Zum Hauptinhalt springen
hier klicken um zum Inhalt zu springen
Ausgabe 02 | 2024: Bedrohte Vielfalt
Schwerpunkt

Interview mit Felix Fischer (Zebra e.V.)

Wenn man in Schleswig-Holstein Opfer rechter Gewalt wird, kann man sich an die Beratungsstelle Zebra wenden. Das steht für „Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“ und besteht seit 2014 und umfasst derzeit neun Mitarbeiter*innen. Wir sprachen mit Mitarbeiter Felix Fischer über seine Arbeit und die wachsende Gefahr von rechts.

Herr Fischer, was für Menschen mit welchen Hintergründen, die von rechter Gewalt betroffen sind, kommen zu Ihnen in die Beratung?

Das ist recht unterschiedlich, weil rechte Angriffe ein breites Feld an potenziellen Betroffenen haben können. Es sind in erster Linie Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Die machen einen Großteil der Betroffenen aus, die wir beraten. Gefolgt wird sie von der Gruppe der politischen Gegner*innen. Das ist eine sehr breite Gruppe. Es können beispielsweise Kommunalpolitiker*innen, Sozialarbeiter*innen, Journalist*innen, aber auch ganz klassisch Antifaschist*innen sein, die beispielsweise während einer Demonstration angegriffen werden. Natürlich auch Jüdinnen und Juden oder queere Menschen. Auch Menschen mit einer Suchterkrankung, Obdachlose oder Menschen mit  einer Behinderung. Aber auch schlicht nicht-rechte Jugendliche, die sich einer Subkultur zugehörig fühlen. Das Feld ist wirklich sehr weit.

Kann man sagen, wer hauptsächlich die Täter*innen sind?

Wir erfassen selbst keine Daten zu Täter*innen, weil unser Fokus sehr stark auf der Betroffenenperspektive liegt. Was sich allerdings sagen lässt ist, dass rechte Angriffe nicht nur gemäß des Klischees vom organisierten Neonazi aus der Kameradschaft oder einer extrem rechten Partei durchgeführt werden, sondern dass solche Angriffe auch aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft kommen.

Viele rechte Angriffe passieren in der Tat bei einem sogenannten „Vorsatz bei Gelegenheit“. Was wir damit meinen: Es gibt Menschen in allen Teilen der Gesellschaft, die einzelne Anteile „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ als politische Ideologie mit sich tragen. Wenn sie in eine Situation kommen, in der sie beispielsweise auf eine Person treffen, die eben nicht in ihr rechtes Weltbild passt, können sie in der Situation relativ spontan ungeplant zur Tat schreiten.

Wie sieht so ein rechter Angriff denn aus?

Es gibt einen abgesteckten Rahmen von Delikten, bei denen wir beratend tätig werden können. Es geht los bei Bedrohung und Nötigung, sowohl online als auch offline. Außerdem beraten wir bei gezielter Sachbeschädigung, Brandstiftungen und allen Formen von körperlicher Gewalt, also von einfacher bis gefährlicher und schweren Körperverletzungen, oder auch versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten.

Und wie läuft dann so eine Beratung konkret ab?

Da würde ich einmal kurz vorgreifen und erklären, wie wir eigentlich zu unseren Klient*innen kommen. Die wenigsten Betroffenen melden sich von sich aus bei Zebra, weil viele einfach gar nicht wissen, dass es uns gibt. Deswegen versuchen wir proaktiv auf die Betroffenen zuzugehen. Dafür müssen wir aber erst mal wissen, dass rechte Angriffe stattgefunden haben.

Und wie bekommen Sie von rechten Angriffen mit?

Wir machen täglich eine Medienauswertung, lesen Polizeiberichte, verfolgen die Sozialen Medien und suchen uns alle Fälle raus, die möglicherweise rechte Angriffe gewesen sein könnten. Dann versuchen wir die Hintergründe dieser Tat zu klären, Kontakt zu den Betroffenen herzustellen und zu klären, ob es wirklich ein rechter Angriff war, sowie welche Bedarfe die Betroffenen haben.

Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen: Wie läuft dann die Beratung ab?

Den klassischen Beratungsfall gibt es so nicht. Aber zuerst schauen wir mal, was genau passiert ist und welche Folgen das für die Betroffenen hat. Denn weil die Angriffe so unterschiedlich sind, sind eben auch die Folgen so unterschiedlich. Dann haben wir verschiedene Angebote, die wir anbieten können. Wir arbeiten sehr stark individuell mit den Betroffenen die Unterstützungsbedarfe heraus, die sie benötigen. Das kann beispielsweise psychosoziale Beratung sein, bei der sich die Betroffenen erst mal entlasten können und einen Umgang mit den physischen und psychischen Folgen finden können. Wir können aber auch bei der Entscheidung, ob man eine Anzeige bei der Polizei machen möchte oder nicht und auch sonst bei der juristischen Aufarbeitung, unterstützen. Wenn jemand sich dazu entscheidet, Täter*innen anzuzeigen, können wir bei der Suche nach Anwält*innen unterstützen. Zur Finanzierung des Ganzen können wir Entschädigungsanträge bei verschiedenen Stellen einreichen. Bei der Antragstellung können wir natürlich auch unterstützen.

Sie haben aber noch andere Angebote neben der Beratung bei Zebra, richtig?

Genau. Also unser Kerngeschäft ist schon die Beratungstätigkeit, aber wir haben eben verschiedene Arbeitsbereiche drumherum. Das ist einmal der Bereich Recherche und Monitoring. Unter Recherche verstehen wir, wie eingangs beschrieben, rechte Gewalttaten zu erfassen und Kontakt zu den Betroffenen aufzunehmen. Im Bereich des Monitorings erfassen wir rechte Gewalttaten in Schleswig-Holstein und versuchen damit ein bisschen Licht in dieses Dunkelfeld zu bringen. Wir stellen eine Vergleichsstatistik zur polizeilichen Kriminalstatistik her, die wir einmal im Jahr veröffentlichen, um einen Blick auf das Ausmaß rechter Gewalt in Schleswig-Holstein zu geben.

Darüber hinaus haben wir eine chatbasierte Onlineberatung, um noch mal einen anderen Zugang zu uns zu bieten, wenn Menschen eine Face-to-Face-Beratung vielleicht nicht möchten. Mit der Chatberatung wollen wir unser Angebot noch niedrigschwelliger gestalten. Wir machen in einem kleineren Rahmen Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit, halten Vorträge und geben Workshops mit dem Fokus auf die Perspektive von Betroffenen im Kontext von rechten Angriffen. Denn ganz häufig wird nur über Täter*innen gesprochen und diskutiert, warum die so geworden sind. Aber was mit den Betroffenen ist und wie es denen nach einem Angriff geht und was sie vielleicht brauchen, bekommt man in der Öffentlichkeit seltener mit. Diese Perspektive wollen wir stärken.

Wir haben auch einen kleineren Arbeitsbereich, in dem ich tätig bin. Das ist die sogenannte Lokale Intervention. Wenn wir einen Sozialraum in Schleswig-Holstein sehen, in dem wir eine Häufung von rechten Angriffen feststellen, dann gehen wir da noch mal gezielter rein. Das geht über Einzelfallberatung hinaus. Wir versuchen die Betroffenen sowohl in der Verarbeitung der Angriffe zu unterstützen, als auch noch mal tiefer zu schauen, was die Ursachen für die Häufung sind.

Wie spüren Sie bei Zebra den allgemeinen Rechtsruck? Steigen zum Beispiel die Beratungsanfragen?

Einerseits sehen wir, seitdem wir unser Monitoring herausbringen, kontinuierlich steigende Zahlen von rechten Gewalttaten in Schleswig-Holstein. Andererseits lässt sich daraus nur bedingt ableiten, dass es auch immer mehr rechte Gewalttaten gibt. Denn man muss auch ganz klar dazu sagen, dass wir noch lange nicht so bekannt und gut vernetzt waren im Bundesland, wie wir es jetzt sind, als wir angefangen haben. Das heißt, dass der Anstieg in Teilen auch damit einhergehen kann, dass wir einfach besser geworden sind in unserer Arbeit und mehr mitbekommen. Jedoch steigen die Zahlen schon relativ kontinuierlich und sind auch auf einem konstant hohen Niveau. Zudem steigt auch die Zahl unserer Beratungsfälle kontinuierlich an.

Die Zahlen sind das Eine. Was uns Betroffene aber immer wieder schildern ist, dass sie merken, dass eben eine gesamtgesellschaftliche Diskursverschiebung stattfindet. Das erweitert natürlich die Handlungsspielräume für rechte, rassistische und antisemitische Gewalt –  auch in Schleswig-Holstein.

Welche Rolle spielt die derzeit erfolgreichste Rechtspartei, die AfD, für Sie?

Wir haben das Glück, dass die AfD in Schleswig-Holstein nicht im Landtag sitzt und einen relativ geringen Einfluss hat im Vergleich zu anderen Bundesländern. Aber über die letzten Jahre haben wir auch in Schleswig-Holstein gemerkt, dass sich das Gewaltpotenzial gerade im Bereich der hiesigen Jungen Alternativen durchaus zunimmt. Das sehen wir jetzt noch nicht in konkreten Fallzahlen, aber die JA macht das, was früher Kameradschaften hier gemacht haben, also Kampfsporttrainings zum Beispiel. Sie will sich als wehrhaft erweisen und das strahlt natürlich in die Gesellschaft auch hinein und wirkt natürlich auch auf die Betroffenen. Das ist kein spezifisches Problem in Schleswig-Holstein, sondern ein grundsätzliches. Jeder rechte Angriff hat eine Wirkung in die Community der Betroffenen, die angegriffen wurden, hinein. Einerseits wirkt ein rechter Angriff natürlich auf einer individuellen, aber auch auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene, da damit immer die Botschaft verbunden ist: Ihr könntet die Nächsten sein. Ihr seid nicht Teil dieser Gesellschaft.

Weitere Infos

Die Homepage von Zebra e.V.

Zebra bei Facebook, X, Instagram und BlueSky

Inhaltsverzeichnis
zurück zum Seitenanfang