Paritäterin aus Überzeugung
Nur noch drei Termine, dann hat sie Feierabend. Dabei ist es schon fast 15 Uhr an einem Freitagnachmittag. Doch Svenja Böning merkt man keine Müdigkeit an. Im Gegenteil. Die Bremerin strahlt eine Energie aus, als käme sie gerade aus dem Urlaub. Sie ist trotz ihres jungen Alters bereits Geschäftsführerin von Hoppenbank in Bremen, einer Einrichtung der Straffälligenhilfe.
Eigentlich wollte Svenja Bönig nach ihrem Abitur etwas mit Sprachen machen. Aber nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und einer Jugendanstalt war klar, dass es die Straffälligenhilfe werden wird. Die Wärme der Insassen hätte sie damals tief beeindruckt und sie erinnert sich daran, wie sehr sie jemanden dort mit einem Kaugummi erfreuen konnte und wie dankbar die Person daraufhin war.
Frau Böning studierte also Erziehungs- und Sozialwissenschaften in Vechta, einer Stadt mit einer „900-jährigen Gefängnistradition“, wie es im Wikipedia-Eintrag der Stadt heißt. „Vechta ist zur Hälfte Uni und zur Hälfte Gefängnis mit ein paar Bauernhöfen drumherum“, beschreibt sie ihren Studienort. Die perfekte Gegend für die praktische Erfahrung in ihrem angestrebten Berufsfeld also. Im dortigen Gefängnis gestaltete Svenja Böning unter anderem ein Gefängnis-Kochbuch, gemeinsam mit Insassen. Dies beschreibt sie noch heute als ihr „Lieblingsprojekt.“
Eigentlich wollte sie in Vechta bleiben, jedoch ereilte die Studentin ein schwerer Schicksalsschlag. Auf dem Weg zur Abgabe ihrer Bachelor-Arbeit hatte sie einen Fahrradunfall und zog sich eine schwere Kopfverletzung zu. An eine feste Anstellung war zunächst nicht zu denken, und so schrieb sich Svenja Böning in den Master der Sozialen Arbeit ein. Mit der Beendigung ihres Masterstudiengangs 2015 kam sie über eine Ausschreibung zur Hoppenbank nach Bremen.
Dann ging alles ganz schnell. Böning war gerade einmal zwei Jahre bei der Bremer Einrichtung angestellt, als der kurz vor der Rente stehende Geschäftsführer auf sie zukam und fragte, ob sie seine Nachfolge antreten wolle. „Das war nicht unbedingt mein Ziel, so früh und so schnell in die Geschäftsführung einzutreten“, erinnert sie sich. „Ich habe zunächst gedacht, ob es vielleicht mal eine Teamleitung wird.“ Nach eindringlicher Überzeugungsarbeit und etwas Überlegung sagte sie zu und bereute es auch nicht. So wurde Svenja Böning zu Beginn des Jahres 2020 im Alter von 27 Jahren Geschäftsführerin der Hoppenbank.
Die Hoppenbank besteht seit 1971. Festgefahrene Strukturen und ungeschriebene Regeln gab es auch dort wie in jeder nicht ganz neuen Einrichtung. Was hat sie als jüngere Geschäftsführerin verändert? „Manche Mitarbeiter würden sagen: ‚Alles‘“, sagt Böning und lacht. Zunächst wurden die Themen Digitalisierung und Gesundheit am Arbeitsplatz angefasst. Selbstverständlich zog auch ein anderer Führungsstil ein. Ihr Vorgänger, der 42 Jahre lang die Hoppenbank leitete, sah sich eher im organisatorischen Bereich und weniger in den Projekten. Svenja Böning tickt da anders. „Ich brauche immer noch das Futter aus der Praxis“, sagt die neue Geschäftsführerin, der Kontakte zu den Klient*innen weiterhin wichtig sind. „Am Anfang war das sehr ungewöhnlich für viele, dass ich so viel da sein und wissen wollte und viel gefragt habe“, erzählt sie weiter. Eigentlich seien es die Kolleg*innen gewöhnt gewesen, dass man sie in Ruhe lasse. Inzwischen würde ihr Interesse aber durchaus geschätzt.
Wichtig sei ihr auch, dass die Mitarbeiter*innen sich mit der Hoppenbank identifizieren können, erzählt Svenja Böning. Alle zwei Jahre macht die Einrichtung daher einen Leitbildworkshop. Außerdem stehen regelmäßige Betriebsausflüge und Feierlichkeiten auf der Tagesordnung. Auch eine Innovation.
Die Hoppenbank ist Mitglied beim Paritätischen Landesverband Bremen. Wo sieht Svenja Böning Überschreibungen zwischen Hoppenbank und Paritätischem? „Der Paritätische steht für Gleichheit und Vielfalt. Das tun wir auch!“ Das gelte sowohl für die Klient*innen als auch für die Mitarbeiter. Viele, die heute bei der Hoppenbank arbeiten, kämen aus Beschäftigungsmaßnahmen. Mitarbeiter erster und zweiter Klasse gebe es hier nicht, betont die Geschäftsführerin, egal ob man von der Uni oder aus dem Knast kommt: „Hier bringt jeder seins mit rein, egal wo er herkommt.“
Auffällig ist auch der Social Media-Auftritt der Hoppenbank, besonders auf Instagram. In kurzen Videos wird auch mal selbstironisch der Alltag in der Einrichtung aufgezeigt. Wie passt das zur Strafgefangenenhilfe, also zu einem ernsten Anliegen? „Die Straffälligenhilfe ist nicht so richtig attraktiv für die Außendarstellung. Daher fangen wir, dass wir das ganze mal mit Humor unterfüttern und Ängste nehmen müssen“, gibt Svenja Böning zu. Aber es hat einen ernsthaften Hintergrund. Mit den humorvollen, aber nie albernen Clips sollen auch bewusst Vorurteile über Menschen in Haft abgebaut werden und gezeigt werden: Die sind wie du und ich. Tatsächlich fing das Thema eher niedrigschwellig an. Irritation gibt es gelegentlich noch, aber: „Manchmal werde ich gefragt, ob mir das unangenehm sei. Aber über den Schritt bin ich hinaus.“
Svenja Böning ist neben ihrer Arbeit auch noch Mitglied im Verbandsrat des Paritätischen. Warum neben der Geschäftsführerstelle noch ein Ehrenamt? Sie gibt zu: „Das lag nicht an Langeweile.“ Aber der Verbandsrat wäre gut für das Netzwerken und die Zusammenarbeit. Man träfe dort auch Menschen aus der Wohlfahrt, mit denen man vielleicht sonst nicht so viel zu tun hätte. Neben dem Pragmatischen gäbe es aber auch noch emotionale Gründe für sie: „Ich hänge halt sehr an der Strafgefangenenhilfe und die ist in vielen Bereichen unterrepräsentiert.“ Oft sind Bereiche wie Jugendhilfe oder Pflege stark vertreten, was auch gut wäre, aber Themen wie ihre fallen oft hinten rüber. „Und ich denke, dass der Verbandsrat ein gutes Instrument ist, um an übergeordneten Themen zu arbeiten und nicht nur als Einzelkämpferin unterwegs zu sein“, schlussfolgert Svenja Böning.
Eine abschließende Frage möchte ich noch stellen. Warum sollten kleine und mittelgroße Einrichtungen dem Paritätischen beitreten? Die Geschäftsführerin muss nicht lange überlegen und zählt mehrere Punkte auf. Neben dem Kontakt in andere Netzwerke, der Öffentlichkeit und den Lerneffekten gäbe die Mitgliedschaft Sicherheit, weil man immer auch Hilfe von anderen bekommen könne: „Ich habe meinen Laden im Griff, aber wenn ich mal etwas habe, kann ich da immer mal nachfragen.“ Auch das gemeinsame Kämpfen gehört für sie dazu: „Außerdem ist es für mich ein Zeichen nach außen, dass wir gemeinsam für gewisse Themen stehen und uns einsetzen. Und da finde ich, da kann man sich gern mit dem Paritätischen nach Außen identifizieren.“