wahrscheinlich ausgelöst durch einen Zeckenbiss. Seit dem 16. Lebensjahr sitzt sie im Rollstuhl – kein Grund für sie, in ihrer Freizeit zurückzustecken. Überhaupt lässt sie sich von ihrem Rollstuhl wenig diktieren, was sie zu tun und zu lassen hat. Die Saarbrückerin spielt Tennis und klettert sogar Felswände hoch. Beides Aktivitäten, die mit aktiver Beinarbeit verbunden werden. Vorstellungen, die Dunja Fuhrmann wiederlegt und damit auch die Vorurteile Nicht-Behinderter entlarvt.

Auf Barrieren stößt sie dennoch immer wieder, auch bei abendlichen Ausflügen. „Spontanität könnte in die Hose gehen, also muss ich bereits vorher planen, ob die Location im Rollstuhl überhaupt erreichbar und ob dort ein barrierefreies WC vorhanden ist.“ Selbst bei neu eröffneten Veranstaltungsorten wäre es immer noch häufig so, dass Barrierefreiheit nicht beachtet würde, auch aufgrund fehlender Sanktionen und Kontrollen durch die Bauaufsicht. Das schränkt sie und andere Rollstuhlnutzer/-innen bereits von vornherein ein. „Ich war mal auf dem Wacken“, dem großen Heavy Metal-Festival in Norddeutschland, erzählt Fuhrmann. „Ein paar Tage vorher hat es heftig geregnet. Um dem Schlamm zu entgehen, hat man Stroh verteilt. Das machte es mit dem Rolli aber noch schwieriger und ich musste von vier Leuten getragen werden.“

Es gibt auch tatsächlich Veranstalter/-innen, die nichts ändern wollen und sich damit herausreden, keinen Einfluss zu haben. Damit lässt Fuhrmann sich nicht abspeisen. Ehrenamtlich engagiert sie sich beim  Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter im Saarland für die Rechte von Menschen mit Behinderung und macht auch mal „Rabatz“, wie sie sagt. Beim Max Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken stürmte sie mit anderen Aktivisten und Aktivistinnen schon die Bühne, um darauf hinzuweisen, dass viele Filme ohne Audiodeskription oder Untertitelung  gezeigt würden, beziehungsweise in Kinos liefen, die für Rollstuhlfahrer/-innen nicht zugänglich sind.

Dass sich etwas tut in Bezug auf Barrierefreiheit, da sind sich alle einig. „Die ganze Branche ist sensibilisiert. Nachlässigkeit kann und sollte sich kein professioneller Veranstalter mehr leisten,“  meint Alex Schwers. Das empfindet auch Anton aus dem Mensch Meier subjektiv so. Er verweist auf die Zunahme inklusiver Parties, auch in anderen Clubs in den letzten Jahren.

Dunja Fuhrmann sieht das aus der Kundinnenperspektive differenzierter: „Bei größeren Konzerten gibt es eine höhere Sensibilität. Da hat man es mittlerweile erkannt, dass man Rollstuhltribünen bauen muss, damit Rollifahrer ungehindert auf die Bühne schauen können. In Veranstaltungssälen der Städte und Gemeinden sitzt man wegen des Brandschutzes und aus versicherungstechnischen Gründen am Rande der Stuhlreihen. Dann hat man keine freie Platzwahl.“

Sie wünsche sich, dass bei der Planung einer Veranstaltung an die Bedürfnisse aller Gäste gedacht wird, so dass jeder dort selbstständig und ohne fremde Hilfe klarkomme. „Häufig ist es die Unwissenheit bei der Planung, die Barrieren hervorruft. Was genau beachtet werden muss, damit jeder Besucher barrierefrei eine Party oder ein Konzert genießen kann, wissen betroffene Menschen selbst am besten und kann man im Internet nachlesen“, betont Fuhrmann.

Eine Bewusstseinsbildung ist für sie der Schlüssel zur Inklusion: „Diskriminierungen sind hausgemacht und deshalb vermeidbar. Wenn sich die Veranstalter ihrer Verantwortung stellen und die Teilnahme von Menschen mit Behinderung von vorne herein einplanen, sind wir einen großen Schritt weiter“, sagt Fuhrmann und fügt hinzu „das würde auch mittelfristig einen Paradigmenwechsel vom rollstuhlfahrenden Pflegefall zum gleichwertigen Party- oder Konzertbesucher in Gang setzen.“