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Schriftliche Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 7. November 2018: Sicherstellung des Zugangs zu individueller und verlässlicher Verhütung für alle Fr

Fachinfo
Erstellt von Katrin Frank

I. Vorbemerkung: Seit mehr als 20 Jahren haben reproduktive Rechte den Status eines Menschen-rechts. Die internationale UN-Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo hat im Jahr 1994 das Recht eines jeden Menschen auf ungehinderten Zugang zu möglichst sicheren, gesundheitlich verträglichen und finanziell erschwinglichen Verhütungsmethoden festgehalten. 2014 hat auch der Deutsche Bundestag seine Unterstützung für das Kairoer Aktionsprogramm mit einem weitreichenden Beschluss zum Ausdruck gebracht (BT-Drs. 18/1958). Nur ein Jahr später verpflichtete sich Deutschland außerdem durch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und das gesundheitliche Wohlergehen für alle Menschen einzusetzen. Das Recht auf ungehinderten Zugang zu Verhütungsmitteln ist in Deutschland aktuell keine gelebte Realität. Auch Menschen ohne oder mit geringem Einkommen müssen derzeit selbst für die Kosten für Verhütungsmittel aufkommen. Für diese Personengruppe gibt es – mit wenigen Ausnahmen – keine gesetzliche Grundlage mehr, die eine Kostenübernahme ermöglicht. In der Konsequenz bedeutet dies, dass betroffene Personen entweder auf günstige und weniger sichere Verhütungsmittel zurückgreifen oder ganz auf Verhütung und Schutz verzichten müssen. Ebenfalls zeigt sich, dass die Verhütungsbedarfe von Frauen, die sich in einer schlechten finanziellen Situation befinden, nur unvollständig abgedeckt werden. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Familienplanung ist aus Sicht des Paritätischen ein Menschenrecht mit universeller Bedeutung, das von staatlicher Seite gewährleistet werden muss. Der Verband fordert daher grundsätzlich kostenfreie Verhütungsmittel für Menschen ohne oder mit geringem Einkommen. Die Entscheidung für ein individuell passendes Verhütungsmittel darf nicht länger eine Frage des Geldbeutels sein.

II. Rechtslage
Die Gesundheits- und Sozialreform 2004 hat dazu geführt, dass die bis dahin existierende gesetzliche Möglichkeit der Kostenübernahme für Verhütungsmittel für Menschen im Sozialleistungsbezug im Rahmen der „Hilfe zur Familienplanung“ ersatzlos gestrichen wurde. Personen, die Sozialleistungen erhalten, müssen seither die Kosten für Verhütungsmittel aus ihren Regelsätzen bestreiten. Lediglich für Frauen bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres besteht gemäß § 24a SGB V die Möglichkeit, die Kosten ärztlich verordneter Empfängnisverhütung erstattet zu bekommen. Begründet wird die Entscheidung mit der finanziellen Situation dieser Gruppe. Im Wortlaut des Gesetzentwurfes des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes aus dem Jahr 1992 heißt es:
„(…) es ist der Kreis der Frauen erfaßt, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage, ins-besondere, weil sie sich noch in der Ausbildung befinden, am wenigsten in der Lage sein werden, die Kosten für Empfängnisverhütungsmittel aufzubringen. Nicht ärztlich verordnete Verhütungsmittel (z. B. Kondome) werden nicht erfaßt.“

Der Gesetzgeber hatte richtig erkannt, dass die finanzielle Situation Auswirkungen auf das Verhütungsverhalten hat. Warum sich eine entsprechende Situation aller-dings nur auf Frauen und Mädchen unter 20 Jahren auswirken soll, ist weder fachlich noch sozialpolitisch nachvollziehbar. Der Paritätische fordert daher den Bundesgesetzgeber auf, Regelungen zu schaffen, die das Recht auf Zugang zu sicherer und bezahlbarer Verhütung für alle Menschen (d.h. Frauen und Männer) in Deutschland sichert.

III. Kosten
Angesichts der gestiegenen Kosten für die Gesundheitsversorgung, vor allem im Bereich der Arzneimittel, können Verhütungsmittel von Frauen und Männern, die auf Sozialleistungen angewiesen sind oder über kein oder nur geringes Einkommen verfügen, oft nicht finanziert werden. So reichen beispielsweise die ohnehin deutlich zu gering bemessenen Ausgaben im Regelsatz zur Gesundheitspflege in Höhe von monatlich derzeit 15 Euro zur Finanzierung von Verhütungsmitteln meistens nicht aus. Hinzu kommt, dass eigentlich auch die Kosten für regelmäßig notwendige und nicht-verschreibungspflichtige Medikamente (wie z.B. Schmerztabletten und Antiallergika) in den Bereich der Gesundheitspflege fallen.

Zudem können höhere (häufig einmalig zu zahlende) Beträge, die für eine langfristige Verhütung (wie bspw. Hormon- oder Kupferspirale, Sterilisation) aufgewendet werden müssen, nicht angespart werden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass einkommensschwache Menschen de facto keine Wahl haben, für welche Art der Verhütung sie sich entscheiden, und ihnen folglich der Zugang zu bestimmten Verhütungsmethoden oder -mitteln verwehrt bleibt.

Dies stellt nicht nur einen Eingriff in die persönliche Freiheit dar, sondern kann auch eine Gefahr für die Gesundheit bedeuten, wenn einkommensschwache Menschen nicht auf das passende, sondern auf das günstigste Verhütungsmittel verwiesen werden. Eine solche Einschränkung der Wahlfreiheit lehnt der Paritätische entschieden ab.

Der Paritätische fordert daher die Sicherstellung eines niedrigschwelligen und bezahlbaren Zugangs zu Verhütungsmitteln und -methoden für alle Menschen in Deutschland.

Hierzu sollten folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

1. Eindeutige Regelung
Für einkommensschwache Menschen sollte eine entsprechende Möglichkeit zur Kostenübernahme eingeführt werden, wie sie § 24a SGB V bereits für unter 20jährige Frauen vorsieht. Der Paritätische fordert den Gesetzgeber auf, eine Regelung zu schaffen, die eine unbürokratische Kostenübernahme für Verhütungsmittel für einkommensschwache Frauen und Männer beinhaltet, die auch Langzeitmethoden einschließt. Gleichzeitig muss auch die bestehende Regelungslücke geschlossen und die rückwirkende Erstattung von vorverauslagten Kosten für Notfallkontrazeptiva und ärztlich verordnete Kontrazeptiva ermöglicht werden.

2. Kostenübernahme für Verhütung und Gesundheitsschutz
Neben der Übernahme der Kosten für ärztlich verordnete, verschreibungspflichtige, hormonelle und Langzeitverhütungsmittel sollten auch Kosten für sogenannte Barrieremethoden übernommen werden. Neben der empfängnisverhütenden Wirkung verringern Barrieremethoden das Risiko einer Ansteckung mit einer sexuell ansteckenden Infektion (STI) und stellen folglich eine wichtige Präventionsmaßnahme dar. Krankheiten wie HIV, humane Papillomviren (HPV), Hepatitis A/B/C, Herpes genitalis, Zytomegalie, Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien können schwerwiegende und sogar lebensbedrohliche Folgen haben. Für den Paritätischen ist es daher folgerichtig, auch die Versorgung mit sogenannten mechanischen Verhütungsmitteln sicherzustellen. Auch die Wahlfreiheit, das individuell passende Verhütungsmittel nutzen zu können, lässt sich aus Sicht des Paritätischen nur dadurch verwirklichen, dass sowohl für Frauen als auch für Männer mit geringem Einkommen die Kosten ihrer Verhütungsmittel übernommen werden.

3. Verhütung ist keine Frage des Alters
Der Paritätische lehnt eine Begrenzung des Alters bei der Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln grundsätzlich ab. Das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit beinhaltet u.a. die Entscheidungsfreiheit über die Familienplanung, den Schutz vor Gesundheitsgefährdungen und ein ungefährliches Sexualleben und gilt für alle Lebensphasen von der Jugend bis zum Alter.

4. Bundeseinheitliche Kostenübernahme für berechtigte Frauen und Männer
Die Kosten der Verhütungsmittel sollten bundesweit für alle Menschen übernommen werden, die auf Sozialleistungen nach SGB II, SGB XII, § 6a BKKG, AsylbLG angewiesen sind oder über eine BAföG-und Wohngeld-Berechtigung verfügen. Die Regelung muss auch für Personen mit vergleichbar geringem Einkommen entsprechend gelten.
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