Interview mit Jutta Brambach (RuT, Lesben und Alter)
Mit ihren 68 Jahren ist für Frau Brambach noch nicht Schluss. Rente sei nichts für sie, sagt sie. So betreut sie heute als Geschäftsführerin das gemeinnützige Wohnprojekt für lesbische Frauen im Herzen von Berlin, welches in naher Zukunft günstige Räume für Wohnen, Begegnungen und Kultur bieten wird.
Frau Brambach, Sie sind seit langem engagiert und arbeiten seit Jahrzehnten in gemeinnützigen Einrichtungen der Wohlfahrt. Welchen Wert hat das Thema Gemeinnützigkeit für Sie?
Das hat einen sehr großen Wert. Die Projekte, in denen ich gearbeitet habe, sind im Zuge der Frauen- und Alternativ-Projektebewegung der siebziger und achtziger Jahre entstanden. So auch das RuT, und zwar 1989 unmittelbar vor dem Mauerfall. Diese Projekte sind letztendlich in eigener Regie mit der Idee, nicht kommerziell arbeiten zu wollen, gegründet worden. Dafür haben wir einen großen Bedarf gesehen. Es gab nichts Vergleichbares. Eine Einrichtung für lesbische Frauen, wie das RuT, gab es einfach nicht. Dann haben wir es eben gemacht und auch Möglichkeiten und Raum gehabt, unseren Ideen und Vorstellungen, die unserem Bedarf entsprechen, zu verwirklichen.
Im kommerziellen Sektor gibt es vielleicht Bars oder andere Treffpunkte für Lesben. Man braucht aber Geld, wenn man sich dort aufhalten will. Und diese Einrichtungen haben dann auch oft nur ein ganz spezifisches Angebot, etwa trinken, feiern oder flirten. Wer aber Beratung oder auch einfach nur einen kostenlosen Treffpunkt braucht, um sich begegnen und austauschen zu können, braucht soziale Projekte und Einrichtungen. Dem RuT ist es immer ein großes Anliegen gewesen, inklusiv zu sein. Wir wollen unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Altersgruppen und Frauen mit oder ohne Behinderung zusammenzubringen. Wir wollen die Begegnung aktiv unterstützen und Kommunikation und Miteinander fördern. Dafür sind gemeinnützige Einrichtungen unabdingbar. Es wäre schön, wenn der Sektor noch breiter wäre und es noch mehr gäbe. Der Trend ist ja eher rückläufig.
Deswegen ist es mir auch wichtig zu erwähnen, dass wir es in eigener Regie aufgebaut haben und letztendlich immer darum kämpfen müssen, diese Arbeit finanziert zu bekommen. Und das ist natürlich ein Dilemma, in dem wir bis heute stecken: Ein großer Teil der Energie fließt darein, die Finanzierung abzusichern, also Anträge zu stellen und Drittmittel zu akquirieren. Diese Energie sollte eigentlich für die Arbeit mit den Menschen wie den Nutzerinnen unserer Angebote verwendet werden.
Ist es heute im Vergleich zu der Zeit, als Sie angefangen haben, schwieriger geworden, gemeinnützig zu arbeiten?
Wenn ich das mit dem Blick auf unsere Einrichtungen sehe, ist es eigentlich gleich geblieben. Es war immer schwierig, Mittel zu akquirieren, den Senat davon zu überzeugen, dass unsere Arbeit wichtig ist und auch entsprechend ausgestattet werden muss. Es reicht ja nicht, Räume und eine halbe Stelle zur Verfügung zu stellen, wenn man im Jahr 5000 Besucher*innen hat. Dann funktioniert das natürlich nicht.
Es lässt sich auch nicht alles über ehrenamtliche Arbeit machen. Man kann Ehrenamtliche mit einbeziehen. Das tun wir auch und das ist auch wichtig. Aber auch dafür brauchen wir Personal, weil auch ehrenamtliche Arbeit professionell gemanagt werden muss, wenn man sie gut und sinnvoll einsetzen möchte. Davon ist der Senat nicht immer zu überzeugen.
Welche spezifischen Ansprüche hat besonders die Arbeit für ältere lesbische Frauen. Wo ist der Unterschied zu anderen Gruppen?
Wichtig ist es, auf die Biographie und die spezifischen Bedürfnisse lesbischer Frauen einzugehen. Man muss über die Lebenssituation und den Hintergrund der Frauen Bescheid wissen. Auch über eventuelle Diskriminierungserfahrungen. Gerade die Biografien älterer lesbischer Frauen, welche die Nachkriegszeit oder vielleicht sogar noch den Nationalsozialismus erlebt haben, sind geprägt von Diskriminierung. Viele mussten Ehen eingehen, weil ihr Begehren nicht offen gelebt werden konnte. Sie mussten Angst haben, dass man ihnen die Kinder wegnimmt und das Sorgerecht entzogen wurde, wenn sie offen lesbisch lebten. Das muss man wissen, sich damit beschäftigen und dann auch darauf eingehen.
Es braucht Orte der Begegnung wo die Möglichkeit besteht, auch mal mit anderen zusammenzukommen, andere kennenzulernen, wenn man nicht mehr so mobil ist. Ein Aspekt, der viele Frauen betrifft, aber lesbische Frauen noch einmal in besonderer Weise ist die Altersarmut. Viele müssen mit sehr wenig Geld auskommen, weil sie gebrochene Biographien haben und ihnen lediglich eine kleine Rente oder Grundsicherung zur Verfügung steht. Auch das verhindert, dass man kommerzielle Angebote besucht. Das sind Punkte, die man kennen sollte, wenn man in einer Einrichtung wie dem RuT arbeitet und sich auf die Situation und die Lebensrealität von lesbischen Frauen einstellen möchte.
Was würden Sie Menschen raten, die jetzt anfangen wollen, gemeinnützig zu arbeiten, anstatt profitorientiert zu arbeiten?
Eine gute Frage. Ich würde empfehlen, erst einmal in eine gemeinnützige Einrichtung zu gehen, sich das anzuschauen und zu entscheiden, in welchem Bereich man überhaupt arbeiten, bzw. sich engagieren will. Wenn sie jetzt eine Einrichtung gründen wollen, könnte das ein bisschen aufwändiger werden. Aber warum nicht? (lacht)
Sie betreuen das RuT-Wohnprojekt am Alexanderplatz. Viele Diskussionen um das Haus haben ja gezeigt, dass es einen großen Bedarf für ein Wohnprojekt speziell für ältere lesbische Frauen gibt. Warum übernimmt das dann nicht der freie Markt, der ja angeblich alles regelt, die Organisation eines solchen Hauses? Warum benötigt es dafür Gemeinnützigkeit?
Eigentlich bin ich für diese Frage gar nicht die richtige Ansprechperson. Diese Frage müssten Sie an irgendjemanden auf dem sog. freien Markt richten. Es gibt ja einige Initiativen einige selbstorganisierte Initiativen, aber auch nicht unbedingt auf dem freien Markt. Es ist nicht das erste Lesben- oder Frauenwohnprojekt. Viele von den Bestehenden sind aber mit Privateigentum entstanden. Da haben Frauen sich zusammengetan, die in eigener Regie eine Baugruppe gegründet haben und es mit Eigenkapital auf den Weg gebracht haben. Was uns davon unterscheidet ist, dass wir in unserem Konzept vorgesehen haben, bezahlbaren Wohnraum zur Miete zur Verfügung stellen zu wollen. Uns ist bewusst, dass ein großer Teil der Frauen nicht das Geld hat, in Eigenregie zu bauen. Die meisten sind darauf angewiesen, zu bezahlbaren Mieten zu wohnen. Das ist unser großes Anliegen: Nicht nur inklusiven, sondern auch bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen. Auch das gemeinschaftliche Wohnen hat für uns einen großen Wert, also das Miteinander, die nachbarschaftliche Hilfe bis hin zum gemeinschaftlichen Wirtschaften. Letzteres trägt mit dazu bei, mit wenig Geld zurechtzukommen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Themas Gemeinnützigkeit allgemein? Sind Sie eher pessimistisch oder eher optimistisch?
Ich habe den Eindruck, dass es nicht gerade einfacher wird. Unsere Gesellschaft wird immer leistungsorientierter. Es wird nicht leichter, etwas im gemeinnützigen Bereich zu machen. Durch die steigenden Mieten wie hier in Berlin können viele soziale Einrichtungen ihre Miete nicht mehr zahlen und müssen Räume aufgeben. Ich habe auch Sorge, dass es im Zuge der Corona-Pandemie noch einmal schwieriger wird, Mittel für gemeinnützige Arbeit zu akquirieren. Zu befürchten ist auch, dass nur noch für sogenannte Pflichtaufgaben Mittel zur Verfügung gestellt werden und da wird die Arbeit mit lesbischen Frauen im Alter eher nicht dazu gehören. Der Dachverband Lesben und Alter hat immer damit zu kämpfen, überhaupt gefördert zu werden. Dabei werden wichtige Aufgaben erfüllt, denn wir unterstützen die wenigen Lesbenprojekte im Bundesgebiet, die es gibt. Gerade auf dem Land gibt es viel zu tun. Und wir wollen ja nicht nur eine bestimmte Zielgruppe – also lesbische Frauen – bedienen, sondern es geht immer um den Gedanken der Diversität, den wir voranbringen wollen. Es geht also um die ganze Gesellschaft, nicht nur unsere Zielgruppe, wenn wir von Gemeinnützigkeit reden.
Das Interview führte Philipp Meinert
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