Es geht ums Ganze!

Der britische Historiker Christopher Clark hat in seinem Buch „Die Schlafwandler“ Europas Weg in den ersten Weltkrieg als eine Summe vieler kleiner, von „ziellosen Interessen“ geprägten Entscheidungen beschrieben. So sei lange schlafwandlerisch am Abgrund balanciert worden, bis alles absehbar aus dem Gleichgewicht geraten und zusammengebrochen sei.

So wenig die historische Konstellation vergleichbar ist, so sehr sollte sie heute eine Warnung sein. Viele gemeinnützige Vereine und Betriebe bewegen sich schon seit längerer Zeit an einem Abgrund. Längst werden vielerorts Angebote reduziert, nicht selten ganze Angebote geschlossen. Überbordende Bürokratie reduziert die Freiheit der „Freien“ Wohlfahrtspflege. Öffentliche Fördermittel werden regelmäßig schleichend reduziert, immer häufiger aber auch massiv gekürzt. Die Not der Träger wird gelegentlich anerkannt und oftmals bedauert, beseitigt wird sie nicht. Ob in der Altenhilfe oder der Geflüchtetenhilfe, ob bei der Beschäftigungsförderung oder Kindertagesbetreuung: viele Träger balancieren schon lange am Abgrund, manche sind schon darüber hinaus.

Dabei sind es gerade die gemeinnützigen Organisationen, die besonders bürgernahe und qualitativ hochwertige Leistungen in der gesamten Fläche der Republik bereitstellen, orientiert am Bedarf und Interesse der Klient*innen. Schon Kürzungen von zehn oder zwanzig Prozent können dazu führen, dass Angebote zu einhundert Prozent eingestellt werden müssen. Was aber einmal weggebrochen ist, wird so schnell nicht wieder neu entstehen und nur mit großem Aufwand wachsen. Das ist fatal, für die Versorgung mit sozialen Diensten, für den sozialen Zusammenhalt und für die lokale Demokratie, die in den vielfältig engagierten gemeinnützigen Vereinen und Diensten eine wichtige Unterstützung findet. Heute geht es ums Ganze!

Schon vor dem Ermüdungsbruch der Ampel-Koalition auf Bundesebene hat der Paritätische unermüdlich auf die Gefahren dieser Entwicklungen hingewiesen, mit Umfragen die Bedarfe dokumentiert und ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Mit neuen Initiativen und Kampagnen werden wird dieses Engagement ausbauen und unsere Forderung nach einem gesetzlichen Vorrang für gemeinnützige Träger in Wahlprogrammen und Koalitionsverhandlungen zu platzieren suchen.

Wie sehen und wissen aber auch, dass das Engagement im und für den Verband auf den häufig wenig beachteten, aber besonders wichtigen alltäglichen Unterstützungsleistungen beruht, die aus der Hauptgeschäftsstelle heraus organisiert werden: Die Beratung und Akquise bei der Vermittlung von Fördermitteln, die Unterstützung bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und der fortschreitenden Digitalisierung, die Förderung durch Rechtsberatung und Rahmenverträge sowie vieles andere mehr sind das Fundament so vieler und vielfältiger Aktivitäten. Alle sind aus Gelingen gerichtet, auf die Unterstützung der Ideen und Initiativen aus der Praxis der Mitgliedsorganisationen und Landesverbände des Paritätischen.

Sie zu unterstützen und in enger Zusammenarbeit zu stärken ist heute wichtig wie selten zuvor. Es ist eben nicht egal, wie soziale Dienstleistungen erbracht werden, deshalb ist es auch nicht egal, wer sie erbringt. Für die gemeinnützigen sozialen Dienste im Paritätischen geht es ums Ganze, und dafür arbeiten wir.

Dr. Joachim Rock