Zum Hauptinhalt springen

Ein großes Stück Frauenarbeit

Frauen gewinnen an Einfluss

Bereits im 19. Jahrhundert wächst die Anzahl der arbeitenden Frauen stetig an, im Ersten Weltkrieg jedoch kommt es geradezu zu einem Bruch der traditionellen Rollenaufteilung: Frauen übernehmen an den Drehbänken und in den Produktionsstätten die Aufgaben ihrer Männer, die im Krieg sind. Zudem steigt der Bedarf an tatkräftiger Unterstützung in der Versorgung von Kriegsverletzten. Gleichzeitig wächst der Wunsch nach Einflussnahme: Jene, die Hilfsarbeit organisieren, treten zwangsläufig vom häuslichen Umfeld in die Öffentlichkeit. Im Januar 1919 üben Frauen erstmals ihr Wahlrecht aus. 37 Frauen ziehen in der Folge in die Nationalversammlung ein und stellen damit knapp 10 Prozent der Abgeordneten.

Die Gründung des Fünften Wohlfahrtsverbandes steht unter der Ägide von Leopold Langstein und Carl Hofacker, die auch als seine Vorsitzenden auftreten. Das Verbandsgeschäft erscheint in seiner Frühzeit somit nach außen hin eher männlich geprägt. Doch die Etablierung des Verbands als Spitzenverband geht maßgeblich auch auf zwei Frauen zurück: Luise Kiesselbach als Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bayern und Anna von Gierke, Mitbegründerin der Humanitas. Verband für Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge.

Zwei Frauen gehen voran

Anna Ernestine Therese Gierke (1874-1943) ist eine der zentralen Persönlichkeiten des Fünften Wohlfahrtsverbands und widmet sich Zeit ihres Lebens der Kinder- und Jugend- sowie der Verbandsarbeit. Als Abgeordnete prägt sie die Sozialgesetzgebung der Weimarer Republik mit und erarbeitet als Mitglied der Deutschen Nationalversammlung im Ausschuss für Soziale Angelegenheiten gemeinsam mit den Frauen der anderen Fraktionen unter anderem das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG), das Reichsjugendgerichtsgesetz (RJGG) und die Fürsorgepflichtverordnung (FPV).

Die Charlottenburgerin tritt mit dem Anspruch an, mit der Humanitas speziell Frauen eine Plattform für ihre Arbeit in der Jugend-, Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge zu bieten. Nach der Fusion mit dem Fünften Wohlfahrtsverband wird Anna von Gierke im Juni 1926 als eine der drei Vorsitzenden an die Seite Langsteins und Hofackers gewählt. Die Vorsitzende fungiert im Verband infolge als Leiterin der Fachgruppe Erziehungsfürsorge.

Auch ihre Verbandskollegin Luise Kiesselbach (1863–1929) widmet ihr Leben der Fürsorge. Nach dem Tod ihres Mannes arbeitet die Erdingerin zunächst als ehrenamtliche Armenpflegerin. 1913 wird Kiesselbach Vorsitzende des Stadtbundes Münchener Frauenvereine und schließlich Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei sowie deren stellvertretende Vorsitzende. Nachdem Kiesselbach erkennt, dass für die Interessenvertretung gegenüber Staat und Kommunen ein starker Dachverband aller kleineren Vereine notwendig ist, gelingt 1922 ein erster Verbund auf Stadtebene in München, zwei Jahre später auch auf Landesebene – der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern ist gegründet und umfasst 156 Mitgliedsorganisationen. 1925 schließt sich der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern dem Fünften Wohlfahrtsverband an, der später den Namen übernehmen wird. Der von Luise Kiesselbach geleitete Bund Deutscher Frauenvereine schließt sich 1925 ebenfalls dem Fünften Wohlfahrtsverband an.

Weitere Frauen im Verband

Aber auch andere Frauen beeinflussen den Verband, wie Elisabet von Harnack, die die erste hauptamtliche Geschäftsführerin des Berliner Landesverbandes im Fünften Wohlfahrtsverband wird.

Stefanie Hirt, Anstaltsoberin der im Verband organisierten Hermann-Johanna-Kinderheilstätten, bemüht sich darum, dass pflegerisch ausgebildete Kindergärtnerinnen in Kinderheilstätten eingesetzt werden. Ihr Engagement wird dabei im Verband wahrgenommen: Ein Protokoll des Beirats des Fünften Wohlfahrtsverbands von 1928 lässt erkennen, dass Hirts Anregungen diskutiert und die Vorschläge am Ende auch angenommen wurden. Hirt ist darüber hinaus maßgeblich an der Wiedergründung des Paritätischen Landesverbandes Berlin im Jahr 1950 beteiligt.

Prominent ist auch die Rolle Emilie Kiep-Altenlohs, die im Jahr 1919 die Soziale Frauenschule in Kiel gründet. Ab 1927 ist sie Geschäftsführende Landesvertreterin des Fünften Wohlfahrtsverbandes in Schleswig-Holstein und später Mitglied des Vorstandes auf Reichsebene.

Von Frauen für Frauen

Angeschlossene Einrichtungen und Anstalten des Verbands, die sich speziell an Frauen und ihre Belange richten, sind Mitte der 1920er-Jahre zahlreich vorhanden. Dazu zählen beispielsweise die „Herberge für Stellen- und obdachlose Mädchen“ in München mit 27 Betten, der Verein „Frauenarbeit“ in Bremen mit 3000 Betreuten oder der „Kinderhort des Vereins für Frauenbildung“ mit 50 Plätzen in Osnabrück.

Der von Männern dominierte Arbeitsschwerpunkt der Kranken- und Pflegeanstalten weicht im Fünften Wohlfahrtsverband somit zunehmend einer selbstbewusst auftretenden Verbandsarbeit von bürgerlich engagierten Frauen, die auf eine reiche Expertise zurückblicken und diese in den Verband einbringen.

Die Frauenquote ist im Fünften Wohlfahrtsverband insgesamt hoch: Von den 30 geschäftsführenden Landes- und Provinzialvertretenden sind zu dieser Zeit zwölf weiblich, was einem Anteil von 40 Prozent entspricht.

Dem Hamburger Landesverband des Fünften Wohlfahrtsverbandes stehen mit Dora Magnus und Luise Lehr zwei Frauen vor. Im Vorstand des Verbands auf Reichsebene sind mit Anna von Gierke und Emilie Kiep-Altenloh 1930 zwei Frauen vertreten. Die Fachgruppe für Erziehungsfürsorge ist mit sechs Frauen rein weiblich besetzt.

Mehr über Anna von Gierke erfahren...

Mehr zu Anna von Gierke, eine der prägenden Persönlichkeiten des Fünften Wohlfahrtsverbandes in der Weimarer Republik, findet sich im Blog unserer Mitgliederplattform Wir sind Parität. Anlässlich ihres 150. Geburtstages gewähren wir Einblicke in das Engagement einer der Pionierinnen der sozialen Arbeit in Deutschland.

Mehr lesen
Eine Frau schaut sanft in Richtung des Betrachters und hat zu einem Zopf gebundene helle Haare.