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Ausgabe 01 | 2023: Energie & Krise
Schwerpunkt
Oguz Yilmaz

Interview mit Luisa Neubauer

Die Klimaschutzaktivistin über die ökologische Arbeit der Bundesregierung, die Kooperation von Wohlfahrt und Umweltaktivismus und was uns 2023 erwartet.

Liebe Frau Neubauer, für uns als Wohlfahrtsverband waren die Maßnahmen der Bundesregierung zum Schutz vor steigenden Energiepreisen ein Thema. Die halten wir sozial für nicht ausreichend. Wie bewerten Sie diese aus ökologischer Sicht?

Die gehen natürlich nicht auf. Wir schauen sowohl auf die Einzelmaßnahmen, als auch auf die Summe. Da wurden als Antwort auf die Energiekrise in Deutschland Maßnahmen verabschiedet, die uns tiefer in fossile Abhängigkeiten reiten und es gleichzeitig nicht hinbekommen, die durch die Energiekrise geschaffenen Ungleichheiten in einem ansatzweise ausreichenden Ausmaß abzumildern. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe von Energiemaßnahmen oder von Energiepolitik allein sein kann, soziale Schieflagen zu begradigen. Dafür braucht es Sozialpolitik. Aber auch da kam ja nichts in dem Maß, wie wir es bräuchten. Das kann man ökologisch oder sozial bewerten. Für uns hängen diese Dinge aber zusammen. Ökologische Maßnahmen, die unsozial sind, können niemals nachhaltig sein, weil sie Konflikte kreieren. Dadurch sind sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Sie haben im September gemeinsam mit unserem Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider einen vielbeachteten Artikel im Spiegel veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Wir arbeiten mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband schon seit Jahren zusammen. Da gab es bereits vor zwei Jahren immer mal wieder Allianzen, etwa zu Beginn der Corona-Pandemie, aber auch zu anderen Themen. Allianzen zu schmieden ist für uns als Klimagerechtigkeitsbewegung natürlich ein großes Anliegen. Wir sehen eine unwahrscheinlich große Kraft in unwahrscheinlichen Allianzen. Und hier ging es auch darum, eine Gegenerzählung zu diesem Märchen zu machen, dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz sich gegenseitig im Weg stehen würden. Wir haben in dem Artikel unsere gemeinsamen Positionen skizziert. Und für uns ist klar, dass soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zusammengehören, sich gegenseitig bedingen und voneinander abhängen. Deswegen ist auch dieser Schulterschluss zwischen sozialen und ökologischen Akteuren auf der einen Seite so mächtig und auch so notwendig.

Dennoch gibt es im sozialen Bereich auch hin und wieder Widerstände. Warum?

Das Problem ist, dass wir seit 30 Jahren das Märchen hören, dass „die Ökos“ den Leuten irgendwas wegnehmen wollen. Und das sitzt tief. Es geht auch darum zu lernen, dass wenn wir soziale Gerechtigkeit in diesem Land wollen, wir einen Schutz vor Klimakatastrophen brauchen. Es geht auch um das Unlearning. Also dass Menschen die Möglichkeiten bekommen zu reflektieren, wie es da draußen in der Welt aussieht und vielleicht, dass es auch bisher eine Art politische fossile Propaganda war, die Zwietracht zwischen verschiedenen Fronten sähen wollte. Es gibt bei einigen Akteur*innen in der Politik auch ein großes Interesse, dass soziale und ökologische Stimmen nicht miteinander sprechen und sich nicht in der Gemeinschaft wähnen, sondern denken, man müsste irgendwelche Einzelkämpfe austragen. Denn genau diese Allianz hat ja eben das Vermögen, mit ganz viel aufzuräumen. Und auf der anderen Seite, glaube ich, ist es wichtig zu verstehen, dass für Klimagerechtigkeit Klimabewegungen alleine nicht reichen. Es braucht auch Institutionen wie den Paritätischen, aber auch alle anderen, die sich für sich der Klimakrise annehmen und überlegen, was jeweils ihre Rolle ist und wie sie sich einbringen können.

Oguz Yilmaz

Ich gebe zu: manchmal brauchen wir etwas. Warum hat es so lange gedauert, bis die verschiedenen Bewegungen zusammengearbeitet haben?

Bei Fridays for Future hat es gar nicht so lange gedauert. Wir haben auch immer wieder mit Gewerkschaften, mit Kirchen, mit Krankenhäusern und  ganz vielen anderen Institutionen kooperiert. Für uns war das von Anfang an klar. Aber ich glaube auch, dass nicht alle so dynamisch sind wie wir und sagen „Super, heute entscheiden und morgen machen wir was.“ Viele Institutionen brauchen einfach ein bisschen länger.

Und jetzt seien Sie gerne ehrlich: Wo sehen Sie beim Paritätischen gerade in ökologischer Hinsicht noch Aufgaben, wo wir mehr tun könnten?

Beim Paritätischen sind ja auch viele Menschen der älteren Generationen. Es geht natürlich auch darum festzustellen, wen die Klimakrise am meisten trifft. Langfristig gesehen ist das die junge Generation, aber ganz akut sind auch immer wieder Ältere akut betroffen. Ich denke an meine Großmutter, die im Sommer in der Hitzewelle zu kämpfen hat. Ich denke an meine Mutter, die auch als Krankenschwester in sozialen Einrichtungen arbeitet, auch darunter fällt. Sie ist die Allererste, die im Sommer gestresst nach Hause kommt, wenn die Krankenhäuser ausgelastet sind, die soziale Infrastruktur fehlt und die Menschen nicht mehr richtig versorgt werden können. Es lagert sich ja auch alles ab auf weitere Gruppen. Da ist noch viel Sensibilisierung notwendig. Da sind Institutionen wie der Paritätische sehr gefragt, um so etwas nach vorne zu stellen. Der Verband kann deutlich machen, dass man hier nicht aus Jux und Tollerei und aus der Langeweile heraus ein paar Ökomaßnahmen umsetzt. Es geht darum, Menschen zu schützen und die Maßnahmen zu ergreifen, die es braucht, damit Leute gesund, sicher und frei bleiben können.

Im April werden Sie bei unserer Mitgliederversammlung sprechen. Wissen Sie schon, was sie unseren Mitgliedern auf den Weg geben werden? Können wir einen kleinen Teaser bekommen?

Es wird auf jeden Fall einen Aufruf geben. Aber in erster Linie freue ich mich und fühle mich geehrt, dort sprechen zu können. Es ist eine bedeutungsvolle Einladung.

Was wird 2023 im Fokus ihrer Arbeit stehen?

Jetzt geht es natürlich darum, dass wir den fossilen Backlash der Bundesregierung aufhalten und dass die Maßnahmen, die ganz dringend für mehr soziale Gerechtigkeit und Ausgleich in der Energiekrise gebraucht werden, kommen. Und es geht natürlich auch darum, eine gemeinsame Transformation zu gestalten. Das klingt so groß, aber in diesem Land müssen die Solaranlagen installiert werden und es braucht leidenschaftliche Konzepte für sichere Städte und saubere Luft und gesunde Menschen. Und da geht es auch richtig ums Machen. Das ist natürlich etwas, was uns nächstes Jahr sehr begleiten wird.

Das Interview führte Philipp Meinert

Weitere Infos

Luisa Neubauer auf Twitter und auf Instagram

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