Alter ist nur eine Zahl
Das Advent-Wohlfahrtswerk hat seinen Namen nicht etwa der Vorweihnachtszeit entliehen, sondern gehört zur Glaubensgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, einer ursprünglich in den USA gegründeten evangelischen Freikirche. Man versteht sich als „Freiwilligkeitskirche.“ Die Mitglieder treten von sich aus bei und lassen sich selbstbestimmt taufen. Freikirche zu sein bedeutet bei den Adventisten, dass man vom Staat unabhängig ist.
Die Adventisten seien ein Ast am Stamm der reformatorischen Christen, erklärt Lothar Scheel, langjähriger geschäftsführender Vorsitzender des AWW und Pastor, bildlich das Selbstverständnis. Scheel war zunächst im Gemeindedienst in Berlin und Sachsen tätig, kam dort erstmalig auch ab 1993 mit dem Wohlfahrtsbereich der Gemeinde in Berührung und wurde schließlich 2011 Geschäftsführer des Advent-Wohlfahrtswerks. Inzwischen ist er in Rente, bleibt aber im Bereich der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit dem AWW weiterhin erhalten und erzählt gern von seiner Kirche.
Doch was genau macht die Adventisten aus? „Theologisch gesprochen ist ein Adventist ein Mensch, der als Christ das Reich Gottes erwartet, die Hoffnung auf eine neue Welt und den wiederkommenden Christus in sich trägt und dies offen lebt“, erklärt Herr Scheel. Darin besteht kaum ein Unterschied zu den vielen anderen christlichen Glaubensgemeinschaften. Die Unterschiede sind tatsächlich marginal und zeichnen sich durch leicht andere Abläufe im Lebensalltag als durch theologische Differenzen aus. Gottesdienstbesuche finden bei den Adventisten etwa traditionell am Samstag und nicht, wie in den meisten anderen christlichen Kirchen am Sonntag statt. Im Zentrum steht auch bei den Adventisten die christliche Nächstenliebe, die sich auch in ihrem Wohlfahrtswerk widerspiegelt. „Wir sollen nach dem Vorbild Jesu den Menschen nicht nur etwas Gutes sagen, sondern auch Gutes tun“, erklärt Scheel. Und die innere und tiefere Antriebskraft dafür kämen schon aus dem christlichen Glauben, ergänzt er und zitiert einen Bibelvers Jesu: „Was ihr getan habt, einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Matthäus 25,40)
Ähnlich wie im Glauben gäbe es auch in der praktischen Wohlfahrtsarbeit kaum Unterschiede zu der Arbeit bei Einrichtungen der Caritas oder der Diakonie, erklärt Lothar Scheel weiter. Das relativ kleine Advent-Wohlfahrtswerk und die großen christlichen Wohlfahrtsverbände würden auch an vielen Stellen zusammenarbeiten. „Grundsätzlich gibt es kein spezifisches adventistisches Verständnis von sozialer Tätigkeit.“ Kurzum: In der sozialen Arbeit ist jeder Christ und jede Christin gleich.
Die sozialen Angebote beim AWW, der in Form eines eingetragenen Vereins nur in Deutschland besteht, sind breit gefächert. Mehrere Kindertagesstätten, Seniorenheime und Hospize, sowie eine Schule, eine Suchtberatungsstelle, ein Behindertenheim und eine Übernachtungseinrichtung für obdachlose Frauen betreibt das christliche Wohlfahrtswerk. „Man könnte sagen: Von der Wiege bis zu Bahre“, meint Lothar Scheel. Die Vielfalt der Angebote ist historisch gewachsen. Die Kernaufgabe ist seit der Gründung vor 120 Jahren die Linderung von Not und Elend. Es fing an mit der Speisung und Einkleidung für Obdachlose, anschließend bauten die Adventisten Altenheime und Sanatorien und waren damit primär in der Gesundheitsversorgung tätig. In der Folge der Zunahme des Elends nach dem 1. Weltkrieg stellte man sich zunehmend sozialer auf und arbeitete verstärkt in der Armenhilfe. Hospize und Kinderbetreuungseinrichtungen kamen erst in der jüngeren Verbandsgeschichte hinzu. Die breite Ausrichtung der Themen erklärt sich einerseits aus dem jeweiligen Bedarf, aber auch über individuelles Engagement. „Es gibt Initiatoren bei uns, die einfach machen! Ein Initiator fing dann an, Kindergärten zu gründen und deswegen betreiben wir heute Kindergärten“, erzählt Herr Scheel. Man müsse übrigens nicht einmal zwangsläufig Mitglied der Kirche sein. Selbst einige Leitungspersonen im AWW seien es nicht.
Aber wieso kam eine dezidiert christliche Einrichtung dann überhaupt zu einem nicht-konfessionellen Wohlfahrtsverband wie dem Paritätischen? Dahinter steckt auch eine Geschichte der Ablehnung. „Das Monopol der Wohlfahrt lag damals bei den großen christlichen Kirchen. Die wollten das Feld nicht gern mit anderen teilen. Die freien Vereine, die sich nach dem ersten Weltkrieg gegründet haben, waren zunächst im luftleeren Raum ohne Abbildung.“ Einer der Vorgänger-Organisationen des Paritätischen, der „Verband der Frankfurter Krankenanstalten“ wurde auch als Lobby-Einrichtung gegründet, um eine Stimme gegen die Monopolisten zu haben. Dieser und die anderen Vorgänger sammelten in der Folge alle ein, die nicht bereits an eine der beiden großen Kirchen gebunden war. Und in den Augen der beiden großen kirchlichen Trägern war das Advent-Wohlfahrtswerk eine Sekte und schlicht nicht willkommen, erklärt der Pastor: „Man hat uns sehr klar zu verstehen gegeben, dass wir dort nicht erwünscht waren.“
Erst 1928 gründete sich das AWW im schon stolzen Alter von 31 Jahren als eingetragener Verein und konnte damit am 10. Oktober 1928 den Antrag zur Aufnahme in den Fünften Wohlfahrtsverband, wie der Paritätische damals noch hieß, stellen. Der Antrag auf Mitgliedschaft der Adventisten wurde bereits im November und damit wenige Wochen später bewilligt. „Für uns als bibelgläubige Christen kann unser Wohlfahrtswerk nur auf Paritätischer Grundlage beruhen“, erklärte Hulda Jost, die damalige Wohlfahrtsleiterin der Adventisten Ende der 20er Jahre. „Das heißt, wir betreuen ohne Unterschied der Konfession und ohne Unterschied der Partei; wir helfen als Mensch dem Menschen. Gerade in diesem Sinne wird die Wohlfahrtsarbeit zu einer versöhnenden Tätigkeit. Sie schlägt Brücken von Herz zu Herz, beseitigt das Trennende und dient so dem Vaterland während der Zeit unserer Zerrissenheit und der inneren Trennung am besten.“ Lothar Scheel erklärt die damalige Motivation auch so, dass man eben nicht nur als Christen unter sich bleiben wollte, sondern auch weiter in die Gesellschaft hineinwirken wollte.
Der Grundgedanke des Helfens und des Linderns der Not ist geblieben, hat sich aber immer wieder verändert. Das Arbeitsfeld hat sich auf fast alle Felder der Wohlfahrt ausgebreitet. Und es werden immer weitere Bereiche erschlossen, sagt Herr Scheel: „Aktuell sind wir dabei, den Ehrenamtsbereich zu stärken, der seit den Anfängen eine der tragenden Säule im AWW ist...“ Derzeit sind bundesweit mehr als 200 Ehrenamtliche in etwa 50 Helferkreisen in Suppenküchen, Kleiderkammern, Nachbarschaftsprojekten, in Schülerprojekten, in der Suchtkrankenhilfe und anderen Bereichen tätig. Die Aufgaben werden bei den Adventisten nicht weniger.
Philipp Meinert
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