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Start des Berliner Modellprojekts für ein "Solidarisches Grundeinkommen"

Hinter dem Begriff „Solidarisches Grundeinkommen“- kurz SGE- steckt ein Modellprojekt öffentlich geförderter Beschäftigung für Langzeitarbeitslose, die in Berlin leben. Langzeitarbeitslose sollen auf freiwilliger Basis ein geregeltes Beschäftigungsverhältnis erhalten. Das Interessenbekundungsverfahren zur Förderung von bis zu 1000 Arbeitsplätzen startet am 17.7.19. Das Projekt hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2025 und soll wissenschaftlich evaluiert werden.

Berlins Regierender Bürgermeister Müller verbindet damit zugleich den weitergehenden Gedanken eines Umbaus des Sozialstaats. Ausgehend von der Annahme, dass Arbeit der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe ist, sollen Langzeitarbeitslose im SGB II-System eine sinnstiftende und fair bezahlte, sichere Arbeit erhalten. Das SGE zielt zudem perspektivisch auf künftige Arbeitslose, deren Jobs aufgrund von Digitalisierung und technologischer Veränderungen wegfallen. Es wird angenommen, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung zur Finanzierung eines SGE steigt, wenn mit den öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen Dienstleistungen im gemeinwohlorientierten bzw. kommunalen Bereich ausgebaut werden.

  • Das Angebot richtet sich an Arbeitslose (insbesondere) im SGB II-Leistungsbezug, die derzeit mindestens ein Jahr und längstens drei Jahre arbeitslos sind und bei denen eine vorherige Arbeitsvermittlung nicht zum Erfolg geführt hat.
  • Das Förderangebot ist freiwillig. Es wird potentiellen Teilnehmenden i.d.R. von den Jobcentern unterbreitet.
  • Es werden unbefristete, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gefördert. Die Vergütung der Teilnehmenden muss bei tarifgebundenen Arbeitgebern entsprechend der tariflichen Bedingungen und einer aufgabengerechten Eingruppierung erfolgen; als Obergrenze gilt hierbei i.d.R. die Entgeltgruppe 3 des TV-L. Bei Arbeitgebern ohne Tarifbindung oder mit niedrigeren tariflichen Entgelten als dem Landesmindestlohn muss nach den Förderrichtlinien mindestens der Landesmindestlohn vergütet werden, wobei der Landesmindestlohn in Höhe von derzeit 9 Euro gegenwärtig vom zwingend einzuhaltenden allgemeinen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 9,19 Euro verdrängt wird. Teilnehmende am Modellprojekt erhalten zunächst einen Arbeitsvertrag mit einer Förderung für den Zeitraum von fünf Jahren. Das Land Berlin garantiert die Weiterbeschäftigung geförderter Arbeitnehmer/-innen auch über den Fünf-Jahres-Zeitraum hinaus, wenn der bisherige Arbeitgeber keine Anschlussperspektive eröffnen kann.
  • Es gibt ein beschäftigungsbegleitendes Coaching während des Beschäftigungszeitraums. Umschulungs- und Qualifizierungsangebote werden offeriert, um Brücken in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bauen.
  • Fördervoraussetzung ist, dass es sich um die Ausübung von „zusätzlichen und gemeinwohlorientierten Tätigkeiten“ handelt, die für die Berliner Stadtbevölkerung von Nutzen sind und ohne die Förderung so noch nicht angeboten werden können. Für das SGE wurden im Vorfeld zehn mögliche Einsatzfelder festgelegt, zu denen etwa City-Lotsen, Mobilitätshelfer für ältere und obdachlose Menschen oder Besuchs- und Betreuungsdienste zählen. Bei der Prüfung der Fördervoraussetzungen durch die Landesverwaltung wird darüber hinaus im Einzelnen kontrolliert, dass die Tätigkeiten zusätzlich und gemeinwohlorientiert sind und keinen regulären Arbeitsplatz verdrängen.
  • Als Arbeitgeber werden entsprechend die Landesbetriebe, die Bezirke, Hauptverwaltungen und gemeinnützige Träger adressiert.
  • Die Arbeitgeber aus dem Spektrum der Vereine und nichtkommunalen Arbeitgeber erhalten eine 100%ige Lohnkostenförderung über den kompletten Fünf-Jahreszeitraum hinweg, eine monatliche Sachkostenpauschale pro TN in Höhe von 221 Euro; das begleitende Coaching, auf Antrag Zuschüsse für begleitende Qualifizierungsmaßnahmen und eine Übernahmeprämie (wenn sie eine Anschlussbeschäftigung geben).
  • Das Land Berlin rechnet mit jährlichen Programmkosten von bis zu rund 37 Mio. Euro (Umsetzungskosten und die Kosten für das Coaching noch nicht eingerechnet). Die Kalkulation, die das DIW vorgenommen hat, um die Programmkosten für bundesweit 100.000 bis 150.000 zu veranschlagen, wäre damit nicht mehr zu halten; denn das Institut kam lediglich auf einen Betrag in Höhe von 500 bis 750 Millionen Euro jährlich.


Bewertung:

Bei den Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Berlin gibt es ein reges Interesse an der Umsetzung des Modellprojekts. Sie bieten häufig jene gemeinwohlorientierten Einsatzfelder an, auf die das Modellprojekt abzielt, sei es die Mithilfe in der Kindertagesstätte oder in den Stadtteilzentren. Die sozialen Dienste und Einrichtungen wollen dabei auch mithelfen, langzeitarbeitslosen Menschen neue Teilhabechancen zu eröffnen.

Bezogen auf den politischen Ansatz des Modellvorhabens, perspektivisch nicht auf Berlin beschränkt zu bleiben, sondern eine grundlegende Veränderung des bestehenden Sozialsystems zu erreichen, ist allerdings Skepsis angezeigt. Die Reichweite des Modellvorhabens zur notwendigen Überwindung des Hartz-IV-Systems ist begrenzt, insbesondere was die Existenzsicherung der Leistungen, ihre bürgerfreundliche Zugänglichkeit und generelle Sanktionsfreiheit anbelangt.

Der Zuschnitt der öffentlich geförderten Beschäftigung im Modellprojekt ist ungewöhnlich, weil die Förderung unbefristet angelegt ist und sich nicht nur an besonders arbeitsmarktferne Personen wendet. Indem das Modellprojekt zudem ausschließlich gemeinwohlorientierte, zusätzliche Arbeiten fördert, ist es insgesamt deutlich entfernt von den Positionen des Paritätischen Gesamtverbandes zur Ausgestaltung eines Sozialen Arbeitsmarkts. Der Paritätische Gesamtverband sieht die öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als ein Angebot für langzeitarbeitslose Menschen, die nach mindestens zweijähriger Arbeitslosigkeit soweit vom Arbeitsmarkt abgekoppelt sind, dass sie ohne die Förderung keine Chance auf Erwerbsarbeit haben. Mit der Förderung soll kein vom allgemeinen Arbeitsmarkt abgetrennter Beschäftigungssektor eingerichtet werden. Vielmehr sind alle Arbeitgeber – gemeinnützige, kommunale wie auch privat-gewerbliche aufgefordert, Arbeitsplätze bereitzustellen. Ein breites Potential unterschiedlicher Arbeitsplätze mit reellen Tätigkeitsfeldern sichert nach Auffassung des Verbandes den ehemaligen Langzeitarbeitslosen die besten Zukunftschancen.

Nachdem sich das Land Berlin in den Gesetzesverhandlungen über das Teilhabechancengesetz nicht mit seinem Anliegen durchsetzen konnte, Bundesmittel unmittelbar für die Finanzierung des SGK einsetzen zu können, haben die Integrationsfachkräfte in den Berliner Jobcentern nun inkonsistente Förderleistungen für Langzeitarbeitslose, einmal auf der Grundlage des Teilhabechancengesetzes und auf der Basis der Landesförderung, anzuwenden.