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Ausgabe 03 | 2022: Digitalisierung und Wohlfahrt
Schwerpunkt
Eine Krebsdiagnose ist bei Jüngeren selten. Sie brauchen besondere digitale Angebote. (Symbolbild)
Interview

Digitale Angebote für junge Krebsbetroffene schaffen!

Felix Pawlowski arbeitet bei der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs im Bereich Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Die Stiftung erarbeitet fortlaufend digitale Angebote für jüngere Menschen, die mit Krebs leben.

Felix, du bist bei der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs aktiv. Inwiefern bist Du selbst betroffen?

Ich selbst bin gar nicht betroffen. Ich bin von Haus aus eigentlich Medizinhistoriker und weil ich während des Studiums schon viel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht habe, bin ich vor fast vier Jahren bei der Stiftung gelandet. Aber persönlich habe ich mit dem Thema keine Verbindungen gehabt. Ich komme eigentlich aus dem Bereich Psychiatriegeschichte. Aber in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist es ja oft so, dass die Methoden gleich sind und in die Themen muss man sich halt reinarbeiten. Das ist in diesem Themenbereich einfach und angenehm, weil wir viel mit jungen Betroffenen zusammenarbeiten. Das heißt, ich hab das immer alles persönlich in Gesprächen, d.h. auch in 1:1-Situationen erlebt. Häufig ist es ja so: Die meisten Menschen kennen jemanden im Familien- oder im Bekanntenkreis, der oder die Krebs hatte. So auch bei mir. Daher war die Hemmschwelle bei dem Thema auch niedriger. Krebs ist ja auch ein Thema, dass sehr beherrschend ist in der Gesundheitspolitik. Jede und jeder zweite bekommt irgendwann einmal Krebs. Besonders ältere Menschen, aber im jungen Altersbereich haben wir ganz andere Herausforderungen.

Ja, statistisch gesehen tritt Krebs deutlich häufiger ab dem 45. Lebensjahr auf. Werden junge Menschen von den klassischen Angeboten der Krebshilfe nicht so erreicht?

Ja, so ist es. Wir haben im Altersbereich 18 bis 39 Jahre etwa 16.500 Neuerkrankungen im Jahr. Das sind ungefähr drei Prozent der 500.000 Menschen, die insgesamt in Deutschland jährlich an Krebs erkranken. Aber man verbindet Krebs mit einer Alterserkrankung, also dem Alter 60, 70 oder älter. Das ist einfach die Zielgruppe, die eher erreicht wird. Die klassischen Angebote sind oftmals gar nicht auf junge Menschen ausgelegt, weil die ganz andere Probleme haben. Die sitzen in der Chemo mit zehn anderen und keiner ist in ihrem Altersbereich. Ich kenne einen jungen Betroffenen, der hat mir das mal ganz toll erklärt: Der saß in seiner Chemo in einem Raum mit zehn Stühlen und jeder sitzt an seinem Tropf. Er war der einzige unter 70. Die älteren Damen haben gestrickt, die älteren Herren haben Autozeitschriften gelesen und er saß da und fragte die Krankenschwester, ob es denn WLAN gäbe. Die schaute ihn irritiert an. Aber er saß ja da den halben Tag und wollte gern Netflix schauen. Über Umwege haben sie es dann hinbekommen, dass er da WLAN bekommt. Das zeigt ganz deutlich, dass man junge Krebspatient*innen nicht auf dem Schirm hat. Das sind junge Leute, die wollen mit der Welt kommunizieren. Die haben auch noch ganz andere Pläne in ihrem Leben.

Inwiefern unterscheidet sich das Leben von jüngeren Krebspatientinnen und –patienten noch im Alltag?

Der große Vorteil bei jungen Menschen ist, dass die Heilungsrate enorm hoch ist. Die liegt bei über 80 Prozent. Und das bedeutet, dass wir ganz viele Langzeitüberlebende haben, die dann oft aber ihr Leben lang mit den Folgen der Therapie weiterleben müssen. Jemand, der mit 70 erkrankt, lebt dann vielleicht noch 10 Jahre, was ja auch toll ist. 80 ist ein stolzes Alter. Aber wenn du einem 25-jährigen sagst, dass er noch zehn Jahre lebt, ist das ja nichts. Da ist ja noch kein Plan aufgegangen, den man mal hatte. Da merken wir eigentlich, dass die Angebote in der Breite auf die Menschen nicht zugeschnitten sind. Das ist ja irgendwo auch verständlich. Es ist ja eine Nische. Von daher brauchte man dringend einen Ansprechpartner für junge Krebspatientinnen und -patienten. Das sind seit mittlerweile acht Jahren wir. Junge Krebspatientinnen und -patienten sind thematisch mit ganz anderen Dingen konfrontiert. Die müssen sich überlegen, wie sie Studium und Ausbildung schaffen und ob sie zurück in den Beruf kommen. Wie ist es, wenn sie selbstständig sind und was ist mit der Familienplanung? Die haben ja in der Regel ihre 40, 50 Jahre vor sich und brauchen eine Perspektive.

Und welche Angebote macht die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs?

Dadurch, dass es so wenige Menschen mit dieser Diagnose gibt, fühlen sich viele oft allein gelassen. Die denken ganz oft, sie seien die einzigen mit einer Krebsdiagnose in diesem Alter. Und deswegen bieten wir insbesondere Vernetzung an. Wir haben in ganz Deutschland „TREFFPUNKTE“ aufgebaut, also Regionalgruppen für junge Leute. Davon gibt es inzwischen 37 Stück. Die sind dafür da, dass sich Betroffene finden und austauschen können. Das darf man sich aber nicht wie eine Selbsthilfegruppe vorstellen, bei der man im Kreis sitzt und jeder von seinen Problemen erzählt. Da geht es eher um Aktivität. Das machen Sie, indem sie gemeinsam Veranstaltungen besucht haben, ins Kino, Café oder zum Bowling gegangen sind. Zumindest vor Corona.

Felix Pawlowski

Und was hat Corona dann geändert?

Da wir natürlich in der Pandemie damit konfrontiert waren, dass es eine sehr vulnerable Gruppe ist, haben wir das alles in den letzten beiden Jahren in den digitalen Raum verlegt. Wir bieten den Austausch digital an, also zum Beispiel als Videocalls. Bei einigen kam das gut an, aber es ersetzt natürlich die persönliche Kommunikation nicht. Bei Zoom kann ja auch immer nur eine Person sprechen und es gibt keine Grüppchenbildung, aber zumindest gibt es das Angebot! Aber wir bieten bereits seit 2015 das sogenannte „JUNGE KREBSPORTAL“ an. Das war unser erstes Digitalprojekt: Ein Online-Portal, wo sich Betroffene anmelden und Fragen zu allem um ihre Krebserkrankung und drum herum stellen können, aber nicht rein medizinisch, es gibt sehr viele sozialrechtliche Fragen. Man muss sich nach der Diagnose mit super vielen Anträgen rumschlagen, Reha und Krankengeld und so weiter beantragen. Sowas ist ja schon eine Herausforderung für jemanden, der nicht erkrankt ist. Im Portal gibt es einfach digitale Hilfe. Wir haben damals die Betroffenen gefragt, was sie brauchen. Die haben uns gesagt, dass sie sich gerne zeit- und ortsunabhängig an Experten wenden würden. Viele verbringen viel Zeit in Wartezimmern oder auf dem Weg zur Klinik. Da wäre es cool, möglichst viel vom Handy aus zu erledigen. Da melde ich mich im Portal an, schreibe mein Problem und ein Experte berät mich dann. Das sollte man sich auch nicht wie ein öffentliches Forum vorstellen. Jede und jeder bekommt eine individuelle Beratung. Seit Juli gibt es das Angebot auch als App. Wir haben bei der Auswertung des Nutzerverhaltens festgestellt, dass zwei Drittel der Nutzerinnen und Nutzer das Angebot über mobile Geräte nutzen. Da bietet sich eine App natürlich an.

Wie funktioniert diese App?

Das funktioniert wie ein Messenger, nur dass man verschlüsselt und anonymisiert ist. Seit letztem Jahr gibt es auch eine Erweiterung um die Tandem-Partnerschaften. Das ist eine Art Onko-Lotse. Das heißt, du bekommst im Moment deiner Diagnose oder deiner Akut-Phase jemanden an die Seite gestellt, der oder die die gleiche Diagnose hatte und das Ganze schon durch hat. Wenn jemand seine erste Chemo hat, kann man den Tandempartner fragen, wie das so bei ihm oder ihr war. Und dadurch, dass es digital ist, können wir es eben deutschlandweit anbieten. Ich habe natürlich die Hoffnung, dass ich diese Partnerschaften eines Tages sehr wohnortnah anbieten kann, aber ich bin nicht darauf angewiesen. Ich kann auch jemandem aus Düsseldorf jemanden von der Ostsee zuweisen. Das passiert auch aktuell. Manchmal sind die Fälle sehr toll passend. Kürzlich hat sich eine 31-jährige Frau mit einem kleinen Sohn gemeldet, sie hat Brustkrebs. Sie hatte eine Frage zur Chemo. Ich habe ihr jemanden zugewiesen, die 31 ist, eine zweijährige Tochter hat und genau die gleiche Krebsdiagnose und es kam am Ende raus, dass sie 20 Minuten voneinander entfernt wohnen. Sie haben sich auf einen Kaffee getroffen und begleiten sich seitdem. Das wird langsam in ganz Deutschland umgesetzt. Das ist natürlich ein großer Vorteil, weil diese Altersgruppe mit dem Internet und Smartphones aufgewachsen ist und sehr affin damit ist.

Welche Angebote gibt es darüber hinaus noch?

Viele andere Sachen gibt es noch digital: Wir bieten Webinare zu bestimmten Themen für junge Betroffene an. Da erzählt beispielsweise jemand etwas zu genetischen Mutationen von Krebszellen. Da kann sich jeder anmelden und anonym alle Fragen, die man schon immer hatte, stellen. Außerdem bieten wir noch Online-Sprechstunden an. Das haben wir vor allem wegen Corona eingeführt. Als im März 2020 der erste Lockdown war, haben wir unglaublich viele Anfragen von Betroffenen bekommen, die einfach total überfordert waren. Sie wussten nicht, wie sehr sie gefährdet sind und es gab zu diesem Zeitpunkt auch sehr wenig Informationen. Da haben wir uns entschieden, mit unserem Kuratoriumsvorsitzenden dies live über YouTube zu machen. Die Leute konnten sich dazuschalten, er hat dann kurz was zur Coronalage erzählt und die Leute konnten Fragen stellen. Häufig kamen Fragen danach, wie sich eine potentielle Coronaerkrankung nach einer Stammzelltransplantation auf das Immunsystem auswirkt. Dazu haben wir auch Empfehlungen erarbeitet. Da wurde uns echt die Bude eingerannt. Unsere erste Online-Sprechstunde an einem Samstag haben plötzlich 200 Leute besucht und wir kamen im Chat gar nicht mehr nach. Das sind unsere Beratungsangebote, aber wir haben natürlich auch noch Videos.

Wir haben im Zuge von Corona auf unserer Webseite sehr viele Informationsseiten aufgebaut. Das sind sogenannte Wissensseiten zu bestimmten Themen, die man sich auch ganz gut ausdrucken kann. Wir erfinden das Rad ja auch nicht neu. Es gibt ja ganz viele Dinge, die müssen einfach den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Betroffene haben uns hilfreiche Tipps gegeben. Die Wissensseiten sind seit Corona stark gewachsen. Das sind jetzt über 60 Stück zu verschiedenen Themenbereichen wie Studium, Familie und so weiter. Und die sind natürlich sehr textlastig. Da haben wir uns gedacht: Klar, es gibt einige, die werden das lesen. Wir sollten das aber so anbieten, dass diejenigen, die durch die Therapien gerade kognitiv nicht besonders auf der Höhe sind, das auch als Audio hören können. Und da haben wir jetzt gerade vor zwei Monaten zum Weltkrebstag unseren neuen Podcast „Jung & Krebs“ rausgebracht. Die ersten beiden Folgen sind schon draußen. Es kommt jeden ersten Freitag im Monat eine Folge, in der Betroffene mit unserer Stiftungsbotschafterin Lea Marlen Woitack 40 Minuten über ein bestimmtes Thema sprechen. Das ist sehr angenehm, man kann es sich so weghören und es ist richtig cool. Da werden wir noch sehr viele zukünftige Themen ansprechen. Bisher gibt es drei Folgen: Eine Allgemeinere zum Thema Diagnose, eine zur Arzt-Patientenkommunikation und eine zum Thema Angehörige. Es kommen aber noch viele wichtige Themen wie Partnerschaft und Sexualität und vieles mehr. Da können gerne noch mehr Leute einsteigen.

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