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Es geht nur ökosozial

Klimaschutz ist auch eine soziale Frage

Die Mitgliederversammlung des Paritätischen Gesamtverbandes am 27. April 2023 markiert einen Meilenstein: Nachdem der Paritätische sich 2019 auf Initiative entwicklungspolitisch aktiver Mitgliedsorganisationen erstmals in einem Grundsatzpapier zu klimapolitischen Fragen positioniert hat, ist das Thema nun in der Mitte des Verbands angekommen.

Die Gastrede von Luisa Neubauer von Fridays for Future wird mit viel Beifall aufgenommen. Mit der Verabschiedung des Leitantrags „Für eine sozial-ökologische Zukunft: Ungleichheit bekämpfen“ geht von der Mitgliederversammlung ein klares Zeichen nach außen wie innen aus: Klimaschutz ist immer auch eine soziale Frage. Der Leitantrag greift jüngere Entwicklungen rund um die sozial-ökologische Transformation auf und ergänzt die klimapolitischen Grundsätze des Verbands von 2019 um Forderungen aus den Fachbereichen und betont die besondere Bedeutung, die die Bekämpfung von Ungleichheit für die Lösung der ökologischen wie auch sozialen Krisen hat.

Vier Jahre zuvor hat sich der Paritätische mit den „Grundsätzen erfolgreicher Klimapolitik” erstmals in der Klimapolitik positioniert. Der Impuls kommt aus dem Kreis von Mitgliedsorganisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit. In dem Papier werden die verheerenden Folgen des Klimawandels für den globalen Süden hervorgehoben und an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Klima und Umwelt auch in Deutschland appelliert. Der Paritätische fordert in dem am 1. Oktober 2019 veröffentlichten Grundsatzpapier eine „sozial-ökologische Wende“ der Klimapolitik in Deutschland, bei der soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz Hand in Hand gehen. So heißt es in dem Papier unter anderem:

„Um den Klimawandel zu stoppen, bedarf es der Anstrengung der gesamten Gesellschaft. [...] Die Politik muss dabei die Rahmenbedingungen setzen, die Organisationen, Unternehmen und Individuen den notwendigen Wandel ermöglichen. Es geht staatlicherseits um notwendige Steuerung, aber auch darum, allen Verbraucher*innen zu ermöglichen, ihrer individuellen Verantwortung nachzukommen und klimabewusst zu konsumieren. [...] Eine effektive Klimaschutzpolitik wird notgedrungen mit spürbaren Einschränkungen und Belastungen verbunden sein und erfordert zugleich eine breite gesellschaftliche Zustimmung. Diese wird nicht zu gewinnen sein, wenn ein großer Teil der Bevölkerung ohnehin soziale Abstiegsängste hat, den eigenen Status als prekär erlebt und sich um die Zukunft sorgt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik ist daher ein zuverlässiger Sozialstaat, der den Menschen soziale Sicherheit garantiert, sodass sich jede*r ein klimafreundliches Leben leisten kann. Je mehr Gleichheit eine Gesellschaft in der Verteilung von Ressourcen und Möglichkeiten aufweist, umso leichter wird ihr eine anspruchsvolle Klimapolitik fallen. Daher ist die ökologische Transformation nur als eine sozial-ökologische denkbar.“

Impulse aus den Landesverbänden

Ein wichtiger Teil der Paritätischen Bemühungen für mehr Klimaschutz wird auch von den Landesverbänden und deren Mitgliedsorganisationen getragen. Hier werden die sozial-ökologischen Grundsätze des Verbands in die Tat umgesetzt und in Form von Bildungsangeboten und lokalen Protestaktionen in die Öffentlichkeit getragen. Der Paritätische Brandenburg nimmt beispielsweise schon früh an Fridays for Future-Aktionen wie dem Globalen Klimastreik am 20. September 2019 und der dazugehörigen Demonstration in Berlin teil.

Auch im Bereich der Bildungsarbeit leisten seine Mitgliedsorganisationen und -einrichtungen wichtige Arbeit. Der seit 1993 bestehende Jugendhof Brandenburg ist ein anerkannter Biolandhof in der Nähe von Nauen. Als Einrichtung der stationären Jugendhilfe bietet er jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren, die die Schule verweigern, ein nachhaltiges Zuhause auf Zeit. Auch der Bund zum Schutz der Interessen der Jugend existiert bereits seit den 1990er Jahren und veranstaltet unter anderem jeden Frühling ein Camp für Schüler*innen einer Eberswalder Grundschule, um ihnen die Natur und den Umweltschutz nahezubringen. Der Paritätische Hessen verbindet den Klimaschutz mit dem Thema Wohnen, indem er sich als Teil des Bündnisses #Mietenwahnsinn-Hessen am 20. September an der Klimastreik-Demo in Frankfurt am Main beteiligt. Wohnungsnot und steigende Mieten sind hier ein besonders drängendes Thema.

Vorreiter für eine sozial-ökologische Wende

In verschiedenen Fachbereichen hat der Paritätische Gesamtverband die Forderung nach einer sozial-ökologischen Wende mit detaillierten Positionen und Vorschlägen unterlegt und ist als soziale Stimme in der Debatte um die Klimakrise etabliert. Mit fachlich pointierten Wortmeldungen, die auf die Relevanz sozialer Sicherheit für die Akzeptanz der ökologischen Transformation hinweisen, nimmt der Paritätische hier eine Vorreiter- und Mittlerrolle auch im Kontakt zur Umweltbewegung ein. Kooperationen zu Umweltorganisationen und Bündnisaktivitäten für Klimaschutz werden auch auf Bundesebene auf- und ausgebaut.

2019 initiiert der Verband gemeinsam mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Soziale Plattform Klimaschutz, bei der Problematiken der sozio-ökonomischen Ungleichheit und des Klimaschutzes gleichermaßen thematisiert werden. Als weitere Mitglieder des Bündnisses können der AWO-Bundesverband, der Deutsche Caritasverband, der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Sozialverband VdK Deutschland, der Volkssolidarität Bundesverband und der Deutsche Mieterbund gewonnen werden.

Am 22. April 2020 tritt der Paritätische Gesamtverband zudem der Klima Allianz bei. Die Klima Allianz Deutschland setzt sich aus über 140 Mitgliederorganisationen zusammen, die sich als breites zivilgesellschaftliches Bündnis für „eine ambitionierte und sozial gerechte Klimapolitik auf lokaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene“ engagieren. Dem Bündnis gehören Organisationen aus Umwelt, Kirche, Entwicklung, Bildung, Kultur, Gesundheit, Verbraucherschutz, Jugend, Soziales und Gewerkschaften an. Dies sind beispielsweise Brot für die Welt, der BUND, der deutsche Kulturrat, der Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland und mehrere Diözesen der katholischen Kirche. Im Kontext des Eintritts in das Bündnis resümiert Ulrich Schneider: „Die Ärmsten tragen die Hauptlast des Klimawandels”. Damit betont der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen die soziale Komponente, die in der Arbeit für den Klimaschutz auch in den Folgejahren im Vordergrund stehen wird.

Zusammenarbeit mit dem BUND

Etwa zeitgleich zu seinem Eintritt in die Klima Allianz geht der Paritätische Gesamtverband eine weitere bedeutende Partnerschaft im Bereich Klimapolitik ein: Er schließt sich mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zusammen. Noch bevor die Klima Allianz ihr Konzept für ein Konjunkturpaket veröffentlicht, formulieren Paritätischer und BUND unter dem deutlichen Titel „Keine Fehlinvestitionen!“ entsprechende Forderungen an die Bundesregierung. Immer wieder werden gemeinsam fachliche Einschätzungen zu Gesetzgebungsverfahren entwickelt, Initiiert wird zudem auch ein strategischer und operativer Austausch auf Ebene der Landesgeschäftsführungen, um Kooperationen in der Fläche zu stärken. In der gemeinsamen „Zukunftsagenda für die Vielen“ stellen BUND und Paritätischer anlässlich des Bundestagswahlkampfs 2021 konkrete Forderungen an die Politik, „die den ökologischen und sozialen Krisen“ Rechnung tragen sollen. In der Agenda sind neben klimapolitischen Forderungen, wie etwa dem Ausstieg aus fossiler Energie, auch sozialpolitische Anliegen enthalten. Die „Zukunftsagenda für die Vielen“ ist Ausgangspunkt weiterer Aktivitäten zur Bundestagswahl, wie einer gemeinsamen Aktionswoche von BUND und Paritätischem unter dem Titel „Die ökologische Wende sozial gestalten!“. Die gemeinsame Botschaft: Es geht nur ökosozial - Soziales und Klima- und Umweltschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Mitgliedsorganisationen bei der Transformation unterstützen

Auch in der Paritätischen Mitgliedschaft hat sich seit 2019 einiges verändert: So sind die Auswirkungen der Klimakrise inzwischen in nahezu allen Fachbereichen ein Thema – ein übergreifendes Thema, das auch praktische Fragen des Klimaschutzes betrifft. Hier unterstützt der Gesamtverband Mitgliedsorganisationen mit einem Pilotprojekt, ihren CO2-Fußabdruck zu bestimmen und Maßnahmen des betrieblichen Klimaschutzes umzusetzen. Das Projekt „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“ soll innerhalb von drei Jahren 67 Mitgliedsorganisationen mit jeweils einer Einrichtung dabei begleiten, ihren CO2-Fußabdruck zu analysieren, Möglichkeiten des betriebsinternen Klimaschutzes zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Vertreten sind unter anderem Einrichtungen aus der vollstationären und ambulanten Pflege, Kitas, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sowie Begegnungs- und Beratungszentren.

Jede Einrichtung benennt dafür eine Person als Klima-Scout, die den Prozess des Klimaschutzes in der Einrichtung als Multiplikator*in vorantreibt. Unterstützt werden sie dabei mit Schulungen und Veranstaltungen, mit Handreichungen und Arbeitshilfen. Ziel ist es darüber hinaus, eine Kommunikationsstruktur aufzubauen, die ein Peer-Coaching der Klima-Scouts untereinander ermöglicht.