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Gesundheit: Menschenrecht oder Privileg? Menschenrecht!

In Artikel 12 des Sozialpakts der Vereinten Nationen – von der Bundesrepublik also mitgezeichnet - ist das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit sowie das Recht auf medizinische Versorgung für jeden Menschen festgeschrieben. Trotzdem ist auch in der Bundesrepublik Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, der Gesundheitszustand noch immer vom Einkommen, Wohnort, Geschlecht und Bildungsstand abhängig. Der soziale Status entscheidet nach wie vor auch hier darüber, wie lange ein Mensch über die Lebensspanne gesund bleibt und wie hoch seine Lebenserwartung ist.

Soziale Lage und Gesundheit

Es ist hinlänglich bekannt, dass die soziale Lage einen entscheidenden Einfluss auf den Gesundheitszustand hat. Menschen mit niedrigem Sozialstatus leben in Deutschland im Durchschnitt zehn Jahre kürzer als Menschen mit hohem Sozialstatus. Die Gründe dafür sind vielfältig: schlechtere Bildungs- und Berufschancen, schlechtere Arbeits- und Wohnbedingungen, schlechtere Gesundheitsversorgung, soziale Isolation und vieles mehr. Unter den aktuellen politischen Bedingungen ist eine Änderung nicht in Sicht, denn die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer.

Jeder Mensch hat jedoch das gleiche Recht auf einen barrierefreien Zugang zu umfassender gesundheitlicher Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Dieses grundlegende Menschenrecht muss unabhängig von Alter, Geschlecht, Wohnort, Herkunft, Religion oder Einkommen garantiert werden. Dies ist eine der zentralen Forderungen des Paritätischen Gesamtverbandes. Denn: Gesundheit ist nicht alles – aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

Gesundheit ist zudem eine der zentralen Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung. Dringend benötigt werden daher gesundheitsförderliche Lebensbedingungen für alle Menschen. Dafür ist ein sozialpolitisches Maßnahmenpaket notwendig, das die Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Wohnungs-, Umwelt-, Kinder –und Familienpolitik wirksam zusammenführt. Strategien der Gesundheitsförderung und Prävention können einen Beitrag dazu leisten, die beschriebene sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen zu verringern. Trotz Verabschiedung eines Präventionsgesetzes im Jahr 2015 bleiben die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention vornehmlich im Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. Zudem sind sie in der Regel zeitlich befristet, dadurch wenig nachhaltig und vor allem nach wie vor massiv unterfinanziert. Notwendig ist der Einbezug von Bund und Ländern in die Finanzierung und die Schaffung von flächendeckenden und dauerhaften Angeboten, die in den Lebenswelten der Menschen ansetzen – also dort, wo gelebt, gelernt, gewohnt, gespielt und gearbeitet wird. Die Angebote müssen die Menschen erreichen und dazu beitragen, ihre Lebenskompetenzen zu erhöhen und darauf zielen, die Lebenswelt der Menschen zu verbessern.

Aufweichung des Solidarprinzips

Auch bei der medizinischen Versorgung gibt es viel zu tun. Jahrzehntelang bildeten das Solidarprinzip und die paritätische Finanzierung eine feste Säule des gesetzlichen Krankenversicherungssystems. Der schrittweise Umbau des Sozialstaats im Zuge der Agenda 2010 hat jedoch auch vor dem Gesundheitssystem nicht Halt gemacht. Mehrere Gesundheitsreformen der vergangenen Jahrzehnte haben zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt. Dazu zählten: die Praxisgebühr, Eigenbeteiligungen, Zusatzbeiträge durch Abschaffung der paritätischen Finanzierung und Kürzungen medizinischer GKV-Leistungen. Die Praxisgebühr wurde 2013 zwar zum Glück für gescheitert erklärt und abgeschafft, geblieben sind dennoch eine Reihe finanzieller Mehrkosten, die allein die gesetzlich Versicherten zu tragen haben. Nicht nur für chronisch kranke und ältere Menschen sind die Eigenbeteiligungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, Rezeptgebühren etc. eine enorme finanzielle Belastung. Aus unserer Sicht gehören all diese Zuzahlungen, Zusatzbeiträge und Eigenbeteiligungen (inkl. Brillen und Zahnersatz) abgeschafft.

Hinzu kommt, dass Zehntausende in Deutschland trotz bestehender Versicherungspflicht nicht krankenversichert sind. Offizielle Zahlen sprechen von 80.000 Menschen, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, da z.B. Wohnungs- und Obdachlose sowie Menschen ohne Papiere überhaupt nicht statistisch erfasst werden. Auf dem Weg zu einer gerechteren gesundheitlichen Versorgung ist die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung daher aus unserer Sicht ein entscheidender Schritt. Das duale System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung gehört abgeschafft, denn durch diese Trennung zahlen rund 11 Prozent der Bevölkerung nicht in das Versicherungssystem ein. Wohlhabende sollten aber den gleichen Anteil ihres Einkommens einzahlen wie arme Menschen und alle Einkommensarten gleichermaßen einbezogen werden. Die Abschaffung des dualen Krankenversicherungssystems kann zu einer grundlegend besseren gesundheitlichen Versorgung beitragen. Dazu zählen u.a.: gute medizinische Versorgung in Wohnortnähe, kürzere Wartezeiten für Arzttermine, Wegfall bestimmter Behandlungsprivilegien und eine bessere medizinische Versorgung für alle.

Rückkehr zur paritätischen Finanzierung

Die Einführung einer Bürgerversicherung ist bei einer Fortsetzung der Großen Koalition erneut in weite Ferne gerückt. Vielmehr ist unter schwarz-rot mit weiteren Privatisierungen und Mehrkosten im Gesundheitssystem zu Lasten der Versicherten zu rechnen. Lediglich in einem, wichtigen Punkt, gibt es Anlass zur Hoffnung: In einem ersten Sondierungspapier von SPD und Union wurde die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung festgelegt. Damit entfielen künftig die ungerechten Zusatzbeiträge, die seit 2010 allein von den gesetzlich Krankenversicherten getragen werden mussten.

Zugangsgerechtigkeit und Solidarität sind die Kernelemente und die Basis eines Gesundheitssystems, das allen hier lebenden Menschen eine gute medizinische Versorgung zusichert. Für die Verwirklichung dieses Ziels werden wir uns auch künftig mit ganzer Kraft einsetzen.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: Der Paritätische, Ausgabe 02/2018