Zum Hauptinhalt springen
hier klicken um zum Inhalt zu springen
Ausgabe 02 | 2022: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit
Schwerpunkt
Die Wände in Berlin sind oft genau so bunt wie der Paritätische

Nicht nur bunter, sondern besser!

Gemeinnützige soziale Träger stehen nicht nur für Vielfalt, Kreativität und Innovationen in der sozialen Arbeit sondern sind auch dichter dran an den Menschen, davon ist die Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Berlin Gabriele Schlimper überzeugt. Politik und Verwaltung mögen sich von dieser bunten Vielfalt gelegentlich überfordert fühlen, nicht aber die Menschen, die die Angebote nutzen und denen es eben nicht egal ist, welche Philosophie und welche Konzepte dahinter stehen. Darüber und was der Paritätische den aktuellen Rekommunalisierunstendenzen in Berlin entgegensetzt, haben wir mit ihr gesprochen.

Im vergangenen September wurde nicht nur im Bund, sondern auch in Berlin gewählt. Der Paritätische Berlin hat den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung begrüßt als ein “Bekenntnis für ein soziales Berlin”. Gleichzeitig haben Sie aber auch gemahnt, ein solches soziales Berlin werde nur gelingen mit der freien Wohlfahrtspflege und den gemeinnützigen Trägern. Haben Sie da irgendwie Sorgen um die Zusammenarbeit?

Nein, Sorgen trifft es nicht. In dem Koalitionsvertrag selbst sind sehr viele Punkte drin, die wir als Verband vorher u.a. auch in der Broschüre “Berlin besser machen” gefordert haben. Vieles daraus finden wir tatsächlich an der ein oder anderen Stelle im Koalitionsvertrag wieder. Wir wissen auch, dass unsere Positionen und Forderungen doch bei vielen Punkten eine Rolle gespielt haben, als sie in die Verhandlungen zur Verschriftlichung des Koalitionsvertrages getreten sind. Aber es gibt eben leider im Koalitionsvertrag auch ein paar Stellen, die uns nicht gefallen können. Da steht zum Beispiel drin, dass für den Kitaplatz-Ausbau investive Mittel vorrangig für Eigenbetriebe zur Verfügung stehen. Und das ist wirklich ärgerlich. In den letzten Jahren haben wir als freie Träger den Kitaplatz-Ausbau in Berlin vorangetrieben, zwei Drittel der Kita-Plätze sind in freier Trägerschaft. Der Beitrag der Eigenbetriebe zum Ausbau und deren Aktivitäten auch bei der Ausbildung von Fachkräften fand dagegen nur in sehr homöopathischen Dosen statt. Daher ist diese Bevorzugung öffentlicher Träger schon eine Missachtung der Notwendigkeiten auch in freier Trägerschaft und letztlich der aktuellen Herausforderungen. Wir brauchen Mittel zur Modernisierung von vorhandenen Gebäuden, die dringend saniert und modernisiert werden müssen. Und wir brauchen auch Mittel zum weiteren Kitaplatz-Ausbau. Die Stadt wächst, es kommen junge Leute nach Berlin, die hier dann auch Kinder kriegen.

Werden gemeinnützige Träger denn systematisch benachteiligt?

Wenn es nur dieses eine Beispiel wäre, dann würde ich denken, na ja, die haben sich vielleicht schlecht ausgedrückt. Aber auch bei den Investitionskosten für Krankenhäuser findet sich im Koalitionsvertrag die Formulierung, dass ein Aufwuchs an Investitionsmitteln insbesondere oder nahezu ausschließlich für landeseigene Konzerne wie Vivantes und die Charité zur Verfügung stehen. Das ist einfach nicht nachvollziehbar, weil auch viele Krankenhäuser in freier Trägerschaft während der Pandemie Erhebliches geleistet und die Patientinnen und Patienten versorgt haben. Auch dort sind investive Mittel nötig zum Aufbau und Erhalt der Krankenhäuser. Ein drittes Beispiel ist die eklatante Ungleichbehandlung von Mitarbeitenden in freier Trägerschaft im Verhältnis zu den Mitarbeitenden für die gleiche Arbeit in den Eigenbetrieben.

Sie reden von der Hauptstadtzulage…

Exakt. Alle Verantwortlichen, die jetzt in Regierungsverantwortung sind, haben wir im Sommer angesprochen auf die Hauptstadtzulage und alle drei haben sie gesagt, sie wollen hier eine Lösung herbeiführen. Das ist wirklich ein Tritt in die Magengrube nicht nur der Kita-Erzieherinnen und -Erzieher bei unseren Trägern, dass sie derart ungleich vom Land Berlin behandelt werden. Im Koalitionsvertrag steht aber kein Buchstabe zum Thema. Diese Verfestigung der Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Mitarbeitenden in Eigenbetrieben kritisieren wir als Paritätischer massiv.

Wie erklären Sie sich denn, dass die Koalition diesen Kurs einschlägt und im Koalitionsvertrag die öffentlichen Träger so stark bevorzugt?

Ich glaube, dass es zunehmend so eine Dissonanz gibt in der Wahrnehmung bei den politisch Verantwortlichen. Das zieht sich erstaunlicherweise auch durch alle demokratischen Parteien, obwohl man das eigentlich gar nicht bei allen vermuten würde. Es scheint so ein komisches Unverständnis zum Thema Subsidiarität zu geben. Es mag aber auch an der historischen Entwicklung in Berlin liegen, wo in den Nullerjahren ehemals viele öffentliche Angebote in freie Trägerschaft überführt worden sind.

Das war damals eine Phase der umfassenden Einsparungen. Das Land Berlin hat sich seinerzeit von seinen Eigenbetrieben verabschiedet. Sie waren nicht flexibel und zu teuer. Da sind viele Projekte in freie Trägerschaft überführt worden. Vorher hatte Berlin historisch bedingt durch die Jahre, als die Mauer noch stand und durch den Osten der Stadt einen sehr, sehr hohen Anteil an eigenen Betrieben im Verhältnis zu anderen Bundesländern.

Damals wurden dann ja auch die Stromnetze und die Wasserwerke privatisiert und die stadteigenen Immobilien wurden verkauft. Und jetzt gibt es Rückholaktionen, bspw. ja auch durch die Rekommunalisierung der Wasserwerke, und bei dieser Gelegenheit wird dann gesagt: „Ach, es war ein Fehler, dass wir uns seinerzeit auch aus der Jugendarbeit und aus dem Kita-Bereich zurückgenommen haben. Das wurde auch gar nicht ausführlich diskutiert, sondern einfach aufgrund von Sparvorgaben vollzogen.“

Und was sind die Beweggründe heute? Geht es am Ende wieder einfach darum, Geld zu sparen?

Dieser Punkt macht mich wirklich böse. Damals wurden viele Eigenbetriebe in freie Trägerschaft übertragen genau deswegen: Weil wir preiswerter und flexibler waren als es der öffentliche Dienst je sein kann. Der öffentliche Dienst ist eigentlich immer die teuerste Variante. Jetzt ist es so, dass - aus guten Gründen - auch von sozialen Organisationen erwartet wird, nach Tarif zu zahlen. Und gleichzeitig gibt es noch immer Probleme, die Refinanzierung, also die Entgelte gemäß Tarifverträgen sicherzustellen. Im Bereich der Personalkosten werden freie Träger damit mittelfristig aber eben genauso teuer wie der öffentliche Dienst. Und dann sagt sich der Staat: Na, wenn wir kein Geld sparen können, dann können wir es auch gleich wieder selber machen, ist für uns bequemer. Das merken wir wirklich in den Diskussionen, dass der Verwaltung die Trägervielfalt in Teilen schlicht zu bunt geworden ist, zu anstrengend.

Das ist es also: Gemeinnützige Organisationen sind zu bunt für den Staat?

Manchmal wird Gleichheit verwechselt mit Gerechtigkeit und einem schönen, bequemen Leben. Das, was hier entstanden ist, insbesondere im Paritätischen, sind diese Vielen, diese Vielfalt, die im Westteil der Stadt gewachsen ist, noch zu Zeiten der Mauer und die nach dem Mauerfall hier vielleicht stärker gewachsen ist als anderswo. Gerade im Ostteil der Stadt sind nach dem Mauerfall so viele tolle Initiativen und Organisationen entstanden, die in den Nullerjahren, als es zu den Sparprogrammen kam, dann in der Lage waren, viele Programme und Projekte sehr gut zu übernehmen und daran auch gewachsen sind. Und diese Vielfalt, diese hohe Anzahl an gemeinnützigen Organisationen, führt zu einer Diversität, die fordert und manchmal auch überfordert. Sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf Landesebene. Ja, es ist komplex und mitunter kompliziert. Das mag den Kostenträger (also z.B. das Land Berlin) überfordern. Wen das jedoch überhaupt nicht überfordert, sind die Menschen in dieser Stadt, die die Angebote nutzen.

BOAZ ARAD
Dr. Gabriele Schlimper

Aus der Perspektive des Bürgers der Bürgerin in Berlin könnte man aber ja durchaus sagen: Unsere Bürgerämter sind ganz offensichtlich nicht selten überfordert. Wäre schon schön, wenn in der Stadt einiges besser liefe. Wenn die Verwaltung also zum Schluss kommt, dass sie es besser hinbekommen, wenn sie Komplexität reduzieren, könnte ich als Bürger*in sagen, dann ist mir das gerade recht. Letztendlich will ich meine Leistung haben…

Ja, das könnte man. Aber Gleichheit ist der Tod der Vielfalt. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Das sind Antipoden. Und Lieschen Müller oder Mandy Musterfrau ist es eben nicht Schnitte, wie das Kind betreut oder die Angehörigen gepflegt werden. Wir hatten in den 1960er Jahren fast ausschließlich sehr große öffentliche Eigenbetriebe in der gesamten sozialen Arbeit, von der Kita bis zum Krankenhaus. Daraus entstanden sind aber Initiativen der Menschen, denen es eben nicht egal war, wie und wo denn die Leistung erbracht wird. Es ist den Menschen nicht egal, welche Philosophie hinter einem Träger steht und was da gemacht wird. Und genau aus diesem Antrieb sind ja auch immer wieder Innovationen entstanden und soziale Arbeit hat sich stetig weiterentwickelt.

Aus der damaligen Gleichschaltung heraus sind bspw. die ganzen Patienten-Selbsthilfeorganisation entstanden, weil sie gesagt haben, das was Rheuma-Erkrankten, Multiple Sklerose Erkrankten oder Menschen mit Mukoviszidose vom staatlichen System angeboten wird, reicht uns nicht mehr und das staatliche Handeln deckt nicht unsere Bedarfe und Bedürfnisse ab. Es sind Elterninitiativen entstanden, die gesagt haben: Ich möchte mein Kind nicht mehr ausschließlich in einer staatlich organisierten Kindertagesstätte betreuen lassen, weil mir das zu einseitig ist, weil wir da unsere Interessen als Eltern nicht mehr wiederfinden. Die gesamte Hospizbewegung ist aus der Situation heraus entstanden, dass Menschen gesagt haben: Nein, so wie in staatlichen Krankenhäusern versorgt wird, so wollen wir nicht, dass unsere Angehörigen, die hier sterben, am Ende des Lebens versorgt werden. Heute gibt es Palliativstationen regelhaft in Krankenhäusern. Anfang der Neunziger gab es keine Palliativstation, es gab keine Palliativmedizin als Lehrfach im Medizinstudium. Es ist entstanden, weil Menschen gesagt haben: Das, was man uns hier bietet, ist uns zu wenig und es fehlt an neuen strategischen Ideen und Ausrichtungen.

Schließlich, ein letztes Beispiel: Die Geflüchteten 2015. Gewuppt wurde die Lage damals durch viele, viele Initiativen von Menschen aus unseren gemeinnützigen Organisationen, die sofort dastanden. Aus diesen Initiativen sind teilweise ebenfalls professionelle Strukturen und neue Vereine entstanden.

Das sind viele schöne Beispiele dafür, wie gemeinnützigen Träger letztlich Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements und Orte lebendiger Zivilgesellschaft im besten Sinne sind…

Jeder Mensch spürt, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Und jeder Mensch will in jeder Situation seines Lebens seine Situation verbessern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Auch wenn wir in der Sterbephase sind, wollen wir schmerzfrei sein. Unsere Aufgabe als Freie Wohlfahrtspflege ist es, dieses wahrzunehmen und es zu verbinden mit unseren vorhandenen Strukturen, mit unserer Professionalität, und Lösungen zu organisieren. Dann sind wir brillant.

Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass auch die Qualität immer besser ist? Ist es so, dass gemeinnützige soziale Träger all diese Dinge, so sie einmal erfunden sind, besser machen können als der Staat?

Oh, davon bin ich überzeugt! Ich sage jetzt nicht, dass beispielsweise im pflegerischen Bereich die eine Fachkraft beim gemeinnützigen Träger eine bessere Arbeit macht als die andere im Eigenbetrieb. Und auch die Rahmenbedingungen sind mitunter bei freien Trägern schwieriger, wir sprachen ja schon drüber. Aber durch die Verbindung von der hauptamtlichen Arbeit mit zivilgesellschaftlichem und ehrenamtlichem Engagement sind wir als gemeinnützige Organisationen auf jeden Fall besser. Wir haben das Ohr am Menschen. Wir hören, was draußen los ist.

Durch die Vielfalt im Verband und die Verfasstheit der Träger selbst beschäftigen wir uns früher mit gesellschaftlich relevanten Debatten und sind einfach schneller. Wir sind dichter dran an den Menschen. Das hat auch etwas damit zu tun, weil wir viel mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten und weil wir „Komplexträger“ haben. D.h., während der landeseigene Betrieb im Zweifel nur Kitas betreibt, haben unsere Träger ringsherum noch weitere Projekte. Bei uns gibt es viele, die neben Kita und Jugendarbeit über Pflege und Hospizarbeit auch Nachbarschaftsarbeit machen.

Und auch die Grundhaltung ist eine andere, wenn im Hintergrund noch ein Verein ist mit einer demokratischen Struktur. Gemeinnützige Organisationen sind einfach besser vernetzt und verankert und dichter dran an den Menschen.

Also, ich denke, Lieschen Müller und Mandy Musterfrau haben Sie überzeugt! Welche konkreten Pläne gibt es denn Ihrerseits, auch die Politik in Berlin von ihrem neuen Kurs wieder abzubringen?

Wir haben kontinuierlich Gespräche mit allen demokratischen Fraktionen im Abgeordnetenhaus, wir haben Gespräche mit den Senatorinnen und Senatoren. Wir sind auf Bezirksebene unterwegs und wir hören nicht auf, den Finger in die Wunde zu legen und die Forderungen entsprechend zu stellen. Es muss sich einfach noch was bewegen. Hier sind wir auch nicht alleine, zur Krankenhausfinanzierung haben wir gerade einen Brandbrief geschrieben an das Land Berlin, zusammen mit  Krankenhäusern in freier Trägerschaft. Auch beim Kitaplatz-Ausbau sind wir heftig unterwegs und bei der Hauptstadtzulage bleiben wir als Paritätischer selbstverständlich dran. Wir bleiben dran, machen aufmerksam, starten Initiativen, hören nicht auf, wo Politik es gerne hätte. Wir müssen hier einfach einen Marathonlauf hinlegen. Aber das kennen wir - und das schreckt uns nicht ab.

Wir wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg! Herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch.

Das Gespräch führte Gwendolyn Stilling.

Weiter im Magazin

Nächster Artikel: Interview mit Jutta Brambach (RuT, Lesben und Alter)

Vorheriger Artikel: "Houston, wir haben ein Problem"

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
zurück zum Seitenanfang