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Ausgabe 02 | 2022: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit
Schwerpunkt
Markus Spiske/pexels

Interview mit Alexander Thal (Flüchtlingsrat Bayern)

Wem die rechtsextreme AfD ein Dorn im Auge ist, macht garantiert etwas richtig. Martin Böhm, Abgeordneter der AfD im bayerischen Landtag schäumte im Juli 2019 via Pressemitteilung: „Wie kann es ‚gemeinnützig‘ sein, unseren Rechtsstaat zu sabotieren?“ Damit meinte er den Bayerischen Flüchtlingsrat, der geplante Abschiebetermine öffentlich gemacht hatte, was sowohl bei der CSU-Regierung als auch bei der AfD nicht gut ankam. Es war ein Anlass für die AfD zu fragen, ob der Flüchtlingsrat Mittel aus dem Landeshaushalt bekäme, was die Landesregierung jedoch verneinte. Bleibt noch die Gemeinnützigkeit der Flüchtlingsorganisation, über die sich die Rechtsextremen echauffieren können.

Darüber sprachen wir mit Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat über die Bedrohung von Rechts, das Verhältnis zur Landesregierung und was denn der Entzug der Gemeinnützigkeit bedeuten würde. Der 47-jährige Nürnberger ist seit 2002 in der Geflüchtetenhilfe aktiv, nachdem er erstmalig eine der sogenannten „Gemeinschaftsunterkünfte“ von innen gesehen hat. „Da sind mir die Augen aus dem Kopf gefallen, als ich gesehen habe, unter welchen Bedingungen die Menschen da untergebracht sind.“ In Nürnberg ist er unter anderem für die Finanzen des Vereins verantwortlich.

Herr Thal, Sie erhalten für ihre Arbeit mit Geflüchteten kein Geld aus dem bayerischen Landeshaushalt. Warum nicht?

Wir nehmen traditionell kein Geld vom Land. Wir verstehen uns als das kritische Korrektiv der bayerischen Staatsregierung in der Asylpolitik. Damit haben wir noch nie Freundinnen und Freunde in der Landesregierung gewonnen. Insofern bekommen wir keine Landesmittel, was aber auch eine gute Sache ist. Wir haben tatsächlich mehrfach die Situation erlebt, dass Wohlfahrtsverbände, die Gelder bekommen, von Seiten der Staatsregierung Druck erlebten, um bestimmte Sachen zu tun oder zu lassen. Mangelndes Wohlverhalten wird mit der Androhung von Geldentzug beantwortet.

Wie sieht das konkret aus?

Ein Beispiel: Wir haben Warnhinweise zu Afghanistanabschiebungen herausgegeben, bei denen es darum ging zu erklären, wer von Abschiebungen nicht betroffen ist, um einige Menschen zu beruhigen. Und natürlich Informationen über Beratungsmöglichkeiten und Rechtsmittel. An einer Stelle ging es auch darum zu erklären, was denn sei, wenn die nächste Sammelabschiebung angekündigt ist. Da stand unter anderem auch drin, dass Personen, die in der Unterkunft nicht angetroffen wurden, in der Vergangenheit nicht abgeschoben wurden. Das wurde im bayerischen Innenministerium als Aufruf zum Untertauchen interpretiert. Es gab sogar ein Rundschreiben aus der Staatsregierung an die Wohlfahrtsverbände mit der Aufforderung, dass diese Information nicht weiterverbreitet werden dürfe. Dies sei nicht vom Mandat der sozialen Arbeit in den Unterkünften abgedeckt und wer das tue, der müsse mit Mittelkürzungen rechnen. Das ist die Art und Weise, wie die bayerische Staatsregierung mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat umgeht.

Und wie finanziert sich der Flüchtlingsrat dann?

Wir haben keine Landes- oder Bundesmittel, die unsere institutionelle Arbeit fördern. Wir bekommen aber auch Projektzuschüsse, etwa für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten und zum Gewaltschutz für Kinder und Mütter in Asylunterkünften. Wir bekommen EU-Gelder und Mittel aus dem Bundeshaushalt oder über eine Stiftung. Ansonsten finanzieren wir uns über die Mitgliedsbeiträge unseres Fördervereins und Spenden von Menschen, die uns mögen. Wenn uns die Gemeinnützigkeit entzogen werden würde, also wir keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen können, könnte das tatsächlich unsere finanzielle Situation massiv gefährden. Denn man darf nicht vergessen, dass man Eigenmittel als Grundstock braucht, um Projektgelder einzuwerben. Ohne Eigenanteil wären wir angeschmiert.

Alexander Thal

Sie haben gerade schon das Thema angesprochen. Wenn Sie aus der Gemeinnützigkeit rausfliegen würden, hätten Sie ein großes Problem. Genau das fordert aber die AfD im bayerischen Landtag via Pressemitteilung. Auch wenn es politisch derzeit nicht zur Debatte steht: Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Es ist ja nicht die einzige Art der Bedrohung. Das ist ja eher der institutionelle Versuch, an den Finanzen zu drehen. Es gibt auch noch direkte Bedrohung. 2003, als der Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge in München geplant war, haben die Nazis von der Kameradschaft Süd verschiedene Ziele ausspioniert. Wir waren auch dabei. Das hinterher zu bemerken und die Information zu kriegen, dass wir tatsächlich von organisierten Neonazis ausspioniert wurden, die Bombenanschläge geplant haben, ist natürlich schon – wie soll ich sagen – ein beeindruckendes Szenario. Das ist die grobe Bandbreite an Bedrohungen: von Scheiben einschmeißen über Bombenanschläge planen bis hin zur AfD im Landtag, die den Entzug unserer Gemeinnützigkeit fordert. Wir haben uns dazu entschieden, dass wir uns davon nicht beeindrucken lassen. Das ist nicht immer ganz einfach und man muss auch Schutzmaßnahmen ergreifen, auch für die Eigensicherung. Aber es ändert nichts an unserer Arbeitsweise. Da werden wir genau so weitermachen und ändern auch unsere Politik nicht.

Und ob jetzt die AfD im Landtag fordert, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen oder ob der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer klarstellt, dass Organisationen, die Abschiebetermine öffentlich machen, keine Gelder aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verwaltet wird, bekommen: Dann ist das halt so. Dann beantragen wir die Gelder halt nicht und bekommen unsere Finanzierung anders hin. Aber wenn wir Abschiebetermine mitbekommen, machen wir sie öffentlich. Das sollen die Betroffenen wissen, dass da etwas droht. Unser Fokus liegt dabei auf den Möglichkeiten zu handeln, auf Folgeanträgen, Rechtsmitteln und dem Geltend machen von Integrationsleistungen, denn wie man untertaucht und sich versteckt wissen alle. Das werden wir immer weiter so machen und da lassen wir uns weder von der AfD noch von Seehofer beeindrucken.

Gibt es denn auch Solidarität und Unterstützung aus den anderen Parteien?

Ja, wir pflegen natürlich eine Zusammenarbeit mit allen Fraktionen außer der AfD. Mit denen gibt es einfach keine Gesprächsebene. Wir sind natürlich auch mit der CSU und dem Innenministerium im Gespräch, weil dort alle Kompetenzen zum Thema Flüchtlinge gebündelt sind. Und das sieht im Hintergrund auch manchmal ein bisschen offener aus als es im Schlagabtausch über Pressemitteilungen manchmal wirkt. Ich glaube auch nicht, dass das Innenministerium an einer Strategie strickt, wie man uns die Gemeinnützigkeit entziehen kann. Daher können wir vorläufig entspannt sein, aber eine Gewissheit gibt es natürlich nicht.

Was machen die Angriffe von Rechts mit Ihnen?

Es macht natürlich einen Unterschied, ob man das als Organisation so entscheidet und einfach seine Arbeit genau so weitermacht und wie man persönlich damit umgeht. Und ja, natürlich beeindruckt das. Aber das ist eher ein Grund, Schutzmaßnahmen zu ergreifen um zu verhindern, dass man alleine in eine Bedrohungslage, in einen konkreten Angriff gerät. Da muss man einfach ein wenig vorsichtiger sein. Da nimmt man auch nicht mehr alle Drohmails auf die leichte Schulter. Wir zeigen inzwischen wesentlich mehr bei der Polizei an. Wir müssen natürlich auch auf Kolleg*innen mit Migrationshintergrund achten, die noch mehr im Fokus stehen. Die begleiten wir dann zur Polizei. Wir haben auch in Nürnberg versucht, über Auskunftssperren beim Einwohnermeldeamt durchzusetzen, dass die Wohnadressen nicht bekannt werden dürfen. Bisher weigert sich aber das Nürnberger Amt beharrlich, eine Geheimadresse einzurichten. Da werden wir weiter dran bleiben, weil das nicht sein kann. Es geht nicht, dass man sich und Familienmitglieder nicht schützen kann, wenn man sich für Geflüchtete einsetzt und Ärger mit Nazis hat!

Das Interview führte Philipp Meinert

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