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Ausgabe 01 | 2023: Energie & Krise
Schwerpunkt
Matthias Berg/flickr.com/CC BY-NC-ND 2.0
Rechtsextreme bei einer Demonstration gegen die Energiepolitik am 8. Oktober 2022 in Berlin.
‘Heißer Herbst’ von rechts

Was war da los auf Deutschlands Straßen?

Rechte wollten im Herbst die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten für ihre Propaganda nutzen. Was sie antrieb und was daraus geworden ist, fasst Christian Weßling zusammen.

Die gute Nachricht zuerst: Der “Wutwinter”, das Projekt eines völkisch-nationalistisch geführten Aufstands, ausgelöst durch Inflation und Energiekrise, kann vorerst als gescheitert bezeichnet werden. Warum das kein Grund zur Entwarnung ist: Verschwörungideologische und rechtsextreme Netzwerke gehen gestärkt aus der Krise hervor. Sie haben die Fähigkeit unter Beweis gestellt, dynamisch auf die Entwicklung von Krisen zu reagieren und stellen eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie in Deutschland dar.

Im Frühherbst ließen sich bereits die ersten Anzeichen erkennen, was sich auf Deutschlands Straßen abspielen könnte, wenn eine maßgeblich durch den Angriffskrieg auf die Ukraine bedingte Steigerung der Lebenshaltungskosten durch Inflation und explodierende Energiepreise auf viele von Armut betroffenen und bedrohte Menschen trifft. Existenzängste, Angst vor dem Verlust der Wohnung oder Stromsperren wurden dadurch erzeugt oder verstärkt. 

Gewerkschaften und linke Parteien versuchten schon früh, Straßenproteste zu initiieren, die sich für staatliche Hilfsmaßnahmen aussprachen. Das zivilgesellschaftliche Bündnis “Solidarischer Herbst” schloss daran die Forderung nach ökologisch-sozialen Reformen an, die zudem mit einer Umverteilung von oben nach unten finanziell abgesichert werden sollten. Jedoch gelang es nur den antidemokratischen Kräften, dauerhaft Menschen für Demonstrationen zu mobilisieren.

Schnell zeichnete sich dabei ein deutlich unterschiedliches Protestgeschehen zwischen Ost und West ab. Während in den alten Bundesländern jenseits des harten Kerns der in der Pandemie gewachsenen, verschwörungsideologischen Szene hinaus kaum nennenswerte Aktivitäten gelangen, gingen im September und Oktober besonders in Klein- und Mittelstädten Ostdeutschlands auf hunderten Protestveranstaltungen jede Woche Zehntausende auf die Straßen. Die weitaus überwiegende Anzahl dieser Demonstrationen war und ist im Kern antidemokratisch ausgerichtet, in den Reden wurde meist Angst vor sozialen Zumutungen geschürt und Wut und Empörung gegen die Regierung bzw. vermeintliche Eliten mobilisiert. Viele wurden in jenen Netzwerken organisiert, die während der Pandemie entstanden und die nach dem Abflauen der Corona-Proteste mit den Themen Russland-Politik, Energiekrise und Flüchtlingspolitik neues Publikum zu erreichen suchten.

Auch die AfD mischt kräftig dabei mit, die kriseninduzierten Ängste und Nöte in der Bevölkerung aufzugreifen. Mit “Unser Land zuerst!” als Mobilisierungsparole versucht sie, in eingeübter Manier Rassismus und Autoritarismus als vermeintliche Problemlösung anzubieten. Zumindest kurzfristig kann sie damit punkten: 10.000 AfD-Fans folgten ihrem Demonstrationsaufruf nach Berlin, in den Umfragen kann die Partei nach langer Durststrecke wieder steigende Zustimmungswerte verbuchen - flächendeckend. Über den Auftritt in den eigenen Parteifarben hinaus hat sie, im Sinne einer systemüberwindenden Bewegungspartei, die Proteste vielerorts unterstützt und versteht sich als parlamentarischer Arm einer entstehenden sozialen Bewegung von rechts, die über sie hinaus noch zahlreiche weitere und radikalere Akteure umfasst.

Der Paritätische demonstriert regelmäßig gegen rechts.

Der antidemokratische Kern dieser Protestphase wird zusammengehalten durch eine grundsätzliche Ablehnung gegen das, was als Establishment oder Eliten begriffen wird, die gegen die Interessen des “Volkes” handeln würden. Ängste werden gezielt geschürt, z.B. durch die Vorhersage eines lang andauernden “Blackouts”, der die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung infrage stellt. Die inhaltlichen Elemente, wie soziale Belange, die Russland- oder Energiepolitik, sind nahezu austauschbar. Wie der Rechtsextremismusexperte David Begrich argumentiert, kommt der spezifischen, durch gemeinsame biographische Erfahrungen der Wendetransformation geprägten politischen Protestkultur in Ostdeutschland, bei der Ansprechbarkeit durch geschickt platzierte Anti-Establishment-Narrative eine besondere Bedeutung zu.

Teil dieser Strategie ist die Entpolitisierung eminent politischer Themen, die dann als neutrale Sachargumente verkauft werden können. Als Beispiel kann die Parole “Nordstream 2 öffnen” angeführt werden, die auf vielen Demonstrationen auf den Plakaten stand. Eine den politischen Kontext völlig ignorierende Forderung wird damit als Lösung aller Probleme angepriesen, ohne die dahinter stehenden Interessen und Weltanschauungen zu thematisieren. Bei Rechtsextremen präferierte Sichtweisen auf Politik und Gesellschaft, die wiederum eng mit verschwörungsideologischen Konzepten verflochten sind, können sich so als scheinbar legitime politische Meinung Raum verschaffen. In einer Phase der Dauermobilisierung wie in den vergangenen Monaten gelingt es gar, sozialräumliche Dominanz zu erlangen oder wenigstens zu inszenieren: Gleich reihenweise wurden Kundgebungen und Demonstrationen, die sich zunächst als “unpolitisch” verstanden, von rechten Akteuren unterwandert oder in den Sozialen Medien für sich reklamiert. Das gelingt insbesondere dann, wenn auf Veranstaltungen, die aus dem Bereich des demokratischen Spektrums organisiert werden, Kritik zu pauschal formuliert ist (z.B. gegen “die da oben”) und zu allgemeine Begriffe verwendet werden, ohne auszuführen, was in dem zur Frage stehenden Kontext damit gemeint wird (“Freiheit”, “Frieden”). Das Kulturbüro Sachsen hat für diese Problematik Tipps und Tricks gegen die Vereinnahmung von politischen Veranstaltungen veröffentlicht.

Vorerst haben die Veranstaltungen erheblich an Mobilisierungspotential eingebüßt. Seit Anfang Dezember liest und hört man kaum noch von den “Wutwinter”-Demonstrationen und Kundgebungen. Dazu dürften die beschlossenen und erweiterten Hilfspakete des Bundes und der Länder maßgeblich beigetragen haben. Die Demonstrationen und Kundgebungen finden jedoch weiter statt, es hat sich - wie bei den Protesten der verschwörungsideologischen Coronaleugner-Szene - ein harter Kern an Aktivist*innen gebildet, der sich in seinen Ansichten und Handlungen zusehends weiter radikalisiert. Beredtes Zeugnis dafür sind neben der proklamierten  Ablehnung der demokratischen Gesellschaftsordnung auch die in Redebeiträgen geäußerte Drohungen gegenüber Personen aus den Bereichen Politik, Medien und Wissenschaften sowie zahlreich dokumentierte, gewalttätige Übergriffe am Rande der Veranstaltungen.

Die Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs indes sind messbar und deutlich: Die im Zuge der Mobilisierungen initiierte Desinformationskampagne und die Verbreitung von Verschwörungserzählungen rund um den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erzielten hohe Reichweiten und können sich breiter Verankerung erfreuen. Pro-russische Propaganda schaffte es mitunter bis in Talkshows und in die Rhetorik von Spitzenpolitiker*innen, die im Zusammenhang von Geflüchteten aus der Ukraine von “Sozialtouristen” sprachen. Es ist antidemokratischen Akteuren auf diskursiver Ebene gelungen, Einfluss zu nehmen. Zusammengenommen mit der Persistenz und Anpassungsfähigkeit der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Netzwerke an neue Krisen ergibt sich ein weiterhin erschreckendes Bild, welches Politik und Zivilgesellschaft veranlassen muss, wachsam zu bleiben und menschen- und demokratieverachtenden Narrativen und Akteuren überall, wo sie Fuß fassen wollen, frühzeitig und entschieden entgegenzutreten.

Christian Weßling ist Referent beim Projekt "Beratung gegen Rechts"

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