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Neue Bündnisse, neue Aktionsformen

Spardebatte und Verteilungsfragen

Nach der weltweiten Finanzkrise folgt Anfang der 2010er Jahre die Eurokrise. Deutschland sieht sich zudem mit gewaltigen Schulden der öffentlichen Gebietskörperschaften konfrontiert. 2011 tritt die sogenannte Schuldenbremse im deutschen Grundgesetz in Kraft, die bis 2020 ausgeglichene Haushalte verlangt und den staatlichen Spielraum für die Neuaufnahme von Krediten spürbar einschränkt. Unter der Prämisse der Haushaltskonsolidierung wird auch die Finanzierung sozialer Arbeit immer häufiger in Frage gestellt. Der Paritätische sieht sich in dieser Situation gefordert, eine Haltung zu der laufenden Spardebatte und Verteilungsfragen zu entwickeln. Im Dezember 2011 verabschiedet der Verbandsrat erstmals eine Positionierung zur Steuerpolitik, die die inhaltliche Grundlage darstellt, sich fortan auch verstärkt in zivilgesellschaftlichen Bündnissen zum Thema zu engagieren.

Stabwechsel an der ehrenamtlichen Spitze des Verbandes

Im April 2012 wird der renommierte Gesundheitswissenschaftler Professor Dr. Rolf Rosenbrock von der Mitgliederversammlung des Paritätischen Gesamtverbandes zum neuen Vorsitzenden des Verbands gewählt und tritt damit die Nachfolge von Dr. Eberhard Jüttner an. 2016 erfolgt seine Wiederwahl für eine zweite, 2021 für eine dritte Amtsperiode.

Als Vorsitzender bringt Rosenbrock seine Expertise zur sozial bedingten Ungleichheit von Gesundheits-, Teilhabe- und Lebenschancen sowie den Möglichkeiten, diese zu verringern, auf den vielfältigen Arbeitsfeldern des Verbandes ein.

Umverteilen tut Not

Die Tatsache, dass viele Menschen in der Weltwirtschaftskrise ihr Geld durch Fehlverhalten der Banken verloren haben und jene gleichzeitig mit hunderten Milliarden gerettet werden, führt vielerorts zu Kritik. Weltweit entwickelt sich 2011 die Protestbewegung Occupy, um gegen die Macht der Banken und für soziale Gerechtigkeit einzustehen. In Deutschland formiert sich auf Initiative von Attac und ver.di das „Bündnis Umfairteilen – Reichtum besteuern“ als gesellschaftliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit, um der ungleichen Verteilung von Vermögen im Angesicht weltweiter Krisen eine Plattform zu geben. Auf Basis der Positionierung zur Steuerpolitik vom 9. Dezember 2011 wird der Paritätische Gründungsmitglied des Bündnisses. In der Positionierung heißt es u. a.: „Da die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen in Deutschland dafür gegeben sind, setzt sich der Paritätische Gesamtverband für eine Steuerpolitik ein, die der starken Scherenentwicklung bei den Einkommen und Vermögen in der Bevölkerung Rechnung entgegenwirkt und zu einer sozial verträglichen, mit dem Sozialstaatsgebot im Einklang stehenden Konsolidierung der öffentlichen Haushalte führt.”

Als einziger Wohlfahrtsverband engagiert sich der Paritätische im koordinierenden Arbeitsausschuss des Bündnisses und nimmt eine tragende Rolle bei der Planung und Organisation gemeinsamer Aktivitäten sowie in der Öffentlichkeitsarbeit ein. Weitere Mitglieder im Trägerkreis sind neben Attac, Campact, Gewerkschaften und weiteren Sozialverbänden u. a. auch Migrant*innenverbände sowie Jugend- und Studierendenorganisationen. Konkret fordert das Bündnis eine dauerhafte Vermögenssteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe, die stärkere Besteuerung hoher Einkommen, großer Erbschaften, finanzstarker Unternehmen und von Kapitalerträgen.

„Die Zeit ist reif für Umverteilung“, betont Frank Bsirske, damaliger Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in einer Pressemeldung des Bündnisses vom 3. August 2021. Und Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, wird zitiert: „Wir wollen es nicht mehr länger hinnehmen, dass jede Verteilungsdebatte als Sozialneiddebatte diffamiert wird. Teilen ist nichts Unanständiges, sondern die Basis eines solidarischen Miteinanders.“

Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gefährdet den Zusammenhalt in der Gesellschaft, so die gemeinsame Botschaft. Man muss und will etwas tun: Am 29. September 2012 findet ein großer deutschlandweiter Aktionstag statt. Weitere Protestaktionen folgen im März 2013 vor dem Bundeskanzleramt sowie bundesweit am 13. April 2013. Weitere große Demonstrationen für „Umfairteilen – Reichtum besteuern“ finden in mehreren deutschen Städten kurz vor der Bundestagswahl am 14. September 2013, u. a. in Bochum, statt.

Für den Paritätischen Gesamtverband, der erstmals seine Untergliederungen zur Teilnahme und organisatorischen Mitwirkung an Demonstrationen aufruft, handelt es sich hierbei um eine neue Art der Mobilisierung und neue Aktionsformen. Der Verband bringt dabei auch wichtige Impulse in ein, die beispielgebend für die Protestkultur sind. So setzt er sich für die Barrierefreiheit der Demonstrationen ein, was Auswirkung auf Planung von Demonstrationsrouten und Bühnenprogramme hat, die u. a. auch in Gebärdensprache gedolmetscht werden.

Nach der Bundestagswahl 2013, bei der SPD, Bündnis90/Die Grünen und DIE LINKE, die alle die steuerpolitischen Positionen des Bündnisses unterstützt hatten, zwar eine rechnerische Mehrheit im Bundestag haben, aber keine Koalition bilden, ebbt das Thema gesamtgesellschaftlich ab. Unter der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU ist ein steuerpolitischer Kurswechsel nicht durchzusetzen. Ab 2017 nennt sich das Bündnis „Reichtum umverteilen“ und versucht damit, noch deutlicher zu kommunizieren, worum es im Kern geht. Im März 2019 findet ein großes Trägerkreistreffen unter Anwesenheit vieler Verbandsspitzen statt, bei dem Weichen für gemeinsame Aktivitäten zur Bundestagswahl 2021 gestellt werden sollen. Die Pläne werden jedoch nur wenige Tage später durch den europaweiten Beginn der Corona-Pandemie überholt. Die Bündnisaktivitäten werden eingestellt.

Für den Paritätischen hat die Mitarbeit am Aktionsbündnis aber langfristige Auswirkungen über den eigentlichen Themenschwerpunkt hinaus: Der Verband engagiert sich nun immer häufiger in breiten Bündnissen, Beispiele hierfür sind die Proteste gegen das TTIP-Abkommen, das Engagement des Verbandes für mehr Klimaschutz und seine Mitarbeit im #unteilbar-Bündnis. Für die Koordinierung dieser Aktivitäten wird innerhalb des Gesamtverbandes ein eigenes Referat für zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit geschaffen.

Proteste gegen das TTIP-Abkommen

Noch während die Europäische Union die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise bewältigt, werden Prozesse angestoßen, die zu einer weiteren Internationalisierung der Wirtschaft führen sollen: 2013 beginnen die ersten Gespräche zwischen Vertreter*innen der USA und der EU über ein neuartiges bilaterales Außenhandelsabkommen. Das sogenannte TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade ad Investment Partnership) mit den USA sieht – genau wie das damals geplante CETA-Abkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada – die wechselseitige Liberalisierung von Investitionen mit der EU vor.

Neben dem Abbau von Handelshemmnissen, dazu zählt etwa die Verringerung von Zöllen, ist beabsichtigt, die regulativen Standards innerhalb und zwischen den Ländern anzugleichen. Kritiker befürchten hier Klagen von Investoren gegen staatliche Regularien und Standards, etwa im sozialen Bereich oder auf dem Gebiet des Umweltschutzes, die letztendlich zu einer Aushebelung staatlicher Gesetzgebung durch nicht demokratisch legitimierte Dritte führen. Der drohende Angriff auf soziale Standards stellt auch das deutsche Konstrukt der Gemeinnützigkeit und damit die Arbeit der Mitgliedsorganisationen des Paritätischen grundsätzlich in Frage. Für den Paritätischen, der als Wohlfahrtsverband naturgemäß vor allem national aktiv ist, ist damit der Anlass gegeben, sich auch über nationale Grenzen hinaus mit der europäischen Zivilgesellschaft verstärkt zu vernetzen.

Unter dem Motto „TTIP und CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel“ findet zwischen 2015 und 2016 eine umfassende Mobilisierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen statt. Dem Bündnis gehören unter anderem die globalisierungskritische Organisation Attac, das Netzwerk Campact, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Kulturrat, Brot für die Welt, die katholische Arbeitnehmerbewegung und die Umwelt- und Naturschutzverbände NABU, BUND, Greenpeace, der WWF und auch der Paritätische Gesamtverband an. „Wir haben hier nochmal unser Mandat ausgeweitet, sozusagen mit unseren Mitgliedern, die Angst hatten um die sozialen Standards bei ihren Dienstleistungen, etwa bei Kindergärten und Pflegeeinrichtungen, wenn es nur noch darum geht, Geld zu machen“, erinnert sich Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider an die Motive des Verbands, dem Bündnis beizutreten.

Die Aktivitäten in diesem Bündniskontext führen zu neuen konstruktiven Kontakten zu umweltpolitischen Nichtregierungsorganisationen wie bspw. dem BUND, die über die Stop-TTIP und CETA-Bewegung hinaus zu wertvollen strategischen Partnern werden.

Wohnen als die neue soziale Frage

Ein anderes Problem wird derweil in Deutschland drängender: Der Wohnungsmarkt ist immer umkämpfter, die Mieten steigen, insbesondere in den großen Städten. Auch der Paritätische Gesamtverband bekommt das bald zu spüren: Wohnungsnot ist als die neue soziale Frage in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für benachteiligte Gruppen, die häufig Klient*innen sozialer Einrichtungen und Dienste sind, wird es noch schwerer als bisher, passgenauen bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auch Mitgliedseinrichtungen bekommen zunehmend Probleme damit, eine Anschlussunterbringung für ihre Klient*innen zu finden oder sind selbst von Verdrängung bedroht.

Dabei hat der soziale Wohnungsbau in Deutschland eine mehr als 100-jährige Tradition. In der Weimarer Republik werden zahlreiche Genossenschaften und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften gegründet, die Geringverdienenden günstiges Wohnen ermöglichen sollen.

In den 1980er Jahren beginnt hingegen die „Vermarktlichung des Wohnungssektors“, angefangen mit der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit, weiter mit der sinkenden staatlichen Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus. In großem Umfang verkauft die öffentliche Hand sogar Wohnungen aus ihrem Besitz an private Investoren, etwa um kommunale Haushalte zu sanieren.

Um auf die veränderte Situation auf dem Wohnungsmarkt zu reagieren und erste Lösungsansätze für besonders stark betroffene Zielgruppen zu entwickeln, startet der Paritätische Gesamtverband 2014 das Projekt „Inklusion psychisch kranker Menschen bewegen“. Später beruft der Paritätische auch eine Arbeitsgruppe mit Landesverbänden ein, bei denen das Thema bereits besondere Brisanz und Relevanz entwickelt. Das Thema Wohnen wird fortan als Querschnittsthema kontinuierlich bearbeitet. Im Oktober 2017 wird ein erstes „Paritätisches Positionspapier für eine soziale Wohnungspolitik“ veröffentlicht. Das darauffolgende Verbandsmagazin ist komplett dem Thema Wohnen gewidmet, beleuchtet es aus verschiedenen Perspektiven und gibt die zentralen wohnungspolitischen Forderungen des Gesamtverbands in gebündelter Form wieder. Gemeinsam mit dem Berliner Mieterverein, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, dem Bündnis Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Deutschen Mieterbund und dem Sozialverband VdK Deutschland und vielen anderen organisiert der Paritätische Gesamtverband einen Alternativen Wohngipfel in Berlin. Die Veranstaltung soll die echten Interessen der in Deutschland zur Miete wohnenden und wohnungslosen Menschen repräsentieren. Der Paritätische formuliert jetzt vermehrt eigene wohnungspolitische Forderungen. 2020 initiiert der Verband die Soziale Plattform Wohnen, in der er sich mit anderen Wohlfahrts-, Sozial- und Fachverbänden vernetzt, um die Folgen einer unzureichenden Wohnraumversorgung auf die Soziale Arbeit noch stärker zum Ausdruck zu bringen. Anlässlich seiner Gründung veröffentlicht das Bündnis im März 2020 eine Broschüre, die Reportagen über „Menschen im Schatten des Wohnungsmarktes“ und das Forderungspapier der Sozialen Plattform Wohnen enthält.

„Mensch, Du hast Recht!“ - Soziale Arbeit hat Haltung

Am Beispiel der Wohnungspolitik wird ein Phänomen deutlich, das zunehmend breite Arbeitsfelder des Verbandes betrifft: Obwohl das Recht auf Wohnen zu den Grundrechten gehört, die in der UN-Menschenrechtscharta verankert sind, wird dieses Grund- und Menschenrecht in der Praxis immer schwieriger einzulösen.

Rechtsansprüche von Klient*innen sozialer Arbeit müssen vielmehr immer wieder neu erkämpft und erstritten werden. Dies betrifft insbesondere die Rechte Geflüchteter, wie die Verschärfung der Lage an den Außengrenzen der EU zeigt. Aber auch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention lässt zu wünschen übrig, soziale Sicherheit durch existenzsichernde Leistungen wird immer häufiger in Frage gestellt und Minderheitenrechte werden immer wieder angegriffen.

Eine Ursache liegt in dem Erstarken der Rechten: In Zusammenhang mit den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) werden seit 2015 zahlreiche soziale Errungenschaften in Frage gestellt, die eigentlich schon als selbstverständlich betrachtet wurden. Der Paritätische hält dagegen: Seit 2018 bietet der Verband seinen Mitgliedsorganisationen umfassende Beratungsangebote, etwa durch die Erstellung zahlreicher praxisorientierter Handreichungen zum Rechtsextremismus oder partizipativer Vernetzungs- und Austauschformate.

Unter anhaltend scharfen Verteilungskonflikten scheint es aber auch grundsätzlichen Gegenwind zu geben. 2018, anlässlich des 70jährigen Jubiläums der UN-Menschenrechtscharta (Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), organisiert der Paritätische Gesamtverband daher gemeinsam mit seinen Landesverbänden unter dem Motto „Mensch, Du hast Recht!“ eine breit angelegte verbandliche Kampagne. Das Verständnis von sozialer Arbeit, die menschenrechtsbasiert ist und auch Haltung zeigt im Einsatz für die Menschenrechte und deren Durchsetzung, wird im innerverbandlichen Dialog und dem verbandlichen Engagement bspw. im Forum für Menschenrechte geschärft. In der Bündnisarbeit spiegelt sich diese klare Haltung u. a. durch die Mitwirkung im #unteilbar-Bündnis wieder. Bei der Demonstration am 13. Oktober 2018 in Berlin nehmen insgesamt mehr als 240.000 Menschen teil.

Vielfalt, Offenheit, Toleranz

Die Menschenrechtsorientierung des Verbands ist dabei nicht neu, sie erlangt in den 2020er Jahren jedoch neue Dringlichkeit und Sichtbarkeit, wie sich auch in der Mitgliederentwicklung ablesen lässt. Nachdem in den 1980er Jahren erste schwul-lesbische Organisationen ihren Weg in den Paritätischen finden und der Verband seine Verbandspolitik ausdrücklich auch auf Vielfalt ausrichtet, treten vor allem seit 2017 vermehrt queere Organisationen dem Paritätischen bei.

Vielfältige Themen der queeren Community werden im neuen Jahrzehnt präsenter. Einhergehend mit einer Liberalisierung gesamtgesellschaftlicher Ansichten, gibt es aber auch Gegenwind, u. a. durch die AfD.

Die Kampagne „Mensch, du hast Recht“ zum 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (2018) hat dazu einen besonderen Beitrag geleistet, da der Verband im Rahmen der Kampagne auch mit Themen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Vielfalt in die Öffentlichkeit gegangen ist. Im Jahr 2020 wird vom Gesamtverband zudem eine Fortbildungsreihe mit dem Titel „Geschlechtliche Vielfalt & diskriminierungsfreie Teilhabe: Fort- und Weiterbildungsangebote zu inter* und trans*- Beratung im Paritätischen“ angeboten.

Die Vertretung und Verteidigung der Rechte seiner queeren Mitgliedsorganisationen sind aus der Arbeit des Paritätischen Gesamtverbands nicht mehr wegzudenken: Im April 2021 verabschiedet der Verbandsrat des Paritätischen „Eckpunkte zum menschenrechtlichen Schutz von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität“. In diesen wird unter anderem gefordert, dass es einen Beratungsanspruch zu allen queeren Themen gibt, dass das Transsexuellengesetz abgeschafft und ein selbstbestimmter Geschlechtseintrag für alle Menschen ermöglicht wird. Zudem arbeitet der Verband im Dialogforum Geschlechtliche Vielfalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und seit 2023 auch im Aktionsplan Queer der Bundesregierung mit.

Aktuell sind die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e. V. (BISS), der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V. (LSVD), der Dachverband Lesben und Alter e. V., Queere Bildung e.V. (Bundesverband für Bildungs- und Aufklärungsarbeit im Bereich sexueller und geschlechtlicher Vielfalt), Bundesverband Lambda e.V. und der BV Trans* als queere Mitglieder auf Bundesebene zu verzeichnen (Stand: Juli 2023).

Vorfahrt für Gemeinnützigkeit

Im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Engagements und des Austauschs auch mit anderen Nichtregierungsorganisationen nimmt der Paritätische Beginn der 2020er wahr, dass gemeinnützigen Organisationen nach wie vor Druck begegnet und das von verschiedenen Seiten: Neben Anfeindungen von rechts sind gemeinnützige Organisationen vielerorts mit gewinnorientierter Konkurrenz und staatlichen Rekommunalisierungstendenzen konfrontiert. Kommerzielle, gewinnorientierte Anbieter drängen auf vormals gemeinnützigen Trägern vorbehaltene Gebiete wie Pflege, Kindertagesbetreuung, in die Flüchtlingsunterbringung oder andere Bereiche, die vermeintlich attraktive Profite versprechen. Aus haushaltspolitischen und ablauforganisatorischen Erwägungen streben Kommunen teilweise eine Rekommunalisierung von sozialen Leistungen an. Neue Akteure treten auf den Plan und fordern eine Reform der Gemeinnützigkeit, die steuerpolitische Privilegien und gleichzeitig die private Gewinnentnahme ermöglicht, was den Wesenskern der Gemeinnützigkeit aushöhlen würde. Gleichzeitig zeigen die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, Verwerfungen im Gesundheitswesen, die Spekulation mit Pflegeheimen als Renditeobjekte oder Skandale um private Sicherheitsdienste in Asylunterkünften, dass es Bereiche gibt, in denen Profitinteressen eigentlich nichts verloren haben. Der Markt kann nicht alles regeln und der Staat sollte es - im Sinne einer vielfältigen Trägerlandschaft und unter Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität - nicht tun.

Auf Fachebene setzt sich der Paritätische schon länger für einen Vorrang gemeinnütziger Organisationen bspw. im Gesundheitswesen oder der Pflege ein und fordert u. a., einen gemeinnützigen Sektor auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu etablieren, der nicht profitorientiert ist und ein Angebot an bezahlbarem und angemessenem Wohnraum für alle sicherstellt. Im April 2021 verabschiedet der Verbandsrat gemeinsame Grundsätze zum Thema Gemeinnützigkeit. Unter dem Titel „Menschen statt Märkte“ wird eine Ausgabe des Paritätischen Verbandsmagazins gänzlich dem Thema gewidmet. Auch über verschiedene Veranstaltungen wird die Diskussion über Gemeinwohl und Gemeinnützigkeit in die Landesverbände und Mitgliedsorganisationen getragen.

Im Jahr 2022 startet der Gesamtverband eine groß angelegte Themenoffensive. Unter dem Titel „#Echtgut – Vorfahrt für Gemeinnützigkeit“ findet eine Vielzahl von Veröffentlichungen und Aktionen statt. In dem Diskussionspapier „Zum Paritätischen Verständnis von Gemeinnützigkeit”, das die Geschäftsführungskonferenz des Paritätischen Gesamtverbands und der Paritätischen Landesverbände erarbeitet hat und am 15. Juni 2022 verabschiedet, wird festgehalten, dass Gemeinnützigkeit für den Paritätischen mehr ist als ein Steuerrechtlicher Status, es ist auch eine Überzeugung. In diesem Papier wird auch das Selbstverständnis als Akteur einer lebendigen Zivilgesellschaft festgehalten, das sich in den verschiedenen Aktivitäten der 2010er Jahre ausgeformt hat: Das Paritätische Ideal von Gemeinnützigkeit basiert auf diesem Subsidiaritätsgedanken, den verbandlichen Prinzipien von Toleranz, Offenheit und Vielfalt, unserer Vorstellung von sozialer Arbeit als menschenrechtsorientierte Praxis mit klarer Haltung und unserem Selbstverständnis als Akteur der Zivilgesellschaft.“