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Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten - Stellungnahme

Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Familiennachzugsneuregelungsgesetz) vom 30.04.2018

Der Paritätische Gesamtverband spricht sich grundsätzlich gegen die Abschaffung des subjektiven Rechts auf Familiennachzug für subsidiär schutzberechtigte Menschen und somit auch gegen den aktuell vorgelegten Gesetzesentwurf aus. Stattdessen fordern wir die Ermöglichung des Familiennachzugs unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention(GFK) gelten.

Die unterschiedliche Behandlung in vergleichbaren Situationen ohne eine objektive Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung verstoßen sowohl nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als auch nach der des Bundesverfassungsgerichts gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 8 i.V.m. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Art. 6 des Grundgesetzes. Subsidiär Schutzberechtigte befinden sich aber in einer Lebenssituation, die mit derer nach der GFK anerkannter Flüchtlinge vergleichbar ist. Darüber hinaus haben sie einen vergleichbaren Schutzbedarf: So schützen beide Institute vor schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte.

Der subsidiäre Schutz greift bei drohender Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher Behandlung und bei Bedrohungen von Leib und Leben von Zivilist/-innen im Kontext bewaffneter Konflikte. Ob überhaupt bzw. wann eine Rückkehr in Länder wie z.B. Syrien, Afghanistan oder den Irak möglich sein wird, ist in der Regel für beide Personengruppen gleichermaßen nicht absehbar. Beide Gruppen können also nicht darauf verwiesen werden, dass ihre Familienzusammenführung im Herkunftsland möglich sei – wie auch der Gesetzgeber bei der erst im Jahr 2015 beschlossenen Gleichstellung feststellte. Darüber hinaus ist eine Familienzusammenführung mangels Einreise- und Niederlassungsrechts in den allermeisten Fällen auch nicht in sonstigen Drittstaaten wie etwa den Erstaufnahme- und Transitstaaten möglich. Aus guten Gründen hatte man daher subsidiär Geschützen im Rahmen des bisherigen Unionsrechts die nahezu gleichen Rechte eingeräumt wie anerkannten Flüchtlingen.

Die EU-Kommission forderte die Mitgliedsstaaten konsequenterweise auf, Vorschriften zu erlassen, die Flüchtlingen und Personen, die vorübergehenden oder subsidiären Schutz genießen, ähnliche Rechte gewähren. Objektive Gründe für eine Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen liegen folglich nicht vor.

Auch Art. 7 der EU-Grundrechte-Charta (Gr-Ch), Art. 8 EMRK und Art. 6 GG schützen das Recht auf Achtung des Familienlebens. Selbst wenn hieraus kein generelles Recht auf Familiennachzug abgeleitet werden kann, so müssen Eingriffe in dieses Recht doch verhältnismäßig sein und die Interessen aller Beteiligten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass – wie bei subsidiär Schutzberechtigten der Fall – eine Familienzusammenführung nicht im Herkunftsland und in der Regel auch nicht in einem sonstigen Drittstaat möglich ist und sich darüber hinaus bereits Familienmitglieder in Deutschland aufhalten.

Insbesondere wenn Kinder betroffen sind, muss darüber hinaus dem Kindeswohl besondere Rechnung getragen werden und Art. 10, 18 und 22 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention berücksichtigt werden, wonach Anträge auf Familienzusammenführung beschleunigt und wohlwollend zu prüfen sind und das Recht des Kindes auf beide Elternteile verankert ist. Selbst berechtigte migrationspolitische Erwägungen können vor diesem Hintergrund von der Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, zurückgedrängt werden.

Die im Rahmen der Gesetzesbegründung vorgebrachte angebliche Überlastung der Aufnahmegesellschaft kann jedoch keinesfalls den gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens rechtfertigen. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die „an Staat und Gesellschaft bezüglich der Integration der großen Zahl anerkannt Schutzberechtigter gestellten erheblichen Herausforderungen bis auf weiteres anhalten“, gibt es durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen. So ist etwa die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Flüchtlinge innerhalb der letzten 12 Monate um 96.000 Personen (54 %) gestiegen. Darüber hinaus stellt sich die Situation in den Kommunen sehr unterschiedlich dar, sodass nicht pauschal von einer generellen Überforderung gesprochen werden kann. Dies belegt auch die Tatsache, dass in lediglich fünf Kommunen bundesweit eine so genannte wegweisende Wohnsitzauflage gemäß § 12a Abs. 4 AufenthG eingeführt wurde. Dies gilt umso mehr angesichts der aktuell deutlich sinkenden Asylbewerberzahlen.

Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass die Trennung von Familienangehörigen und damit die Sorge um die Familie eine erhebliche psychische Belastung darstellt, die den Integrationsprozess entscheidend erschweren kann. Wer also tatsächlich die mit der Integration der Flüchtlinge verbundenen Herausforderungen angehen will, darf nicht mit der Verzögerung oder gar Verweigerung der Familienzusammenführung ein zentrales Integrationshindernis aufbauen.

Der Familiennachzug ist einer der wenigen legalen Zugangswege zu internationalem Schutz in Deutschland. Die bisherige Bundesregierung hat sich wiederholt für die Bekämpfung des Schlepper- und Schleuserwesens ausgesprochen. Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes ist die wirksamste Bekämpfung dieser kriminellen Strukturen der nennenswerte Ausbau legaler Zugangswege. Dazu gehören nicht nur der massive Ausbau von Resettlementprogrammen und sonstigen Möglichkeiten humanitärer Visa und Aufnahmeprogramme, sondern auch die wirksame Ermöglichung des Familiennachzugs inner- und auch außerhalb der Kernfamilie – und somit insbesondere für Geschwister.

Im Hinblick auf die erneut viel zu kurze Stellungnahmefrist, welche die Bedeutung der Verbändebeteiligung auf eine reine Formalie reduziert, konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Kommentierung der Regelung des § 36a AufenthG-E. Damit soll keinesfalls Einverständnis mit den weiteren Regelungen des Gesetzesentwurfs erklärt werden.

Insbesondere die vollständige Streichung des Familiennachzugs von Personen mit nationalem Abschiebungsschutz ist im Hinblick auf die ohnehin kleine Gruppe dieser Personen, die nur unter besonders engen Voraussetzungen die Möglichkeit zum Familiennachzug hat, vollkommen unverhältnismäßig und überflüssig.

Die Stellungnahme finden Sie im Anhang.

Stelln_FamiliennachzugsneuregelungsG Paritaet_5_2018.pdfStelln_FamiliennachzugsneuregelungsG Paritaet_5_2018.pdf