„Auch anerkennen, was erreicht wurde“
Der Beginn der 90er Jahre brachte eine entscheidende Veränderung für den Paritätischen Gesamtverband. Mit José Povedano Sanchez bekam er den ersten Migrationsreferenten auf Bundesebene. Der Weg war nicht leicht, erinnert er sich: „Ich habe im Februar 1990 beim Gesamtverband angefangen, aber die Bewilligung kam erst im August.“ Es brauchte Monate der Auseinandersetzung mit dem damals zuständigen Arbeitsministerium, bis seine Stelle letztendlich bewilligt wurde und auch danach gab es weiterhin eine große Unsicherheit, ob sein Job bestehen bleiben würde. „Thematisch gab es ein Oligopol bei der „Ausländersozialberatung“ zwischen AWO, Diakonie und Caritas, die die Zuständigkeiten für verschiedene Migrationsgruppen hatten. Auf Bundesebene war kein weiterer Konkurrent gewünscht“, benennt er als Grund für die damalige Haltung des Ministeriums.
Für José Povedano Sanchez war das Thema jedoch alles andere als neu. Er war zuvor seit Mitte der 80er Mitglied in einer Remscheider Mitgliedsorganisation des Paritätischen und auf Landesebene mit dem Thema befasst. Die Schaffung einer Referentenstelle, die bundesweit Mitglieder vernetzt, brachte das Thema nach vorn. „Der Paritätische wurde in seinen Strukturen und Organisationen immer präsenter im Migrationsbereich. Binnen weniger Monate haben wir es geschafft, sechs Modellprojekte in verschiedenen Bundesländern zu initiieren“, erzählt er mit einem gewissen Stolz. Wichtig war ihm auch das Integrationsangebot für migrantische Frauen. Etwa 500 Frauenkurse (heute: MIAkurse) konnte der Paritätische und seine Mitgliedsorganisationen in dieser Zeit anbieten.
Etwas später begann Harald Löhlein, der für viele Jahrzehnte das Thema Flucht im Verband verantwortete. Er kam 1992 zum Paritätischen, sein Stellenprofil umfasste neben Flüchtlingen auch Spätaussiedler. „Von Spätaussiedlern hatte ich zunächst keine Ahnung, war aber auch sehr spannend“, lacht er.
Seine Kompetenz erarbeitete er sich bereits ab 1985 bei der Gemeinnützigen Gesellschaft zu Unterstützung Asylsuchender in Münster, auch eine Paritätische Mitgliedsorganisation. „Komischer Name, aber eine sehr gute Organisation, die es auch heute noch gibt“, erklärte er. Der Einstieg in die Flüchtlingshilfe begann nach dem Studium. „Ich habe Geschichte, Philosophie und Soziologie studiert, was mit meiner späteren Arbeit nichts zu tun hatte, ich bin eher aus politischen Gründen zu dem Job bekommen“, erklärt Löhlein weiter. Nach Tätigkeiten im Flüchtlingsrat NRW landete er schließlich beim Paritätischen, wo er bis zu seiner Verrentung im vergangenen Jahr auch blieb.
Harald Löhlein kam zu einer Zeit in den Verband, als die Debatten um Flucht im wiedervereinigten Deutschland angesichts hoher Zugangszahlen im Bereich der Spätaussiedler und der Asylsuchenden und vor den Hintergründen diverser rassistischer Übergriffe sehr kontrovers geführt wurden und die Politik mit gravierenden Verschärfungen für Spätaussiedler und Asylsuchende reagierte. Seit dieser Zeit wiederholen sich die Debatten: „Im Prinzip ist es absehbar: Beide Seiten arbeiten sich aneinander ab. Bei steigenden Asylzahlen reagieren die jeweiligen Regierungen mit stärkeren Restriktionen, die NGOs versuchen mehr Freiräume zu schaffen.“
Rassismus war auch in der Arbeit von Herrn Povedano Sanchez ein richtiges Thema. Mit dem Paritätischen war er in den 90ern im Forum gegen Rassismus des Innenministeriums Mitglied. Dort wurde nicht nur geredet, sondern auch konkrete Politik gemacht, erzählt er: „Wir konnten beispielsweise am Antidiskriminierungsgesetz mitwirken.“ Aber dies musste auch in die Praxis umgesetzt werden: „Die wichtige Frage war Integration vor Ort. Viele fühlten sich auch im Alltag diskriminiert.“
Eine Besonderheit im Paritätischen war und ist seit langem die Förderung von Migrantenorganisationen. José Povedano Sanchez, der selbst in einer spanischen Organisation engagiert war, konnte hier wichtige Impulse geben. Er unterstützte die Migrantenorganisationen beim Zugang zu Förderprogrammen, durch Qualifizierungsangebote und bei der Lobbyarbeit.
Wie hat sich das Thema geändert? „Bis in die 2000er Jahre hat es eine gute Entwicklung gegeben. Leider ist es gekippt“, erinnert sich Herr Povedano Sanchez. Ein Grund sei die Arbeitsmarktreform von Rot-Grün, die auch bei Migrant*innen viel Unsicherheit brachte. Hinzu kam ein wiedererstarkender Rassismus, auch aus der Mitte. Ausländerfeindliche Kampagnen wie die Unterschriften vom hessischen CDU-Politiker Roland Koch etwa. Povedano Sanchez: „Dann gab es eine Debatte, wie integrationsfähig sind Migranten und die Debatte polarisierte sich immer stärker.“ Das hatte auch Folgen innerhalb der migrantischen Community, erinnert er sich: „In den 90ern war es nicht üblich, dass Migrantinnen aus der Türkei ein Kopftuch tragen. Durch die Auseinandersetzung haben viele Frauen sich stärker mit ihren Wurzeln identifiziert.“
Wenn man sich den Bereich Flucht anschaut, gewinnt man schnell den Eindruck, dass es wenig zu feiern gibt. Harald Löhlein, der sich sein ganzes Berufsleben damit beschäftigt hat, hält dagegen: „Ich gehöre nicht zu der Fraktion die sagt, dass alles immer nur schlimmer geworden ist“, sagt er: „Wir können uns auch fragen, was erreicht wurde. In jüngster Zeit haben beispielsweise eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer Aufnahme gefunden und insgesamt leben darüber hinaus über eine Million Schutzberechtigte in Deutschland. Bei allem was zu kritisieren ist, muss ich feststellen, dass viele auch Schutz gefunden haben.“ Und auch trotz AfD gäbe es grundsätzlich große Zustimmung dafür, dass Schutzbedürftige in Deutschland aufgenommen werden sollen. „Und das kommt nicht von ungefähr. Das ist auch Erfolg der Zivilgesellschaft und auch ein Stückweit des Paritätischen.“
Philipp Meinert
Das Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen (FdM)
Seit 2007, hat sich das Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen unter anderem für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Arbeit der Migrantenorganisationen engagiert. Zwei Ziele stehen in Vordergrund, zu einem geht es um die Professionalisierung der Arbeit der Organisationen und zum zweiten um ihre Förderung jenseits von projektgebundene Aktivitäten.