Von medialer Präsenz und politischem Nachholbedarf
Weihnachtlicher Spendenaufruf
Sophie Passmann, Johannes Oerding, Guido Maria Kretschmer, Natalia Wörner und viele mehr – die Liste der Prominenten ist lang, die sich in den vergangenen Jahren für das Thema Gewaltschutz für Frauen öffentlichkeitswirksam eingesetzt haben. Sie alle haben auf ganz unterschiedliche Weise durch Kampagnen und Spenden die Arbeit von Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen und Bundesvernetzungsstellen wie Frauenhauskoordinierung unterstützt. Erst kürzlich haben Jan Böhmermann und Olli Schulz zu ihrer „Fest & Festlich“-Weihnachtsgala geladen. Sie bildete den Auftakt für einen weihnachtlichen Spendenaufruf, der bis Mitte Januar 2023 lief. Insgesamt wurden so über 1,5 Millionen Euro gesammelt, die neben der Lebenshilfe, dem Deutschen Tierschutzbund, derDeutschen Krebshilfe und Quarteera anteilig auch der Frauenhauskoordinierung zugutekommen sollen. Das Geld kommt genau zur rechten Zeit: Frauenhauskoordinierung wird mit dem Geld ein Projekt anstoßen, das Inklusion mit Blick auf Gewaltschutz in den Fokus stellt. Damit wirklich alle Frauen Zugang zu Frauenunterstützungseinrichtungen finden können und dies nicht schon an mangelnder oder unverständlicher Information scheitert.
Nur 45 von 380 Frauenhäuser sind rollstuhlgerecht
Ein wichtiges Thema, denn das Leben im Frauenhaus ist vielfältig und betrifft auch Frauen mit Behinderung, trans* Frauen, Frauen mit Fluchtgeschichte und Frauen mit psychischen und Suchterkrankungen gleichermaßen. Bundesweit gibt es fast keine voll barrierefreien Frauenhäuser. Ein Beispiel: Nur etwa 45 von 380 sind rollstuhlgerecht. Hinzu kommt: Nicht alle Frauenhäuser haben Erfahrung im Umgang mit trans* Frauen. Sprachbarrieren und mangelndes Wissen zum deutschen Hilfesystem stellen zudem regelmäßig Frauen mit Fluchterfahrung vor große Hürden, wenn es um die Aufnahme im Frauenhaus geht und Frauen mit Suchterkrankungen werden vielerorts erst gar nicht aufgenommen. Viele Frauen bleiben dadurch in ihrer Gewaltbeziehung, im toxischen häuslichen Umfeld oder landen im schlimmsten Fall in der Obdachlosigkeit.
Bundesweit fehlen 14.000 Frauenhausplätze
Und das, obwohl Deutschland eigentlich längst Geld in die Hand nehmen und was ändern müsste: Deutschland hat 2017 das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ (sog. Istanbul-Konvention) ratifiziert. Es ist seit 1. Februar 2018 als rechtlich bindendes Menschenrechtsinstrument in Kraft und verpflichtet Deutschland dazu, Gewaltschutz für Frauen und Mädchen auskömmlich und bedarfsgerecht zu finanzieren und auszubauen. Folgt man der Konvention, fehlen in Deutschland aktuell über 14.000 Frauenhausplätze. Bundesweit gab es im März 2022 rund 90 Landkreise und kreisfreie Städte ohne ein Frauenhaus. Auch die Wartezeiten für Erstberatungen in Frauenberatungsstellen betragen teilweise (mit regionalen Unterschieden) mehrere Wochen.
Gewaltschutz=freiwillige Leistung
Dieser Missstand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Finanzierung der Hilfestrukturen zur Prävention und zur Verhinderung von sexualisierter und häuslicher Gewalt an Frauen und Mädchen fast durchweg auf einer freiwilligen Leistung von Ländern und Kommunen basiert. Das ist im Umgang mit einer Pandemie und ihren Folgen, aber auch der Ankunft schwer traumatisierter Frauen und Mädchen aus der Ukraine nicht länger tragbar. Der Paritätische wie auch Frauenhauskoordinierung fordern daher eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung zur Finanzierung des Systems. Doch eine solche Regelung fehlt bislang. Und aufgrund der angespannten Haushaltslage besteht die Sorge, dass der Bund gemeinsam mit den Kommunen und Ländern der Verpflichtungen nicht in dem Maße nachkommt, in dem es erforderlich wäre.
Umso wichtiger deshalb, dass Frauenhauskoordinierung in ihrer Funktion als Bundesvernetzungsstelle von 260 Frauenhäusern und 270 Frauenberatungsstellen ihre tägliche Arbeit leisten kann. Dazu braucht es Geld. Denn Gewaltschutz kostet.
Kreative Projekte dank Spenden
Um alle Bedarfe und Interessen abzudecken, ist Frauenhauskoordinierung wie auch viele Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser auf Spenden angewiesen. So wurde in den letzten beiden Jahren, z. B. mit Hilfe von IKEA Deutschland, auch ein modulares Unterstützungsangebot zur psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Frauenhaus entwickelt. Ebenfalls initiierte Frauenhauskoordinierung eine digitale Fortbildungsreihe zur Traumapädagogik mit Mitteln der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. In dieser wurden bundesweit rund 200 Mitarbeiter*innen der Mitgliedsverbände von Frauenhauskoordinierung geschult. Mithilfe von Spendengeldern von The Body Shop wurde auch eine mehrwöchige Fortbildungsreihe zum Thema Selfcare und Empowerment für Mitarbeiter*innen von Frauenhäusern und Berater*innen angeboten, 2021 im bislang nervenaufreibendsten Jahr der Pandemie eine willkommene Abwechslung.
Frauenhauskoordinierung: Projekt und „Institution“ zugleich
Frauenhauskoordinierung handelt nach wie vor als Projekt, auch wenn sie eigentlich als Institution im Bereich Frauengewaltschutz nicht mehr wegzudenken ist. 2021 hatte sie ihr 20jähriges Jubiläum. Sie ist Stimme, die gebetsmühlenartig vorträgt, dass Gewaltschutz Geld kostet. Die sich Zeit nimmt, wenn Bundesprogramme wie das Bundesinnovations- und investitionsprogramm der Bundesregierung mit zu hohen bürokratischen Hürden versehen sind, die mit den Einrichtungen vor Ort in den Dialog geht und Missstände vorträgt. Ein Think Tank, der auch mal knifflige Rechtsfragen für die Mitglieder der in Frauenhauskoordinierung angeschlossenen Einrichtungen klärt, vordenkt, Impulse gibt und mit den Fachpolitiker*innen auf Bundesebene in den Dialog tritt. Frauenhauskoordinierung agiert durch die enge Anbindung an die Wohlfahrt als deren frauenpolitische Stimme, wenn es um den Schutz vor Gewalt geht. Vertreten nicht nur durch eine starke Geschäftsstelle mit rund 15 Mitarbeiter*innen, sondern auch durch einen Vorstand, der sich aus frauenpolitischen Referent*innen der Wohlfahrtsverbände zusammensetzt und die Strategie und politische Lobbyarbeit im Blick hat. Gewaltschutz ist ein Tagesgeschäft, dass nicht nur die Sicherheit der einzelnen Frau, sondern uns als Gesellschaft betrifft. Deshalb ist es wichtig, jeden Tag aufs Neue mit den Entscheidungsträgern im Bund, den Ländern und Kommunen in den Dialog zu treten und auf Probleme hinzuweisen und gemeinsam für Frauenrechte laut zu werden.
Katrin Frank,
Referentin Familienhilfe/-politik, Frauen und Frühe Hilfen im Paritätischen Gesamtverband
Mitglied im Vorstand von Frauenhauskoordinierung
Über Frauenhauskoordinierung e.V.
Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK) wurde auf Initiative der Wohlfahrtsverbände (AWO Bundesverband e. V., Diakonie Deutschland, Der Paritätische Gesamtverband, Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V./ Deutscher Caritasverband e. V.) gegründet, um sich im Auftrag der Mitglieder für den Abbau von Gewalt gegen Frauen und für die Verbesserung der Hilfen für betroffene Frauen und deren Kinder einzusetzen. FHK koordiniert, vernetzt und unterstützt das Hilfesystem, fördert die fachliche Zusammenarbeit und bündelt Praxiserfahrungen, um sie in politische Entscheidungsprozesse sowie in fachpolitische Diskurse zu transportieren.